„Ich hatte Angst vor mir selbst“ – Pilot musste trotz Tod der Mutter ins Cockpit

Der ehemalige Pilot Heiner Lüscher erzählt, wie er kurz nach dem Tod seiner Mutter ein Flugzeug fliegen musste. Erst vor knapp einem Monat ist ein Air-India-Flugzeug in dem indischen Ahmedabad abgestürzt. An Board starben 241 Insassen und 19 weitere Menschen auf dem Boden

Die Tragödie hat viele Fragen aufgeworfen, unter anderem danach, wie die psychische Verfassung von Piloten im Blick behalten werden könnte.

Pilot muss direkt nach dem Tod der Mutter fliegen

Im Gespräch mit der Schweizer Tageszeitung "Blick" erinnert sich Lüscher, wie er im September 2005 im Zug Richtung Bologna sitzt. Der heute 76-Jährige ist auf dem Weg zu einem Einsatz für eine private Fluggesellschaft. Dann erreicht ihn die Nachricht, die ihm den Boden unter den Füßen wegzieht: Seine Mutter Lisa ist gestorben, im Alter von 97 Jahren, nach gesundheitlichen Komplikationen.

Nur Stunden später soll Lüscher wieder ein Flugzeug steuern. "Ich hatte am nächsten Tag vier Flüge vor mir, die ich nicht absagen konnte, da mein Chefpilot keinen Ersatz fand." Also willigt er ein – jedoch mit Bauchschmerzen. Obwohl der anschließende Flug technisch reibungslos verläuft, bleibt die Erfahrung in Lüscher tief eingebrannt.

Pilot fordert mehr Sensibilität: "Ich hatte Angst vor mir selbst"

Nach dem Absturz des Air-India-Flugzeugs deuten die Ermittlungen auf eine unterbrochene Treibstoffzufuhr hin, möglicherweise durch menschliches Versagen. Besonders tragisch: Einer der Piloten soll kurz zuvor seine Mutter verloren haben. Die Frage steht im Raum, ob psychische Belastungen zu einer fatalen Fehlentscheidung geführt haben. 

"Ich kann mir schon vorstellen, dass der Tod der Mutter vom Piloten im Fall von Indien allenfalls eine Rolle gespielt hat", so der ehemalige Pilot Lüscher. Dabei verweist er auf die hohe Anstrengung und die Auswirkungen, die psychisch belastende Situationen auf die Berufsausübung haben können.

Air-India-Absturz: Das ist bislang bekannt

Laut einem vorläufigen Bericht wurde die Treibstoffzufuhr der Triebwerke 1 und 2 offenbar gezielt abgeschaltet – nur eine Sekunde, nachdem das Flugzeug seine maximale Geschwindigkeit erreicht hatte. Im Fokus steht nun Kapitän Sumeet Sabharwal, ein erfahrener Pilot mit mehr als 8200 Flugstunden. Hinweise auf technisches Versagen gibt es keine.

Hintergrundinformationen deuten darauf hin, dass Sabharwal psychisch belastet gewesen sein könnte. Er hatte sich wegen gesundheitlicher Probleme jahrelang vom Dienst befreien lassen, stand offenbar unter starkem familiären Druck und hatte über einen vorzeitigen Ruhestand nachgedacht. 

Beruf des Pilots: Hohe Verantwortung und psychische Belastung

Laut der französischen Untersuchungsbehörde BEA ist der Beruf des Pilots tatsächlich mit sehr hohen Anforderungen verbunden, die mitunter psychische Erkrankungen verursachen können. Risikofaktoren sind dabei:

  • Hoher Leistungsdruck und Verantwortung für zahlreiche Passagiere
  • Unregelmäßige Arbeitszeiten und Jetlag
  • Lange Trennung von Familie und Freunden
  • Isolierte Arbeitsumgebung im Cockpit
  • Potenziell traumatische Ereignisse wie Notlandungen

Enorme Verantwortung: Psyche von Piloten im Blick behalten

Wie Lüscher verweisen auch zahlreiche Experten darauf, die Psyche von Piloten im Blick zu behalten. Sie tragen enorme Verantwortung, aber sie sind immer noch Menschen mit einem Privatleben. Der Absturz des Air-India-Flugzeugs zeigt dabei den bestehenden Handlungsbedarf einmal mehr.

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