„Deal mit dem Teufel“ löst Freude und Erschütterung aus – Reaktionen auf den Gefangenenaustausch
Evan Gershkovich ist frei, doch der Preis ist hoch. Im Austausch für seine Freilassung wird der „Tiergartenmörder“ Wadim K. aus der Haft entlassen.
Berlin – In der Nacht zum 2. August fand der umfangreichste Gefangenenaustausch zwischen Russland, Belarus und westlichen Ländern seit dem Ende des Kalten Krieges statt. Evan Gershkovich, Korrespondent des Wall Street Journal, sowie weitere politische Gefangene und Kritiker des Kreml aus den USA und anderen Ländern erlangten ihre Freiheit. Im Gegenzug wurden ein verurteilter Mörder und weitere Häftlinge, die in Russland unter Spionageverdacht standen, von Deutschland, den USA und anderen westlichen Ländern freigelassen. Die Reaktionen auf diesen Austausch waren gemischt.
Reaktionen auf die Freilassung der Gefangenen
Gershkovich war im März des vorangegangenen Jahres in Moskau festgenommen worden und wurde etwa ein Jahr später in einem umstrittenen Prozess zu 16 Jahren strenger Lagerhaft verurteilt. Nach seiner Freilassung wurde er zusammen mit anderen freigelassenen US-Amerikaner von US-Präsident Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris auf dem Militärflughafen Joint Base Andrews nahe Washington empfangen. Biden äußerte: „Es ist ein wunderbares Gefühl“. Er fügte hinzu: „Ich war absolut überzeugt, dass wir das schaffen können.“ Harris bezeichnete den Tag als „unglaublichen Tag“ und betonte, dass der Austausch ein „außerordentlicher Beweis dafür, wie wichtig es ist, einen Präsidenten zu haben, der die Macht der Diplomatie versteht“.
Paul Beckett, stellvertretender Herausgeber des Wall Street Journal, berichtete dem US-Sender MSNBC, dass es einen kurzen Austausch mit der Familie von Gershkovich gegeben habe und dass sie „überglücklich“ über seine Freilassung seien. In der Redaktion des Wall Street Journal habe es am Tag der Freilassung von Gershkovich „Tränen der Erleichterung, ein Lächeln der Freude und große Dankbarkeit“ gegeben, so Beckett. Die US-Basketballerin Brittney Griner, die bis vor kurzem selbst in russischer Gefangenschaft war, kommentierte: „Jeder Tag, an dem Amerikaner nach Hause kommen, ist ein Sieg. Das ist ein Sieg.“
Die Mutter des freigelassenen russischen Oppositionellen Ilja Jaschin, einem früheren Vertrauten des in einem sibirischen Straflager verstorbenen Alexej Nawalny, sagte: „Wir haben es nicht geglaubt und bis zur letzten Minute nichts gewusst“. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) empfing die freigelassenen Deutschen am Flughafen Köln/Bonn. Er konnte sich ausführlich mit den Ankömmlingen unterhalten, was er als „sehr bewegend“ beschrieb, und lobte die internationale Zusammenarbeit.
Gershkovich ist frei, aber zu welchem Preis? „Deal mit dem Teufel“
Doch die Freilassung von Gershkovich und den anderen westlichen Gefangenen hatte ihren Preis. Deutschland ließ unter anderem den „Tiergartenmörder“ Wadim K frei. Die Angehörigen des Opfers teilten über ihre Anwältin Inga Schulz der Deutschen Presse-Agentur mit: „Das war eine niederschmetternde Nachricht für uns“. Sie fügten hinzu: „Nicht einmal fünf Jahre nach dem Mord“ sei der von „Putin beauftragte Mörder wieder auf freiem Fuß.“ Scholz betonte, dass „niemand hat sich die Entscheidung einfach gemacht, einen zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Mörder nur nach wenigen Jahren der Haft abzuschieben“. Er fügte hinzu, dass Deutschland eine Schutzverpflichtung „gegenüber deutschen Staatsangehörigen sowie auch eine Solidarität mit den USA.“ habe.
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Amnesty International kritisierte den Gefangenenaustausch und bezeichnete ihn als „bitteren Beigeschmack“. Die Menschenrechtsorganisation warf Putin vor, Recht und Gesetz zu instrumentalisieren, um mit politischen Gefangenen als Faustpfand seine Interessen durchzusetzen. „Ein Mörder und andere Verbrecher, die in einem fairen Prozess verurteilt wurden, kommen nun frei im Austausch für Menschen, die nur ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen haben“, hieß es in einer Mitteilung.
Roderich Kiesewetter, Sicherheitsexperte der CDU, sprach gegenüber dem Tagesspiegel von „Geiseldiplomatie“ und äußerte die Befürchtung, dass „dass mit der Freilassung des verurteilten Tiergarten-Mörders ein Präzedenzfall geschaffen wird, der von Russland politisch massiv ausgenutzt werden kann.“ Michael Roth (SPD), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, fasste die Situation auf der Plattform X so zusammen: „Manchmal muss man aus Gründen der Menschlichkeit mit dem Teufel einen Deal machen“. (bme mit AFP/dpa)