Geheim-Gespräche mit Taliban: Das steckt hinter dem brisanten Kontakt
Die Bundesregierung plant verstärkte Abschiebungen nach Afghanistan, beginnend mit Straftätern und Gefährdern. Innenminister Alexander Dobrindt (CDU) will dazu auch mit der Taliban-Regierung verhandeln. Inoffiziell liefen bereits Gespräche zwischen Ex-BND-Chef August Hanning und Afghanistans Ex-Präsident Karzai, der als Vermittler auftritt, wie „Bild“ nun berichtet. Ziel sei eine strategische Partnerschaft, bei der Afghanistan eine humane Rückführung ermöglichen und im Gegenzug Investitionen erhalten könnte.
Gespräch mit Taliban: Afghanistan-Kontakte haben Vorgeschichte
Das Gespräch zwischen dem ehemaligen BND-Präsidenten und Karzai hat eine Vorgeschichte. Bereits im August vergangenen Jahres gab es eine Initiative der Taliban-Regierung zur Kontaktaufnahme mit der damaligen Bundesregierung. Die war vom langjährig in Nah-/Mittelost erfahrenen und vernetzten Architekten Manfred Osterwald vermittelt worden, sie hat jedoch angesichts der bekannten unüberbrückbaren politischen Gegensätze zu keinem operativen Ergebnis geführt.
Es liegt nahe, dass im Blick auf die veränderte asylpolitische Prioritätensetzung der neuen Bundesregierung nunmehr der Versuch wiederholt wird, die Quadratur des Kreises zwischen diplomatischer Nichtanerkennung und praktischer, indirekter Zusammenarbeit zu unternehmen.
Zur Person: Gerhard Conrad
Gerhard Conrad (Jahrgang 1954) ist promovierter Islamwissenschaftler und war langjähriger Top-Agent des Bundesnachrichtendienstes (BND), zuletzt als Direktor. Bekannt wurde er als Vermittler bei Verhandlungen zu Geiselbefreiungen im Nahen Osten. Von 2016 bis 2019 war er Direktor des EU Intelligence Analysis Center (INTCEN) - und damit ranghöchster ziviler Nachrichtendienstmitarbeiter auf europäischer Ebene. Zudem ist er "Intelligence Advisor" bei der Münchner Sicherheitskonferenz und steht dem "Gesprächskreis Nachrichtendienste in Deutschland e.V." vor. 2022 erschien sein Buch "Keine Lizenz zum Töten" (Econ).
Nicht vergessen werden sollte in diesem Zusammenhang auch, dass Gesprächskontakte mit den Taliban, meist unter der Schirmherrschaft von Katar, auch während der ganzen Kriegsjahre bis zum Sturz von Präsident Ashraf Ghani im August 2021 stattgefunden hatten. Im Grunde baut man hier auf einem Geflecht aus Kontakten auf. Dies gilt auch für den Vorgänger Ghanis, Ahmad Karzai, der ein langjähriger Gesprächs- und Kooperationspartner für Deutschland ist.
Soll Deutschland nicht mit seinem Pfund wuchern?
Die Präsenz von Manfred Osterwald verdeutlicht zugleich die wirtschaftliche Dimension der Initiative, die inzwischen mit der kürzlich erfolgten Aufnahme offizieller Beziehungen zu Russland eine zusätzliche opportunistische Relevanz bekommen hat: Will man den Gegenspielern in Moskau und Peking ohne Not das Feld in der Nutzung der reichhaltigen Bodenschätze in Afghanistan überlassen? Soll Deutschland nicht mit dem Pfund seiner historisch nahezu einzigartigen, über hundert Jahre zurückgehenden Beziehungen zu Afghanistan wuchern?
China hat inzwischen dem Vernehmen nach die ehemalige US-Militärbasis in Baghram übernommen; China hat bereits im Januar 2023 ein umfangreiches Rohstoffabkommen mit Afghanistan geschlossen – ohne die Taliban diplomatisch anzuerkennen. Und auch die Regierung Trump hatte bereits in ihren Verhandlungen mit den Taliban 2017 auf Optionen zur Ausbeutung des von den USA bereits seit 2010 explorierten Angebots von Bodenschätzen geschielt.
Taliban müssen sich zumindest als indirekte Partner qualifizieren
In diesem geopolitischen Umfeld bewegt sich nunmehr die Bundesregierung mit ihren unter asyl- und sicherheitspolitischen Zwängen stehenden Ambitionen. Aber auch die Taliban müssen Wege finden, sich zumindest als indirekte Partner zu qualifizieren. Ein im Hinblick auf Abschiebungen angestrebtes Abkommen nützt nichts, wenn derartige Maßnahmen a priori vor deutschen Gerichten scheitern.
Von Kabul müssten also glaubhafte und tragfähige Zusicherungen gegeben werden, die Rückführungen in größerem Stil überhaupt ermöglichen. Ein massives Kooperationshindernis besteht bekanntlich darüber hinaus in der Menschenrechtslage, die ja gerade aktuell zum Erlass internationaler Haftbefehle des ICC gegen die Talibanführung wegen der systematischen Unterdrückung der Frauen im Lande geführt hat.
Chancen und Risiken sind mithin für beide Seiten hoch
Konzessionen in diesem Feld sind wiederum für die Taliban-Führung potenziell riskant, da sie dort mit ihrer eigenen, ultrakonservativen Klientel zurechtkommen muss, deren religiös unterlegte gesellschaftliche Ordnungsvorstellungen ja zu den Missständen geführt haben.
Chancen und Risiken sind mithin für beide Seiten hoch. Es bleibt dem Geschick der erfahrenen und diskreten Verhandlungsführer vorbehalten, hier Ansätze für beiderseits tragfähige Kompromissformeln zu finden. Noch scheinen die Perspektiven unsicher, doch lohnt es sich zweifellos, diese gründlich zu explorieren und geduldig zu konsolidieren.