Respekt vor dem Wähler oder Kapitulation? Experte seziert Spahns AfD-Vorschlag
Jens Spahn hat am Wochenende – in längeren Interviews in der "Bild"-Zeitung und im ZDF – für eine Normalisierung des Umgangs mit der AfD plädiert. Insbesondere ging es zunächst um die Anerkennung des Wählerwillens: Spahn betonte, dass Millionen Deutsche die AfD gewählt haben und diese nicht dauerhaft ausgegrenzt werden sollten. Zudem sollte die Politik den Wählerwillen ernst nehmen und man dürfe die AfD nicht durch Geschäftsordnungstricks ausgrenzen.
Zweitens schloss aber auch Spahn eine Zusammenarbeit mit der AfD auf Bundes- und Landesebene aus. Und drittens plädierte er für eine harte inhaltliche Auseinandersetzung und Konfrontation mit der AfD.
Massive Kritik an Jens Spahns AfD-Vorstoß
Kritik kam dennoch etwa von Franziska Brantner (Grüne) und Heidi Reichinnek (Linke). Deren Geschäftsmodell ist vor allem das Verteidigen und Festhalten an der sogenannte Brandmauer. Diese Mauer bekommt jedoch Risse, wenn etwa Ausschussvorsitze im Bundestag an die AfD gehen würden.
Spahn bekam aber nicht nur Kritik, sondern vom CDU-Ministerpräsident Kretschmer aus Sachsen Rückendeckung. Neu ist vor allem der Fakt, dass nun ein Unionsspitzenpolitiker für einen pragmatischen Umgang mit der AfD wirbt.
In der vergangenen Legislaturperiode wurden der AfD nicht nur drei Ausschussvorsitzende sowie weitere Positionen wie etwa das Vizepräsidentenamt im Bundestag verwehrt. Die Linke bekam dagegen beides.
In anderen Ländern wäre das ein demokratischer Rückschritt
Auch im neuen Bundestag gibt es keinen AfD-Vizepräsidenten des Bundestags. Die Argumentation zur Rechtfertigung ist dabei, dass es sich um Wahlen handelt und die Mehrheit nun mal so entschieden hätte.
Das mag formal so gehen, aber es gibt auch Gepflogenheiten und Traditionen, die seit Beginn des Parlamentarismus entstanden und gewachsen sind. Tatsächlich gehört es etwa zur Demokratie, dass Parteien entsprechend ihrer Stärke an den Ausschussvorsitzen beteiligt werden. Auch steht der größten Oppositionspartei traditionell der Vorsitz im Haushaltsausschuss zu.
Ausschüsse sind zentrales Instrument der Parlamentskontrolle
Hier geht es um parlamentarische Kontrolle und Herrschaftskontrolle, ein zentrales Element der Demokratie. Eine der wichtigsten Aufgaben des Parlaments, insbesondere der Opposition, ist die Kontrolle der Regierung.
Und Ausschüsse sind ein zentrales Instrument dieser Parlamentskontrolle. Mit dem Ausschluss der größten Oppositionspartei wird natürlich auch eine solche Kontrolle verhindert. In anderen Ländern würden wir das als demokratischen Rückschritt, als demokratisches „Backsliding“, bezeichnen.
Hätte die AfD solche Posten inne, würde das ihnen nicht nur mehr mediale Sichtbarkeit verschaffen, sondern auch einen Legitimitätsgewinn, der eine formale Anerkennung darstellen würde. Diese Art der „Normalisierung“ wäre natürlich im Sinne der AfD. Aber die AfD könnte auch ein Agenda-Setting betreiben, in dem sie Themen setzt oder auch ideologisch nahestehende Experten einlädt.

Darum kommt kein AfD-Abgeordneter zum Zug
Die Geschäftsordnung des Bundestages (GOBT) hatte man schon 2017 geändert, um einen Alterspräsidenten der AfD zu verhindern, der die konstituierende Sitzung des Bundestags eröffnet hätte. Nun darf der dienstälteste Parlamentarier den Bundestag eröffnen, 2021 war das Wolfgang Schäuble (CDU) und 2025 Gysi von den Linken, als „IM Notar“ der Stasi auch kein Leuchtturm auf der Position.
In der Vergangenheit wurde durch die Geschäftsordnung die Zuteilung auf die Ausschüsse geändert, um die Linke aus gewissen Ausschüssen herauszuhalten. Das sind allesamt Taschenspielertricks, um einen kurzfristigen Erfolg zu erzielen. Langfristig beschädigen diese Politiktricks die Institutionen selbst. Genau wie die Spielchen der Ampel-Regierung mit dem Wahlrecht und den ungedeckten Wahlkreisen bei der letzten Bundestagswahl.
In Sachsen gibt es AfD-Vizepräsidenten im Landtag
In einigen ostdeutschen Landtagen geht man mit der Frage mittlerweile entspannter um: In Sachsen gibt es etwa einen AfD-Vizepräsidenten im Landtag. Für den Bundestag sind die Verfahren eigentlich klar geregelt. So heißt es in § 12 GOBT: „Die Zusammensetzung des Ältestenrates und der Ausschüsse sowie die Regelung des Vorsitzes in den Ausschüssen ist im Verhältnis der Stärke der einzelnen Fraktionen vorzunehmen.“
Dennoch kommt kein AfD-Abgeordneter zum Zuge, weil diese gewählt werden müssen und alle anderen Parteien die Wahl verweigern. Aktuell ist das auch in Thüringen so und die AfD revanchiert sich damit, dass sie durch ihre Sperrminorität die Wahl von Richtern blockiert. So kommt es zu einem blockierten Staat.
Die Brandmauer steht auch bei der Raumverteilung
Lars Klingbeils Ankündigung, man werde "alles dafür tun, dass der Otto-Wels-Saal fest in sozialdemokratischer Hand bleibt", hat einen hohen symbolischen Gehalt. Denn der Otto-Wels-Saal ist nach dem SPD-Politiker benannt, der 1933 in einer Reichstagsrede gegen das Ermächtigungsgesetz Stellung bezog. Eine bemerkenswerte Rede übrigens. Otto Wels ist also eine Galionsfigur der SPD und wenn die SPD den Saal räumen muss und der AfD überlassen müsste, wäre dies natürlich eine gefühlte Niederlage.
Das wäre vergleichbar wie ein permanenter Auswärtssieg von Bayern München bei Dortmund über vier Jahre hinweg. Für die Bundestagsverwaltung gibt es übrigens keinen Otto-Wels-Saal, sondern nur einen Saal mit der Raumnummer 3.101. Natürlich will Klingbeil hier vor allem die eigene Basis mobilisieren.
Er vermittelt damit Kampfbereitschaft gegen die AfD und setzt die Sozialdemokratie als „Hüterin der Demokratie“ in Szene. Da werden typische sozialdemokratische Werte und Bilder bedient: „United we stay strong“ oder „You never walk alone“, um in der Fussballersprache zu bleiben. Da soll kein Millimeter zurückgewichen werden, selbst wenn man formal keinen Anspruch auf den Raum hat. Wichtig ist: Die Brandmauer steht auch bei der Raumverteilung.
Politik muss Lösungsangebote machen
Zunächst plädierte Spahn für eine differenzierte Auseinandersetzung mit der AfD, auch um deren Wähler zurückzugewinnen. Das ist erst einmal konstruktiver als die Brandmauer-Rhetorik. Auch die Forderung nach inhaltlicher Auseinandersetzung ist da schon ein Fortschritt. Politik muss Lösungsangebote machen und umsetzen.
Das hat Spahn richtig erkannt. Die vorhergehende Regierung und die sie tragenden Parteien haben das offensichtlich nicht geschafft, sonst wären sie nicht abgewählt worden. Insofern zeigt Spahn hier auch eine gewisse Freude am politischen Risiko.
Denn ihm war sicherlich bewusst, dass da die immer gleichen Reflexe kommen werden und die üblichen Verdächtigen den medialen Shitstorm gegen ihn auslösen. Immerhin zeigt sich Spahn als „politischer Unternehmer“, der eigene Strategien entwickelt. Ob sich das für ihn aber auszahlen wird, steht auf einem anderen Blatt.
Dieser Content stammt aus unserem EXPERTS Circle. Unsere Experts verfügen über hohes Fachwissen in ihrem Bereich. Sie sind nicht Teil der Redaktion.