Entscheidungen auf der Rasierklinge: Martin Bachmaier aus Dorfen kennt extreme Gefahren und lehrt nun an der Polizeihochschule

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Kommunikation ist das A und O bei großen Einsatzlagen. Martin Bachmaier aus Dorfen hat in München einige davon erlebt. © privat

Martin Bachmaier muss Entscheidungen treffen, in denen es um Leben und Tod geht, um die ihn keiner beneidet und die ihm die wenigsten abnehmen wollen. Der 45 Jahre alte Dorfener ist beim Polizeipräsidium München und wird dann als Polizeiführer, sprich Einsatzleiter alarmiert, wenn „große Lagen“ zu bewältigen sind – Geiselnahmen, Amokläufe, Erpressungen und Bedrohungen.

Dorfen – Für drei Jahre wechselt Martin Bachmaier nun an die Deutsche Hochschule der Polizei in Münster. Seine Studenten dort sind die angehenden Top-Führungskräfte der Polizei aus ganz Deutschland – die mit den goldenen Sternen an der Uniform. Damit ist er erst einmal nicht mehr im aktiven Geschehen, bildet aber Führungskräfte aus und wird sich auch in der Forschung betätigen – vergleichbar mit einer Professur.

Sein Handeln sieht Bachmaier stets im Kontext mit dem Grundgesetz, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Denn wenn Gefahr im Verzug ist, müssen Entscheidungen getroffen werden, die Leib und Leben betreffen. Er selbst formuliert es so: „Das sind manchmal Entscheidungen auf der Rasierklinge.“ Sein Leitmotto: „Der Staat hat sich schützend vor das Leben zu stellen.“ Und schützenswert ist grundsätzlich auch das Leben eines Schwerverbrechers.

Bachmaier erinnert sich an einen Notruf vor einigen Jahren, dass am Ostbahnhof zwei Männer mit Waffen gesichtet worden seien. Später meldeten sich Zeugen, sie hätten einen Bewaffneten in einer Tram gesehen. Bei der Polizei lief ein standardisiertes Verfahren mit dem Leiter des Gesamteinsatzes und den Verantwortlichen für einzelne Abschnitte, darunter auch das SEK, an – alle Kompetenzen an einem Ort.

„In diesem Fall haben wir auf zivile Einsatzkräfte gesetzt, um die Lage nicht eskalieren zu lassen. Es waren dann Kollegen mit in der Tram. Plötzlich war erkennbar, dass der Mann die Waffe durchlädt“, erzählt der Dorfener. Die Zivilbeamten erhielten die Freigabe, im Äußersten zur Schusswaffe zu greifen, ehe er andere töten oder schwer verletzen kann. Doch es kam nicht zum Äußersten. „Die Kollegen haben so getan, als würden sie an der nächsten Haltestelle aussteigen. Dabei gelang es ihnen, den Mann zu überwältigen.

Bachmaier bekennt: „Ich liebe den Einsatz.“ Doch bei „großen Lagen“ ist er nicht unmittelbar vor Ort, sondern koordiniert vom Präsidium an der Ettstraße aus. „Wir sind in der Lage, sehr schnell einen Führungsstab zusammenzustellen“, sagt der 45-Jährige. Von der Einsatzstelle bekommt er in der Regel schnell Bilder, um einen Überblick über die Lage vor Ort zu bekommen. „Es gibt Situationen, an denen es Nachteile hat, wenn die Einsatzleitung vor Ort ist.“ Das sei etwa der Fall, wenn sich ein Entführer mit dem Auto entfernt.

Hintergründe und Folgen des Münchner Amoklaufs
Unvergessen wird der Terroranschlag am Olympiaeinkaufszentrum in München am 22. Juli 2016 bleiben. Martin Bachmaier war an diesem Abend Leiter der Einsatzzentrale. © Felix Hörhager

Es gibt Einsätze, die Bachmaier hautnah miterlebt hat – und die er nie vergessen wird. Ins nationale Gedächtnis eingebrannt hat sich der Terroranschlag am Olympiaeinkaufszentrum am 22. Juli 2016. „Ich bin damals zu Hause alarmiert worden und habe die Leitung der Einsatzzentrale übernommen“, erinnert er sich. Es seien dramatische Stunden gewesen, „weil wir anfangs davon ausgehen mussten, dass es mehrere Täter sind.“ Niemand wusste da, dass es ein rechtsextremer Einzeltäter war.

Zu diesem Zeitpunkt lag ein weiterer einprägsamer Einsatz gerade einmal acht Monate zurück: In einem Münchner Hotel hatten sich am 20. November 2015 Männer einquartiert, bei denen der Verdacht bestand, dass es sich um Terroristen aus Frankreich handeln könnte, die im Zusammenhang mit den Terroranschlägen von Paris, unter anderem auf das Theater Bataclan, stehen. Auf dem Zimmer wurde dann auch noch eine Gasflasche gefunden. „Hier standen wir vor der Frage, ob und wann wir zugreifen, spricht gewaltsam ins Zimmer eindringen – und möglicherweise Kollegen in größte Gefahr bringen“, sagt Bachmaier. Wenig später konnten die Männer, es handelte sich um Schleuser, festgenommen werden.

Mit diesem reichen Erfahrungsschatz ist Bachmaier, der im September 1997 bei der Bereitschaftspolizei in Eichstätt in den Beruf eingestiegen ist, nun an die Polizeihochschule nach Münster gewechselt – allerdings nur für drei Jahre, „denn ich will nah am Geschehen bleiben“.

Er weiß: Die rechtlichen Vorgaben kennt jeder Polizist, ebenso seine Grenzen. „Mein Anliegen ist es, die Kollegen taktisch, genauso aber auch ethisch aufzustellen, im Hochstress entscheiden zu können“, sagt er – und vermeidet dabei absichtlich die Formulierung „richtig entscheiden“. Die Entscheider müssten das Rüstzeug bekommen abzuwägen. Eine Prämisse sei dabei: Menschenleben können nicht gegeneinander aufgewogen werden. „Zum Glück ist das in Deutschland wie in vielen anderen westlichen Ländern so. Es darf auch kein Leben geopfert oder die Unversehrtheit verletzt werden, um ein anderes Leben zu retten.“ Das ist eine wichtige Grundlage des Rechtsstaats, was vom Bundesverfassungsgericht höchstrichterlich mehrfach bestätigt wurde.

Und wie geht es einem nach solchen Einsätzen? „Oftmals ein paar Tage richtig schlecht“, gibt Bachmaier zu. Er ist aktiver Läufer und Skifahrer, greift aber auch mal gerne zu einem guten Buch, um den Kopf freizubekommen. Und: Martin Bachmaier hat eine Frau und drei Kinder, die sein ganzer Lebensinhalt sind. Manchmal schaut er sie nach harten Tagen an und denkt sich: „Für euch mach’ ich das alles.“

Dabei geht es ihm nicht nur um Sicherheit, sondern auch um das Wissen, dass eine gut aufgestellte Polizei mit klaren Regeln und keiner Willkür Stabilitätspfeiler einer freien Gesellschaft ist. Bei Einsätzen würden nicht nur Menschen geschützt, sondern auch die Demokratie, findet er.

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