Karl-Theodor zu Guttenberg - Was Tiraden eines Vaters in Berlin-Mitte über unser derzeitiges Weltbild verraten

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Sebastian Gollnow/dpa Karl-Theodor zu Guttenberg
Montag, 08.04.2024, 10:04

„Nichts funktioniert in unserem Land.“ Ich stehe an einer Kreuzung in Berlin und blicke zu dem Mann, der sich soeben lautstark echauffiert hat. An seiner Seite die Ehefrau und zwei kleine Töchter. Die Ampelanlage ist defekt. Die Autofahrer ringen regelvergessen mit ihrer Überforderung.

Passiert gelegentlich. Nicht nur in Deutschland. Neben mir setzt der Familienvater seine Tiraden fort: „Alles geht den Bach hinunter. Die Wirtschaft. Unsere Schulen. Das Gesundheitssystem. Ein Desaster. Dann die Flüchtlinge. Und diese ganze schreckliche Stadt eine einzige Baustelle.”

Ich sehe mich um. Wir befinden uns in einer der schönsten Ecken von Berlin-Mitte. Das triste Grau der Nachwendezeit ist längst gewichen. Nirgends steht ein Gerüst. Weit und breit keine Straßensperrung. „Selbst das Wetter ist beschissen”, sekundiert seine Frau. Eine interessante Wahrnehmung. Seit geraumer Zeit bahnt sich nämlich die Sonne ihren Weg durch die schweren Wolken. Die Kinder blicken nach oben. Ratlos.

Über Karl-Theodor zu Guttenberg

Karl-Theodor zu Guttenberg wurde bekannt als Bundesminister. Heute ist der ehemalige Politiker Unternehmer, Co-Produzent und Moderator von Dokumentarfilmen und anderen publizistischen Formaten. Er veröffentlicht in englisch- und deutschsprachigen Medien. Seit Juni 2023 ist KT zusammen mit Gregor Gysi Host des Podcasts "Gysi gegen Guttenberg".



Eines stubst seine Eltern an, die sich unablässig weiter aufregen: „Aber es scheint doch die Sonne. Der Himmel ist wunderschön.” Tatsächlich leuchtet er an diesem frühen Abend in schillernden Farben. Die Mutter grantelt: „Für zwei Minuten, dann regnet es wieder. Es ist zum Mäusemelken.“ Beide Mädchen feixen über die praktische Umsetzung des Mäusemelkens - bis wir alle vom Trubel auf der anderen Straßenseite abgelenkt werden.

„Unmöglich“ - Sogar ein entlaufener Dackel sorgt für Empörung

Dort ist ein junger Dackel seinem Herrchen entwischt. Mehrere Passanten versuchen erfolglos, ihn einzufangen. Er rettet sich in ein Lokal. Ausgerechnet. Eine herrlich groteske Szene. „Unmöglich, diese Hundehalter“, stänkert der Vater.

Ich frage mich, mit welchem Weltbild diese Kinder wohl aufwachsen. Verlieren wir mit zunehmenden Alter die Fähigkeit, uns an den vordergründig kleinen Dingen, Schönheiten und Kuriositäten dieser Welt zu erfreuen? Ist das „Ja, aber“ ein konstituierendes Merkmal unserer heutigen Mentalität? Es zieht sich jedenfalls durch Kommentarspalten, Rezensionen und allabendliche Talkrunden.

Die Begriffe Zuversicht und Optimismus scheinen derzeit gute Aussichten für eine Sonderausstellung im nahegelegenen Deutschen Historischen Museum zu haben.

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Der Artikel erschien zuerst hier auf LinkedIn.

Einladung zum Nachdenken

Der frühere Spitzenpolitiker Karl-Theodor zu Guttenberg hat sich inzwischen einen gelasseneren, aber nicht minder scharfen Blick auf die Dinge angewöhnt. Er lässt uns auf charmante Art an seinen Alltagserlebnissen und Gedanken teilhaben.

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