Der erste Krieg auf X: Wie Israel, Iran und Elon Musk das Schlachtfeld ins Netz verlegen

Während in Nahost Bomben fallen, Raketen starten und Kommandeure ausgeschaltet werden, spielt sich ein mindestens ebenso wirkungsmächtiger Konflikt ganz woanders ab: auf Smartphones. In Echtzeit, ungefiltert, algorithmisch verstärkt. Der erste Krieg, der nicht nur im physischen Raum, sondern vor allem im digitalen Bewusstsein entschieden wird, ist Realität geworden.

Über Guy Katz

Guy Katz, deutsch-israelischer und jüdischer Professor für International Business Management an der Hochschule München, kam 2004 aus Israel nach Deutschland. Vor seiner akademischen Karriere arbeitete er als Nachrichtenoffizier in der israelischen Armee. Katz, der Enkel von vier Holocaustüberlebenden, ist verheiratet und hat zwei Söhne. Oft wird er als "Fliegender Professor" bezeichnet, da er leidenschaftlich gerne selbst fliegt und sogar Fluglehrer ist – eine Kombination, die seine Begeisterung für die Lehre an der Hochschule, in Unternehmen und beim Fliegen vereint.

Der Informationskrieg ist das neue Schlachtfeld

Wer heute glaubt, Kriege würden allein mit Soldaten, Drohnen und Geheimdiensten geführt, denkt zu kurz. Längst haben Plattformen wie X (ehemals Twitter), Telegram oder TikTok die Rolle übernommen, die früher Radio London, Flugblätter oder CNN innehatten: Sie erzeugen die Wahrnehmung von Krieg – und damit dessen Wirkung.

Das zeigt sich derzeit besonders im Spannungsfeld zwischen Israel und dem Iran. Während westliche Diplomaten noch zu vermitteln versuchen, ist auf Social Media längst ein neuer Krieg ausgebrochen – um Deutungshoheit, Moral, Einfluss. Wer dort verliert, verliert auch real.

1. Wenn Telegram schneller ist als die Diplomatie

Die russische Regierung evakuierte kürzlich überraschend alle russischen Bürger aus dem Iran – nicht per Pressemitteilung oder Nachrichtensendung, sondern über Telegram. Gleichzeitig wurde das russische Konsulat in Teheran geschlossen. Das war kein symbolischer Akt, sondern ein sehr reales Zeichen dafür, dass sich etwas Grundlegendes verändert hat. Und während europäische Spitzenpolitiker noch gebetsmühlenartig "Deeskalation" forderten, hatte sich das Machtgefüge längst verschoben.

2. Elon Musks Starlink als Gamechanger

Als das iranische Regime inmitten wachsender Proteste das Internet abstellte, reagierte Elon Musk persönlich. Innerhalb kürzester Zeit wurde Starlink für die iranische Bevölkerung freigeschaltet. Das Ergebnis: Ein Strom von Videos und Berichten aus dem Inneren des Landes.

Menschen streamten Demonstrationen, Luftschläge und sogar Live-Bilder von Widerstandszellen. Der Versuch des Regimes, die Bevölkerung von der Welt abzuschneiden, wurde in Echtzeit durchkreuzt – von einem Tech-Milliardär.

3. Zielansprache per Hashtag: "Bombt das Basij-Hauptquartier"

Besonders verstörend und gleichzeitig faszinierend ist die neue Nähe zwischen digitalen Appellen und militärischer Umsetzung. Auf X wandten sich oppositionelle Iraner direkt an Israels Premierminister Benjamin Netanyahu und die israelische Luftwaffe: "Wenn ihr wollt, dass wir auf die Straße gehen, zerstört bitte das Meqdad-Basij-Hauptquartier in Teheran." Die Einrichtung ist berüchtigt für Folter und Repression.

Nur wenige Stunden später meldeten OSINT-Kanäle (Open Source Intelligence), dass genau dieses Gebäude bei einem gezielten Luftschlag getroffen worden sei. Ob das ein geplanter Schlag war oder eine direkte Reaktion auf das öffentliche Bitten – es markiert eine Zäsur in der militärischen Kommunikation.

4. Kein Systemwechsel – sondern Operator-Reset

Die Ziele Israels wirken selektiv und chirurgisch: Der Polizeichef Teherans wurde ausgeschaltet, ebenso der Chef des iranischen Geheimdienstes sowie dessen Stellvertreter. Diese Personen waren nicht primär für Angriffe auf Israel zuständig – sondern für die systematische Unterdrückung der eigenen Bevölkerung.

Die Botschaft ist klar: Israel unterstützt den Wandel – nicht durch Invasion, sondern durch das gezielte Entfernen der Repressionsarchitektur.

5. Ästhetisierter Widerstand: Popcorn auf den Dächern

Parallel dazu überschwemmen TikTok-Videos das Netz. Iraner filmen sich auf Hausdächern – jubelnd, teilweise mit Popcorntüten, während israelische Jets Luftschläge durchführen. Was wie ein bizarres Meme wirkt, ist in Wahrheit ein Bruch mit der üblichen Opfer-Narrative.

Noch überraschender: Selbst RT, der russische Propagandasender, verbreitet diese Clips. Offenbar zählt in diesem neuen Informationskrieg weniger die politische Loyalität als die virale Reichweite.

6. Der Kronprinz sendet – nicht via BBC, sondern über TikTok

In einem der bizarrsten Momente der jüngeren Mediengeschichte richtet Reza Pahlavi, Sohn des letzten Schahs, eine Rede auf Fox News direkt an das iranische Volk – auf Farsi. Parallel dazu kursieren seine Aussagen millionenfach auf TikTok.

Kein offizieller Sender, kein staatliches Medium, sondern pure Direktkommunikation mit der Bevölkerung. Ein Monarch ohne Krone – aber mit Bandbreite.

7. Die Photoshop-F-35: Propaganda oder Peinlichkeit?

Iranische regimefreundliche Accounts veröffentlichten stolz das Bild eines angeblich abgeschossenen israelischen F-35-Kampfjets. Das Problem: Das Flugzeug im Bild wäre – gemessen an den umstehenden Gebäuden – etwa 100 Meter lang. Eine echte F-35 misst 15,7 Meter.

Der Spott im Netz ließ nicht lange auf sich warten: "Vielleicht hat Israel ja ein fliegendes Mutterschiff gebaut." Ein Meme, das zeigt: Auch digitale Inkompetenz kann heute strategischer Schaden sein.

Was bleibt: Der Krieg ist sichtbar, aber nicht mehr greifbar

Was dieser Konflikt zeigt, ist eine neue Realität: Der Kampf um Narrative ist keine Nebenbühne – er ist die Hauptarena. Und in dieser Arena gelten andere Regeln:

  1. Geschwindigkeit schlägt Genauigkeit. Wer zuerst postet, formt den Diskurs.
  2. Plattformen sind Akteure. X, Starlink, Telegram – sie beeinflussen, was passiert.
  3. Transparenz ist Teil der Taktik. Offene Quellen, Bilder und Videos sind längst strategisches Werkzeug.
  4. Erzählungen sind Waffen. Wer seine Geschichte nicht kontrolliert, wird Teil einer fremden.

Ob Israel diese Erzählung bewusst steuert oder nur schnell genug reagiert, bleibt offen. Sicher ist: Wer im digitalen Raum gewinnt, muss den physischen Krieg vielleicht gar nicht mehr vollständig führen.

Willkommen im Zeitalter der scrollbaren Kriegsführung.

Dieser Beitrag stammt aus dem EXPERTS Circle – einem Netzwerk ausgewählter Fachleute mit fundiertem Wissen und langjähriger Erfahrung. Die Inhalte basieren auf individuellen Einschätzungen und orientieren sich am aktuellen Stand von Wissenschaft und Praxis.