Omas und Opas: Die neue Avantgarde?!

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Cordula Weimann geht mit Omas for Future neue Wege. © Lajos Fischer

Cordula Weimann, Gründerin der Bewegung „Omas for Future“, zeichnete bei ihrer Lesung in Kempten ein optimistisches Zukunftsbild.

Kempten – Cordula Weimann bezeichnet sich als typische „Babyboomerin“, die als Unternehmerin nach dem Prinzip „Ich habe es verdient“ gelebt und Politik aus ihrem Leben ausgeblendet hatte: „Ich kann ja sowieso nichts ändern.“

Alles änderte sich 2011, als sie in Leipzig den Klimawissenschaftler und Regierungsberater Dr. Harry Lehmann kennenlernte und begann, sich über die Verantwortung der eigenen Generation für die Erderwärmung und ihre Folgen Gedanken zu machen. „Nach mehr als 40 Jahren erfolgreichen Wegduckens zog ich den Kopf aus dem Sand“, schreibt sie in ihrem Buch „Omas for Future. Handeln! Aus Liebe zum Leben“ (Scorpio Verlag, 2024), das sie auf Einladung der Buchhandlung „Lesezeichen“ im gut gefüllten Saal des Altstadthauses vorstellte. Nach den Gesprächen mit Lehmann begann sie alles zu lesen, was sie über den Klimawandel in die Hand bekam.

Hoffnung auf die Jugend

„Warum geht die Jugend nicht auf die Straße?“, fragte sie frustriert. Alle großen sozialen Bewegungen gingen doch von der Jugend aus. Als sie 2019 die ersten Demons­tranten von Fridays for Future auf der Straße sah, trank sie im nächsten Lokal erleichtert ein Glas Sekt. Kurz darauf gründeten Weimann und Lehmann mit einigen Freunden bei einem Treffen in einem Leip­ziger Garten spontan den „Leben im Einklang mit der Natur e.V.“: Das war die Geburtsstunde von Omas for Future. „Das ist fünf Jahre und zwei Monate her. Wir wachsen ständig und ich wachse selbst am meisten dabei“, sagte sie bei der Lesung.

„Omas for Future“ habe fünf Jahre gebraucht, um die richtige Strategie und Strukturen zu finden. Heute bestehen 90 aktive Omas-for-Future-Gruppen in Deutschland, Österreich und den Niederlanden. Aber warum sollen sie erfolgreicher werden als die Jugendgruppen von Fridays oder von der Letzten Generation? Ihre Argumentation löste im Saal große Begeisterung aus.

Die einflussreichste Generation

Die Generation 50 plus macht 56 Prozent aller Wahlbeteiligten in Deutschland aus und sitzt in den wichtigsten Entscheidungspositionen in Politik und Wirtschaft. „Ohne uns haben die Jüngeren keine Chance. Einfach weil wir zu viele sind“, schreibt sie. Das bedeute auch eine besondere Verantwortung. Gleichzeitig erzeugt diese Generation pro Kopf das meiste CO2. Die Veränderung ihres Handelns hätte dementsprechend die größte Wirksamkeit.

Dagegensein ist nicht zukunftswirksam

Protestbewegungen geht nach einer bestimmten Zeit immer die Puste aus. Die Menschen wollen nichts mehr von Krisen hören. „Mit den Worten ‚Klima‘, ‚Artensterben‘, ‚Plastikkrise‘ erreichen wir niemanden mehr.“ Trotz zahlreicher kapitalismuskritischer Äußerungen bezog sie sich hier auf die Wirtschaft: „Kein Unternehmen bringt ein Produkt erfolgreich auf den Markt, indem es über Schwierigkeiten erzählt.“ Sie plädierte für eine positive Zukunftsvision, denn Ohnmachtsgefühle gehörten zu den potentiellen „Hassmotoren“, von denen es heute sowieso zu viele gebe.

Dagegensein ist nicht zukunftswirksam

„Obwohl wir in einer multiplen Krise stecken, ist unser Ziel: Mit Mut und Lust Vertrauen auf eine lebenswerte Zukunft aufzubauen“, betonte Weimann. Und dafür brauche man keine Utopien, keine Pioniere mehr, man müsse nur dort abgucken, wo es bereits gut funktioniere.

Sie ging ausführlich auf die Ergebnisse des „World Hapiness Report 2024“ ein. Unter den ersten 21 Ländern, in denen die Menschen eine hohe Lebenszufriedenheit verspüren, gibt es 15 europäische. Auf den ersten sieben Plätzen findet man Finnland, Dänemark, Island, Schweden, die Niederlande und Norwegen. Deutschland liegt auf dem 24. Platz, es wurde im letzten Jahr von den USA überholt (Platz 23). Wenn man nach China (Platz 64) und Russland (Platz 70) schaue, wisse man, dass es sich lohne, für die Demokratie zu kämpfen, so Weimann.

Glückliche Menschen anderswo

Was macht die Menschen im Norden Europas glücklicher? Weimann begann über eine Stadt zu reden, die in den 1960er Jahren zu den unattraktivsten der Welt gezählt habe. Man setzte sich aber das Ziel, „eine Stadt für Menschen zu schaffen“. Weimann sprach von einem Visionär, ohne direkt den Namen von Jan Gehl zu nennen. Wie sich herausstellte, lebt nicht nur die Tochter der Autorin in Kopenhagen, sondern auch im Publikum gab es zahlreiche Verbindungen dort hin. Die dänische Stadt zählt zu den Top 3 der lebenswertesten der Welt. 2025 wird sie CO2-neutral sein, der Anteil des Radverkehrs in der Stadt beträgt 60 Prozent, das Schwammstadtprinzip ist kein Plan mehr, sondern Wirklichkeit, öffentliche Einrichtungen werden aus den 1.200 kommunalen Küchen mit zu 90 Prozent ökologischen und regionalen Lebensmitteln versorgt. In einem ähnlichen System werden in London fünf Millionen Mahlzeiten pro Tag produziert. Bürgermeisterin Hidalgo sorgt in Paris dafür, dass Flächen für das gemeinsame menschliche Leben freigegeben werden, statt für Parkplätze zur Verfügung zu stellen. In Barcelona sind die begehrtesten Wohnviertel die ohne Autos. Man könne aber auch nach Oslo, Stockholm, Gent oder hierzulande nach Freiburg schauen.

Sie habe einen ersten Eindruck von Kempten bekommen. „Hier gibt es noch viel Platzpotenzial, das man für Menschen freigeben kann“, sagte Weimann. „Geht zu eurem Bürgermeister und sprecht ihn als euren ‚Glücksmanager‘ an und sagt ihm: Wir wollen genauso glücklich sein. Konfrontiert die Politik mit der Frage: Warum gönnt ihr euren Bürgerinnen und Bürgern nicht mehr Raum und Lebensqualität? Fragt die AfD-Leute: Wollt ihr nicht genauso glücklich sein?“ Sie warnte, dass die erste Antwort ein Kopfschütteln sein werde. Ein Grund dafür, warum in Deutschland zu wenig vorangehe, sei es, dass hier die Bedenkenträger zu viel Macht hätten. Sie arbeitete 40 Jahre lang in der Baubranche und habe gelernt: Wenn der Handwerker sage, es gehe nicht, es sei zu teuer, heiße das zunächst nur, dass er nicht wolle. Da helfe nur, dranzubleiben und mit Nachdruck die gleiche Lebensqualität wie im Norden Europas einzufordern.

„Ihr seid jetzt gefordert“

Es bringe nichts, darauf zu warten, dass die Politik alle Probleme löse. Beginnen könne man damit, dass man den eigenen Lebensstil anschaue. „Wir konsumieren dreimal so viel wie 1980, aber – Hand aufs Herz – sind wir auch dreimal glücklicher?“, fragt sie. In ihrem Buch räumt sie dem Thema Ernährung und Gesundheit viel Platz ein. „Heute sterben wir an unserem Wohlstand“, schreibt sie. Ungesunde Ernährung und zu wenig Bewegung gehören dazu. Sie zitiert eine wissenschaftliche Studie der Uniklinik Aachen, nach der man bei einer Ernährungsumstellung im Alter von 70 Jahren die eigene Lebenserwartung um fünf Jahre erhöhen könne. „Wieso bekommt man im Krankenhaus ein Essen, das krank macht?“, fragte sie. Die Beispiele aus Nordeuropa zeigen, dass man Essen in Bioqualität – auch im Kindergarten und Schule – kosten­neutral anbieten könne.

Weimann forderte, dass das Wissen von Frauen mehr Zugang in die Politik finde, betonte aber auch, welche große Rolle die Opas bei Omas for Future spielen. Neben Lehmann gehört auch der Allgäuer Naturwissenschaftler Werner Koldehoff zu den Gründungsmitgliedern. Weimann bezeichnet ihn in ihrem Buch als „einen Klimaaktivisten der ersten Stunde“. Er übernahm die Modera­tion des Abends und warnte: Bei aller Euphorie dürfe man den Zeitfaktor nicht aus den Augen verlieren. „Wir brauchen große Schritte.“

Nach zahlreichen, zum Teil emotionalen Redebeiträgen aus dem Publikum brachte eine 80 Jahre alte Dame das Gefühl vom Großteil der Zuhörerinnen und Zuhörern auf den Punkt: „Ich habe diesen Abend gebraucht.“

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