Erfundene Vorwürfe gegen Stefan Gelbhaar - Gelbhaar-Skandal bei Grünen: Berliner Lokal-Politikerin legt Mandat nieder und tritt aus

Nach dem Skandal um mutmaßlich erfundene Belästigungsvorwürfe gegen den Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar gibt es bei den Berliner Grünen erste personelle Konsequenzen. 

Die Vorsitzende der Grüne-Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Mitte, Shirin Kreße, legte am Sonnabend ihr Mandat nieder und trat aus der Partei aus.

Shirin Kreße gibt Mandat ab und tritt aus Grünen aus

In einer E-Mail an den Kreisvorstand von Mitte und an die Vorsteherin der BVV erklärte sie am Samstagnachmittag ihren Verzicht auf das Mandat zum schnellstmöglichen Zeitpunkt, nannte aber keine Gründe dafür. 

Das bestätigten mehrere Quellen aus der Partei auf Bundes-, Landes- und Bezirksebene dem Tagesspiegel.

„Der Verdacht, dass eine falsche Erklärung gegen ein Parteimitglied mit schweren Vorwürfen erhoben wurde, ist gravierend“

Daneben erklärte Kreße ihren Parteiaustritt. Das bestätigte Nina Stahr, Co-Landeschefin der Berliner Grünen, am späten Abend. Damit kommt sie einem Parteiausschluss zuvor. Denn am Sonnabend hatte die Spitze der Bundespartei bereits angekündigt, ein Parteiausschlussverfahren durchzuführen, „sobald die Person (...) uns bekannt wird“.

„Der Verdacht, dass gegenüber der Presse eine falsche Erklärung gegen ein anderes Parteimitglied mit schweren Vorwürfen erhoben wurde, ist gravierend“, sagten die Grünen-Bundesvorsitzenden Franziska Brantner und Felix Banaszak.

Shirin Kreße reagierte auf Anrufe und schriftliche Anfragen nicht.

Nach Tagesspiegel-Recherchen soll Kreße unter falscher Identität eine eidesstattliche Versicherung abgegeben haben, in der Gelbhaar sexuelle Belästigung vorgeworfen wurde. 

Kreße selbst reagierte auf Anrufe und schriftliche Anfragen des Tagesspiegel am Sonnabend nicht. Sie ist in der Landespartei, insbesondere im linken Flügel, gut vernetzt, Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Feminismus und bis jetzt Mitarbeiterin eines Grünen-Politikers im Abgeordnetenhaus – seit Sonnabend aber nicht mehr.

Worum es genau bei ihm ging, wusste Gelbhaar lange nicht

Die 27-Jährige hatte in der Gelbhaar-Affäre nachweislich von Beginn an eine aktive Rolle gespielt. Kurz bevor der Parteitag der Berliner Grünen Mitte Dezember die Landesliste für die Bundestagswahl bestimmte, hatte Kreße bei einer Runde der Parteilinken laut Teilnehmern die Belästigungsvorwürfe erhoben.

Danach brachen in der Causa Gelbhaar alle Dämme – trotz Unschuldsvermutung. Der Landesvorstand forderte Gelbhaar zum Verzicht auf seine Listenkandidatur auf. Auch die Direktkandidatur wurde infrage gestellt, obwohl Gelbhaar schon einen Monat zuvor mit 98 Prozent gewählt worden war. Schließlich wurde auch das infrage gestellt, bei einer Neuwahl wurde dann die Abgeordnete Julia Schneider zur Direktkandidatin bestimmt.

Worum es genau ging, wusste Gelbhaar aber lange nicht. Der Ombudsstelle der Bundespartei lagen mehrere Beschwerden vor. Es sei immerhin eine Ombudsstelle „gegen sexualisierte Gewalt“, wie sich der Kreuzberger Werner Graf, Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, von der taz zitieren ließ. Der Ton war gesetzt, doch Gelbhaar konnte sich nicht wehren.

Zum Verdacht gegen Gelbhaar trug auch der RBB bei

Zum Verdacht, dass Gelbhaar Frauen sexuell belästigt haben soll, trug auch der RBB bei. Am Freitag musste der Sender aber zugeben, dass er offenbar einer Täuschung aufgesessen war. Eine Grünen-Bezirkspolitikerin habe die Vorwürfe der sexuellen Belästigung gegen Gelbhaar erfunden und dafür eine andere Identität vorgetäuscht. Der Sender löschte alle Beiträge dazu.

Eine „Anne K.“ hatte dem RBB zwar eine eidesstattliche Versicherung vorgelegt, doch der Sender hatte diese offenbar nicht ausreichend geprüft. Pikant: Das Justiziariat des RBB hatte alle Berichte zu den Vorwürfen abgesegnet.

RBB geht davon aus, dass Bezirkspolitikerin die eidesstattliche Versicherung gefälscht hat. 

Am Montag dann hatte der Tagesspiegel den Sender zu zweifelhaften Punkten in den Berichten befragt. Denn „Anne K.“ existiert laut amtlichem Melderegister in Berlin gar nicht. Zudem enthielt die eidesstattliche Versicherung kein Geburtsdatum. Vier Tage nach der bis dahin unbeantworteten Anfrage ging der Sender dann selbst an die Öffentlichkeit.

Der RBB geht inzwischen selbst davon aus, dass die Bezirkspolitikerin die eidesstattliche Versicherung gefälscht hatte. In Telefonaten hätte „Anne K.“ den angeblichen Übergriff von Gelbhaar geschildert, persönlich getroffen hatte die Redaktion die Frau nicht, verbreitete aber den Vorwurf, Gelbhaar habe sie zu einem Kuss gezwungen.

Zwei andere schwere Vorwürfe beruhten auf anonymen E-Mails, die dem RBB vorliegen und offenbar auch der Ombudsstelle. Auch diese E-Mails sollen von Kreße stammen. Laut RBB bestreitet sie aber, die Vorwürfe erfunden zu haben. Sie habe jedoch keine Belege für die Existenz von „Anne K.“ geliefert.

Kreße war Ende 2023 mit Antrag gegen Adenauer-Zitat bekannt geworden

Der RBB geht davon aus, dass die drei Hauptvorwürfe „frei erfunden“ sein könnten. Wesentliche Vorwürfe seien nun nichtig, andere Vorwürfe hätten eine deutlich „geringere Fallhöhe“, erklärt der RBB.

Kreße wurde mit der Wahl 2021 erstmals Bezirksverordnete, sie war auf Platz fünf der Bezirksliste und stieg gleich in den Fraktionsvorstand auf. Ihre Machtbasis hatte sie beim Parteinachwuchs „Grüne Jugend“, wurde Fraktionschefin und seither jedes Jahr im Amt bestätigt. Zudem war sie Fraktionssprecherin für Gesundheit und Queerpolitik.

Die „Grüne Jugend“ schmückte sich mit Kreße und beschrieb sie mit den Worten: „Besonders wichtig ist ihr hierbei ihre intersektionale, feministische Perspektive, um mehr Repräsentativität für die Büger*innen zu schaffen und sich für Menschen jeglicher Diskriminierungserfahrungen stark zu machen.“

Deutschlandweit bekannt geworden war Kreße, Jahrgang 1997, beim Bundesparteitag der Grünen in Karlsruhe im November 2023. Sie hatte beantragt, ein Zitat des ersten Bundeskanzlers der Bundesrepublik, Konrad Adenauer (CDU), zur europäischen Friedensordnung aus dem Wahlprogramm zu streichen. Kreße befand, Adenauer sei in seiner Zeit selbst für CDU-Politikerinnen zu sexistisch gewesen.

Von Alexander Fröhlich, Christian Latz