In Wirklichkeit ist sein Leben weit entfernt von dem, was er vorgibt zu sein. Er wusste es. Nur wir noch nicht. Am Abend einer Tagung bricht die Fassade. Bis dahin tritt er auf wie immer. Selbstbewusst, weltgewandt. Ein Großmeister des Name-Droppings.
Jedes Gespräch, jedes Treffen, dem er beiwohnt, ist eine Gelegenheit für ihn, die Namen von Prominenten und Berühmtheiten in die Luft zu werfen, als wären sie Sterne, die er anschließend - wie nebenbei - vom Himmel pflückt. Er verweist auf Begegnungen mit Politikern, exklusive Events mit Hollywoodstars und intime Unterhaltungen mit renommierten Künstlern.
In der Typologie der Name-Dropper, die viele Formen der Selbstwertsteigerung umfasst - von laut bis verkniffen -, zählt er eher zu den beiläufigen Trittbrettfahrern. So wirkt es fast elegant, als er uns während der Diskussion über einen Spitzenpolitiker wissen lässt, dieser sei „privat ein wirklich vergnüglicher Zeitgenosse“, der „in den monatlichen Jour Fixes überraschend schnell auf den Punkt“ käme. Implizit natürlich nicht so schnell wie er selbst. Er lehnt sich neben mir zufrieden zurück und genießt die Aufmerksamkeit.
Über Karl-Theodor zu Guttenberg
Karl-Theodor zu Guttenberg wurde bekannt als Bundesminister. Heute ist der ehemalige Politiker Unternehmer, Co-Produzent und Moderator von Dokumentarfilmen und anderen publizistischen Formaten. Er veröffentlicht in englisch- und deutschsprachigen Medien. Seit Juni 2023 ist KT zusammen mit Gregor Gysi Host des Podcasts "Gysi gegen Guttenberg".
Im Laufe des Abends steuere ich - selbst gefährlich nahe an der Wichtigtuerfalle - das Gespräch auf einen bekannten amerikanischen Unternehmer. Ich verschweige, dass ich ihn gut kenne, mich interessiert aber die Meinung der Anwesenden. Mein Nachbar hält sich zunächst zurück. Nach einer besonders kritischen Anmerkung mischt er sich ein: „Ich bin seit Jahren eng mit ihm befreundet. Diese Einschätzung teile ich nicht.“ Er liefert plausible Argumente.
„Wer um alles in der Welt ist der Typ neben Dir?“
Während einer Pause bedanke ich mich leise bei ihm, offenbare ihm die „gemeinsame Bekanntschaft“ und frage, ob wir dem Unternehmer nicht ein Foto von uns beiden schicken sollten. Er ziert sich. Die Bitte ist ihm sichtlich unangenehm, aber er willigt ein. Ich sende das Bild an den Amerikaner. Dieser antwortet nach wenigen Sekunden: „Schön, von Dir zu hören. Aber wer um alles in der Welt ist der Typ neben Dir?“ Mein Nachbar sieht den Text. Er blickt mich an. Ich habe kein Interesse, ihn bloßzustellen.
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Dann nimmt der Abend eine überraschende Wendung. Der Entlarvte klopft an sein Glas: „Ich bitte um Entschuldigung.“
„Wofür?“
„Ich habe mit meinen Kontakten maßlos übertrieben. Seit Langem. Ich schäme mich für das Eindruckschinden. Ich weiß nicht, was mich getrieben hat. Womöglich der Drang nach Anerkennung.“
Stille.
Hahnenkampf der Bedeutungsgockel
Bis einer sagt: „Wir machen es doch alle. Vielleicht sollten wir uns gelegentlich eingestehen, dass wir nur Flöhe im Hermelinmantel anderer sind.“ Spätestens in diesem Moment war nicht nur der Name-Dropper in der Wirklichkeit seines Lebens angekommen. Sondern auch wir, die wir im Hahnenkampf der Bedeutungsgockel verlässlich Federn lassen dürfen.
Der Reichtum der deutschen Sprache kennt übrigens keinen Begriff für dieses Verhalten. Als wäre es in unserer Kultur nicht verankert. Die Realität spottet dieser Annahme. Es wurde ein lange Nacht.
Einladung zum Nachdenken
Der frühere Spitzenpolitiker Karl-Theodor zu Guttenberg hat sich inzwischen einen gelasseneren, aber nicht minder scharfen Blick auf die Dinge angewöhnt. Er lässt uns auf charmante Art an seinen Alltagserlebnissen und Gedanken teilhaben.