Kempten: „Obersternsinger“ Hugo Naumann ist mit 87 Jahren noch immer am Mariaberg unterwegs

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Damit die Gewänder der Sternsinger richtig schön aussehen, hat die Pfarrei St. Lorenz einen eigenen Fundus an Kleidung angelegt, geordnet nach Farben und Größen. © privat

In diesen Tagen ziehen die Sternsinger wieder für einen guten Zweck von Haus zu Haus und bringen an den Türen ihren Segen an. Hugo Naumann aus der Pfarrei St. Lorenz ist Deutschlands ältester Sternsinger.

Kempten – Im Interview mit dem Kreisboten erzählt Hugo Naumann, wie alles anfing, und welche besonderen Momente er erlebt hat.

Herr Naumann, wie sind Sie eigentlich Sternsinger geworden?

Hugo Naumann: Ich bin in der Pfarrei St. Lorenz aufgewachsen, es war meine Heimatpfarrei. Seit 1947 war ich dort als Kind bei den Sängerknaben und Ministrant. Schon damals sind wir zum Sternsingen gegangen, auch wenn es noch nicht so organisiert war wie heute. Es war einfach ein Brauch, den Segen an die Türen zu bringen. Nach meinem Militärdienst und Studium bin ich wieder nach Kempten zurückgekehrt und wurde Lehrer an der heutigen Agnes-Wyssach-Schule. Und die Pfarrei St. Lorenz hat mich wieder musikalisch eingebunden, 40 Jahre habe ich dort im Orchester gespielt und gesungen.

Bis heute sind Sie als Sternsinger auf dem Mariaberg unterwegs, wie kam es dazu?

Naumann: Als ich 1968 auf den Mariaberg in die ehemalige Schule zog, fiel mir auf, dass dort keine Sternsinger kamen. Ich habe das in der Pfarrei angesprochen, aber es hieß, man könne nicht genug Gruppen losschicken, um alle Häuser zu erreichen. Also habe ich beschlossen, es selbst zu organisieren. Ich habe die Sternsinger ins Auto verfrachtet und eine Route von etwa 50 Kilometern ausgearbeitet. Anfangs war es schwierig, weil die Kinder oft aus- und einsteigen mussten, was viel Zeit und Chaos verursachte. Schließlich habe ich mich selbst in die Rolle des Sternsingers begeben und die Kinder zum Singen angeleitet. Das hat gut funktioniert und war effizienter.

Wie haben Sie die Kinder für’s Sternsingen gefunden?

Naumann: Zuerst habe ich Ministranten aus der Gemeinde animiert. Später kamen meine Enkelkinder dazu. Es war wichtig, eine feste Gruppe zu haben, welche die Lieder auswendig konnte. Inzwischen melden sich die Kinder schon von selbst an, oft schon im Alter von sechs Jahren. Auch Kinder, die nicht zur Kirche gehören, können mitmachen, solange sie Lust am Singen haben.

Können Sie uns ein Beispiel für ein Lied geben?

Naumann: „Die heil’gen drei König mit ihrigem Stern, die kommen gegangen, ihr Frauen und Herrn. Der Stern gab ihnen den Schein, ein neues Reich geht uns herein.“ Zum Schluss singen wir gemeinsam: „Drum helft mit, fangt an zu teilen, dann werden alle Wunden heilen.“

Wie bereiten Sie die Kinder auf das Sternsingen vor?

Naumann: Wir bereiten uns schon einige Wochen vorher vor. Im Dezember versammeln sich alle Sternsinger-Gruppen, und das Projekt des Jahres wird vorgestellt. Die Kinder sehen Bilder und bekommen Informationen darüber, wofür sie sammeln. Nach der Aktion gibt es ein gemeinsames Essen, meist Pizza, um ihren Einsatz zu würdigen.

Was würden Sie einem Kind sagen, das überlegt, Sternsinger zu werden?

Naumann: Sternsingen ist ein schöner und sinnvoller Brauch. Es geht darum, etwas Gutes zu tun und anderen zu helfen. Die Kinder bekommen auch etwas zurück, sei es Süßigkeiten oder Geld. Aber das Wichtigste ist das Gemeinschaftsgefühl und die Freude, die man anderen bringt. Es ist eine wertvolle Erfahrung, die man nicht missen möchte.

Gibt es besondere Ereignisse oder Begegnungen, die Ihnen in Erinnerung geblieben sind?

Naumann: Es gab viele Erlebnisse, besonders bei schlechtem Wetter: Wir sind mit dem Auto im Schnee stecken geblieben und wurden von einem Traktor herausgezogen. Manchmal mussten wir uns durch Schneestürme kämpfen, aber die Kinder waren immer tapfer.

Einmal kamen wir zu einem Haus, wo eine Bäuerin aufmachte. Die Frau kannte mich und erzählte, dass ihre Schwester, die bei ihr wohnte, gerade gestorben war. Die Schwester war lange krank und lag im Wohnzimmer, weil das der einzige beheizbare Raum war. Wir sangen dort, und es war eine sehr bewegende Erfahrung.

Wie haben die Kinder in dieser Situationen reagiert?

Naumann: Für sie war es ungewohnt, jemanden im Bett liegen zu sehen, aber sie haben es gut aufgenommen. Es war eine wertvolle Erfahrung für sie.

Was hat sich im Laufe der Jahre verändert beim Sternsingen?

Naumann: Als Kinder zogen wir durch die Stiftsstadt und besuchten jede Tür. Damals war immer jemand zu Hause, heute stehen wir oft vor verschlossene Türen.

Früher hatten wir auch kleinere Autos und mussten oft zu Fuß gehen, besonders bei Schnee. Heute habe ich einen VW-Bus, was vieles erleichtert. Die Kinder sind immer noch widerstandsfähig und trotzen Wind und Wetter. Sie müssen die Lieder auswendig können, während in der Stadt oft Spickzettel verwendet werden. Wir singen gemeinsam eine Strophe, dann spricht jeder einen Vierzeiler, und zum Schluss singen wir wieder gemeinsam.

Was bedeutet Ihnen das Sternsingen persönlich?

Naumann: Es ist sowohl die Pflege eines schönen Brauches als auch die Wohltätigkeit, die dahinter steckt. Die Sammelaktionen sind nicht für uns, sondern für das Kinderhilfswerk in Aachen. Jedes Jahr wird für ein Entwicklungsland gesammelt, und die gesammelten Millionen ermöglichen es, dort wichtige Projekte zu unterstützen. Es ist motivierend zu wissen, dass unsere Anstrengungen einem guten Zweck dienen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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