Raketen mit Wasser statt Treibstoff gefüllt: China verstärkt Kampagne gegen massive Korruption im Militär

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Staatschef Xi Jinping bei einer Inspektion des Militärs der Südwestregion Guangxi im Dezember 2023. Seit Monaten geht er gegen Korruption in Armee vor – die offenbar auch vor Elitetruppen nicht haltmacht. © Li Gang/Xinhua/Imago

In China läuft eine groß angelegte Kampagne gegen Korruption. Besonders gründlich lässt Xi Jinping derzeit das Militär säubern. Filz in einer elitären Truppe sorgte für dramatische Qualitätsmängel.

In der Raketentruppe von Chinas Volksbefreiungsarmee muss der Filz allgegenwärtig gewesen sein. Sie hütet das Atomwaffenarsenal und ist somit für die landgestützte nukleare Abschreckung verantwortlich, ebenso wie für die konventionellen ballistischen Raketen des Landes. Doch seit Monaten rumort es dort, zwei leitende Kommandeure verschwanden im August ganz plötzlich; ohne Kommentar gab es für sie zwei Nachfolger aus anderen Truppenteilen.

Vieles bleibt im Verborgenen, wenn es in Chinas Armee um Korruption geht: Anders als Chinas Banken oder Staatskonzerne gibt sie ihre Ermittlungen nicht bekannt. Nur gelegentlich dringt etwas nach außen – so wie zum Jahreswechsel, als das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei elf hochrangige Militärs aus zentralen politischen Gremien ausschloss. Sie hatten zuvor schon ihre militärischen Posten verloren. Alleine fünf davon stammen aus den Raketenstreitkräften.

„Diese Säuberungen waren ziemlich überraschend“, sagt Helena Legarda, Sicherheitsexpertin vom Merics-Institut für Chinastudien. „Sie sind wahrscheinlich ein Zeichen dafür, dass etwas sehr falsch läuft, sei es in den Raketenstreitkräften oder der Volksbefreiungsarmee im Allgemeinen.“ Gehe es nur um politische Unzuverlässigkeiten Einzelner, dann reiche es, das Führungspersonal auszutauschen. „Wenn es aber um Korruption und damit verbundene unterlassene Investitionen in militärische Ausstattung geht, dann wird von Fähigkeiten ausgegangen, die vielleicht gar nicht vorhanden sind“, so Legarda zu IPPEN.MEDIA. Das könne Einfluss auf „Xis Vertrauen in das Militär, seine Generäle und seine Fähigkeiten haben.“

USA: Wahrscheinlichkeit aggressiver Militäraktionen Chinas ist gesunken

Nach Ansicht des US-Geheimdienstes geht es in der Tat um Korruption, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg diese Woche unter Berufung auf ungenannte Quellen berichtet: Demnach sollen die Tanks vieler Raketen mit Wasser statt mit Treibstoff befüllt gewesen sein. Riesige Felder von Raketensilos in Westchina seien mit Deckeln versehen, die nicht ordnungsgemäß öffnen – sodass die darin stehenden Raketen bei Bedarf nicht effektiv starten könnten. Es klingt einfach: Es werden teure Deckel eingepreist und Billigdeckel bestellt, die Differenz sacken die korrupten Militärkader selber ein. US-Offizielle glauben laut Bloomberg, dass durch all das die Wahrscheinlichkeit aggressiver Militäraktionen Chinas nun gesunken sei.

Es ist noch nicht lange her, da sorgte das wachsende Atomarsenal Chinas im Westen für Unruhe. Je nachdem, wie China seine Streitkräfte strukturiere, „könnte es bis zum Ende des Jahrzehnts über mindestens so viele ballistische Interkontinentalraketen (ICBM) verfügen wie die USA oder Russland“, schrieb das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI vor knapp einem Jahr. Damals schätzte es die Zahl der Atomsprengköpfe der Volksrepublik auf 410. Der neue Bericht wird in Kürze erwartet. Doch was, wenn die Sprengköpfe gar nicht funktionieren?

Chinas Militär: Säuberungen in verschiedenen Einheiten

Die Raketenstreitkräfte sind derweil nicht das einzige Problem. Auch die Beschaffungsabteilung des Militärs ermittelt seit einigen Monaten gegen eigene Mitglieder wegen Korruption; zwei wurden im Rahmen der Säuberungen Ende Dezember aus dem Nationalen Volkskongress ausgeschlossen, Chinas offizielle Legislative. Der Einkauf teuren Geräts etwa in Russland generiert viele Möglichkeiten, sich Geld in die Tasche zu schaufeln.

Möglicherweise stürzte der im August verschwundene Ex-Verteidigungsminister Li Shangfu genau deshalb, denn er hatte vor wenigen Jahren ebenjene Beschaffungsabteilung geleitet – und genau in seine Amtszeit fallen nun die Ermittlungen. General Li wurde im Oktober seines Amtes enthoben. Auch verloren drei zuvor geschasste Manager staatlicher Raketenhersteller ihre politischen Ämter. Neben der Korruption zeigen diese Fälle auch, wie sehr Staat, Militär und Partei miteinander verwoben sind.

Und dies sind nur die Entlassungen, die Peking öffentlich gemacht hat. Ein weiterer Generalmajor der Raketentruppen wurde im November still und leise aus dem Pekinger Stadtparlament entfernt, wie das Magazin Caixin berichtete. Wei Fenghe, Vorgänger von General Li als Verteidigungsminister, ist ebenfalls verschwunden – was kaum jemand merkte, da er in Rente ist. Auch Wei kommandierte einmal die Raketentruppe. „Es werden noch mehr Köpfe rollen. Die Säuberung rund um die Raketentruppe ist noch nicht vorbei“, prognostizierte Alfred Wu von der Lee Kuan Yew School of Public Policy in Singapur gegenüber Reuters.

Xi beförderte die nun geschassten Militärs und Minister

Die Korruption in der Eliteeinheit ist peinlich für Chinas Staatschef Xi Jinping, der als Vorsitzender der Zentralen Militärkommission der Kommunistischen Partei auch der oberste Befehlshaber ist. „Er hat die meisten der jetzt entlassenen Leute persönlich befördert, viele erst vor kurzem. Was sagt das über die Fähigkeit des Systems aus, Menschen vor einer Beförderung zu überprüfen?“, so Merics-Expertin Legarda. Verteidigungsminister Li etwa war nur sieben Monate im Amt. „Entweder wurde bei den Überprüfungen etwas übersehen, oder in der kurzen Zeit seit dem Amtsantritt dieser Leute ist etwas passiert. In jedem Fall muss das, was sie getan haben, sehr schwerwiegend sein, um eine so starke Reaktion des Systems zu rechtfertigen.“ Denn Peking wisse sehr wohl, dass das nach außen nicht gut aussieht.

Xi Jinping besucht Soldaten auf einem Grenzposten in der Inneren Mongolei
Chinas Staatschef Xi Jinping zu Besuch eines militärischen Grenzpostens in der Inneren Mongolei: Es schien, als habe er die Truppe durch seine harte Linie im Griff (Archivbild). © Xinhua/Imago

Überraschend kommt die Kampagne auch deshalb, weil fast jeder glaubte, Xi habe das Militär im Griff. Bestechung in der Volksbefreiungsarmee sei mindestens seit den 1980-er Jahren endemisch, sagt Legarda. Damals sei dem Militär Raum gegeben worden, nebenbei alle möglichen Geschäfte zu entwickeln. „Auch gab es damals anscheinend nur sehr wenig zivile Aufsicht. Erst Xi war in der Lage, hier etwas entscheidendes zu tun. Er führte Militärreformen durch und startete Anti-Korruptionskampagnen – wahrscheinlich auch, um einige Einflussnetzwerke zu zerschlagen.“

Handele es sich bei den aktuellen Säuberungen tatsächlich um ausufernde Korruption, könnte dies im Westen auch die Einschätzung der tatsächlichen Fähigkeiten des chinesischen Militärs beeinflussen, glaubt Legarda. „Meiner Meinung nach ist es dennoch besser, diese etwas zu überschätzen, als sie zu unterschätzen – immer ohne übertriebene Panik –, zumal Xi sich relativ unklar über seine Absichten äußert.“ Unzweifelhaft sind für alle sichtbar jene Fähigkeiten, die das Militär offen demonstriert – etwa bei Manövern nahe Taiwan oder im Südchinesischen Meer. „Aber bei Operationen, die auf der Eskalationsleiter höher angesiedelt sind“, so Legarda, „da gibt es nun ein Fragezeichen.“

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