Neue Ampel-Regeln für die Rente: Experten bemängeln „Fehlanreize“ für Rentner und Rentnerinnen
Die Ampel-Koalition will längeres Arbeiten belohnen und Rentnern ermöglichen, so ihre Rente aufzubessern. Doch Experten kritisieren das Vorhaben.
Berlin – Fachkräftemangel und ein bald aus allen Nähten platzendes Rentensystem: In den kommenden Jahren wird sich die geburtenstarke Babyboomer-Generation in den Ruhestand verabschieden. Nun sollen Deutschlands Senioren dazu angehalten werden, länger zu arbeiten. Die Ampel-Koalition plant, dies unter anderem mit einer Rentenaufschubprämie zu erreichen.
Neue Anreize für Rentner: Experten über Rentenaufschubprämie – „Das Vorhaben ist hochkompliziert“
Diese soll folgendermaßen funktionieren: Wer mindestens ein Jahr länger gearbeitet hat, kann sich die höheren Anwartschaften auf einen Schlag auszahlen lassen. Die Prämie soll bis zu drei Jahre angespart werden dürfen und zum Start in den Ruhestand ausgezahlt werden. Dabei soll sich der Bonus aus dem Monatsbetrag der Rente zum Zeitpunkt des aufgeschobenen Rentenbeginns ergeben und der Anzahl der Monate, die die Rente nach Erreichen der Regelaltersgrenze nicht in Anspruch genommen wurde.
Das Besondere daran: „Die Einmalzahlung soll abgabenfrei erfolgen und um den bis dahin eingesparten Beitragszuschuss der gesetzlichen Rentenversicherung zur Krankenversicherung aufgestockt werden. Damit fehlen der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung dann die Beiträge, die eigentlich bei einer um den Bonus erhöhten Monatsrente fällig werden“, merkt das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW Köln) in einer Mitteilung an. Ob sich das im Einzelfall rechne, hänge unter anderem vom Haushaltseinkommen sowie der Steuer- und Beitragslast ab. Doch schon das würde zeigen: „Das Vorhaben ist hochkompliziert.“
Das IW Köln identifiziert zudem ein weiteres „Problem“ bei der Rentenaufschubprämie – nämlich, dass Arbeitgeber den Renten- und Arbeitslosenversicherungsanteil direkt als Bruttolohn auszahlen. Das funktioniere aber nur, wenn sich die Interessenten von der Versicherungspflicht befreien lassen. Das hätte folgende Auswirkung: „Ältere Arbeitnehmer könnten bei gleicher Arbeit mehr verdienen als ihre jüngeren Kollegen. Dies dürfte nicht nur Unruhe in die Betriebe bringen, sondern könnte auch die Gerichte beschäftigten – ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot wegen Alters steht im Raum“, skizzieren die Experten.
Kritik von Experten an Renten-Vorhaben der Ampel: „Hilfreicher wäre es, Fehlanreize zu beseitigen“
Stattdessen schlagen sie eine andere Gangart vor: „Hilfreicher wäre es, Fehlanreize zu beseitigen, die zu einem vorzeitigen Rentenbezug führen“, so das IW. Konkret: „Besser wäre es, die abschlagsfreie Frührente zu streichen und die Hinzuverdienstgrenze bei vorgezogenem Rentenbezug wieder einzuführen“, fordert IW-Experte Jochen Pimpertz. „Die Rente soll das Arbeitseinkommen ersetzen, nicht zusätzlich aufstocken.“
Mit seiner Ansicht steht der IW-Experte nicht alleine da. Auch der Top-Ökonom und Ex-Wirtschaftweise Hans-Werner Sinn forderte erst vor kurzem, „Fehlanreize für eine Frühverrentung“ abzuschaffen, also den Abschlag auf die Frührente stark zu erhöhen. Zudem spricht er sich in einem Gastbeitrag der Wirtschaftswoche für die automatisierte Erhöhung des Renteneintrittsalters aus, die sich an der Erhöhung des durchschnittlichen Sterbealters orientiert.
Auch einer der aktuellen Wirtschaftsweisen, Martin Werding, fordert höhere Abschläge für Arbeitnehmer, die vorzeitig in Rente gehen. Die Freiheit, ab 63 Jahren mit Abschlägen in Rente zu gehen, sei zwar in Ordnung, sagte Werding kürzlich der Funke Mediengruppe. „Abschläge von 3,6 Prozent pro Jahr sind dafür aber zu niedrig. Stattdessen müssten es fünf bis sechs Prozent sein“, schlug er vor.
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Früher in Rente: Ampel will Frührente nicht abschaffen
Eine Abschaffung der Frührente in der jetzigen Form ist aber vor allem für die Ampel-Partei SPD tabu. Forderungen der Arbeitgeber und mancher Experten, die abschlagsfreie Rente nach 45 Versicherungsjahren wegen ihrer Kosten und wegen vieler vorzeitiger Übertritte vom Job in die Rente abzuschaffen, will die Regierung weiter nicht nachkommen. Dies wäre nicht sachgerecht, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit.
Viele Betroffene ohne Studium hätten bereits in jungen Jahren zu arbeiten begonnen. Sie könnten nach 45 Versicherungsjahren passenderweise in Rente gehen. Die neuen Vorschläge sollen am 4. September im Bundeskabinett beschlossen werden, wie aus einem der dpa vorliegenden Anschreiben des Arbeitsressorts hervorgeht. Mit Material der dpa