ISTAR-Sensoren „enorm wichtig“ - Trump stoppt Geheimdienstinfos: Experten sagen, wie heftig das die Ukraine trifft
Kaum ein Tag vergeht derzeit ohne Schocknachricht für die Ukraine, die seit mehr als drei Jahren ihr Land gegen Russland verteidigt. Erst der Eklat im Weißen Haus, der mit dem Rauswurf Selenskyjs endete, dann der von Trump verkündete Stopp der US-Waffenlieferungen. Am Mittwoch die nächste Hiobsbotschaft: Die USA setzen nun auch die Geheimdienst-Zusammenarbeit mit der Ukraine aus.
„Damit sind die ukrainischen Streitkräfte sofort stark eingeschränkt“, sagt Ex-Agent Gerhard Conrad gegenüber FOCUS online. Er hat 30 Jahre beim Bundesnachrichtendienst gearbeitet, war an geheimen Missionen beteiligt und weiß daher, wie wichtig ein solcher Informationsaustausch für die Ukraine ist.
Ohne US-Geheimdienst-Informationen „tappen die Ukrainer im Dunkeln“
Der Stopp der Waffenlieferungen wirke sich nicht unmittelbar aus, sondern erst in einigen Wochen, sagt Conrad. „Hier besteht ein gewisser Manövrierspielraum.“ Wenn taktisch verwertbare Nachrichtendienst-Hinweise auf Absichten und Handlungen des Kriegsgegners nicht mehr weitergegeben werden, „tappen die Ukrainer im Dunkeln“.
Während seiner Rede vor dem Kongress ließ US-Präsident Donald Trump zunächst noch Raum für eine mögliche Annäherung an den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Doch wie nun bekannt wurde, haben die USA die Kooperation im Geheimdienstbereich mit der Ukraine eingestellt. Zunächst berichtete die „Financial Times“ über diese Entwicklung. Später bestätigte CIA-Direktor John Ratcliffe diesen Schritt in einem Interview mit „Fox News“.
Eine ukrainische Quelle äußerte sich gegenüber „Sky News“ ebenfalls zu der Entscheidung, betonte jedoch, dass der Austausch von Geheimdienstinformationen nicht vollständig eingestellt worden sei. Sie bezeichnete die Maßnahme als „selektiv“ und als „weiteren Schlag für Kiew“.

„Die Schwäche des einen ist die Stärke des anderen“
„Mit US-Satellitenaufklärung können grundsätzlich Flugzeug-, Drohnen- oder Raketenstarts frühzeitig detektiert und ihre Flugbahnen verfolgt werden“, erklärt Conrad. Das gebe wertvolle Vorwarnzeit für die ukrainische Luftabwehr und für den Luftalarm für die Zivilbevölkerung.
„Mit US-Fernmeldeaufklärung können zumindest im Einzelfall militärische Absichten des Gegners erfasst und gemeldet werden. Ukrainische Kräfte können sich dann rechtzeitig vorbereiten und reagieren“, sagt der Experte.
„Die Schwäche des einen ist die Stärke des anderen“, so der Ex-BND-Mann. „Dies gilt insbesondere für die Luftstreitkräfte und Raketenkräfte, die ihr Potenzial wirkungsvoller gegen eine geschwächte Luftverteidigung einsetzen können.“
Militärexperte Markus Reisner: Aufklärung der ISTAR-Sensoren ist „enorm wichtig“
Markus Reisner, österreichischer Historiker und Offizier des Bundesheeres im Dienstgrad des Oberst, erklärt gegenüber FOCUS online, was das im Detail bedeutet: „Durch die Aufklärung der ISTAR-Sensoren, also zum Beispiel Satelliten oder spezielle Aufklärungsflugzeuge, können die USA über große Distanz potenzielle Ziele für die Ukraine aufzuspüren, etwa russische Kommandoposten, Störsender, Fliegerabwehrdispositive oder Kräfteansammlungen.“
Die Daten, die durch die ISTAR-Sensoren gesammelt werden, geben die USA an die Ukraine weiter, die dann basierend auf diese Koordinaten einen Angriff durchführen könne, so Reisner. Auch die Funkaufklärung laufe über die ISTAR-Satelliten.
Das Lagebild, das die ISTAR-Sensoren liefern, sei das enorm Wichtige. „Dadurch bekommt die Ukraine eine Idee davon, wie die Russen aufgestellt sind – und kann ihr Handeln danach ausrichten“, sagt Reisner weiter. Sie könnten bei einem Wegfall zum Beispiel keine gezielten Angriffe mehr auf Gefechtsstände oder Logistikknotenpunkte durchführen.
„Die Ukraine würde auch keine Informationen über bevorstehende strategische Luftangriffe verfügbar haben und könnte auch während der Angriffe nicht rechtzeitig mit ihrer Fliegerabwehr auf die einfliegenden russischen Flugkörper reagieren“, so der Militärexperte.
Militärexperte Gustav Gressel: „Höhere Verluste für die Ukraine und größere Geländegewinne für Russland“
Diese Einschätzung teilt auch der Politikwissenschaftler und Militärexperte Gustav Gressel gegenüber FOCUS online: „Kurzfristig wiegt das schwerer als die Aussetzung der Waffenlieferungen.“ Langfristig sei aber der Mangel an Waffen problematischer.
Die Folgen durch den Stopp nachrichtendienstlicher Informationen seien laut Gressel:
„Die Zahl ziviler Opfer dürfte deutlich steigen, da die Ukraine wichtige Frühwarnsysteme verliert. Das Lagebild der ukrainischen Streitkräfte wird zudem zunehmend unklar, insbesondere in Bezug auf russische Truppenbewegungen hinter der Front.“
Hinzukomme: „Feuerstellungen schwerer Waffensysteme und Kommandostellungen können nicht mehr zuverlässig identifiziert werden, wodurch gezielte Gegenangriffe erschwert werden.“
Zudem fehle nun jegliche Einsicht in die operative Planung Russlands, was zu weitreichenden Überraschungen auf dem Gefechtsfeld führe. „Die Konsequenzen sind absehbar: höhere Verluste für die Ukraine und größere Geländegewinne für Russland“, sagt Gressel.
Maßnahme wiegt für die Ukraine schwer
Für die Ukraine könnte dieser Schritt also fatale Folgen haben. Ohne den Zugang zu US-Geheimdienstinformationen fehlen den Verteidigern nicht nur entscheidende Erkenntnisse über russische Angriffspläne – auch die Frühwarnsysteme für Raketenangriffe und Luftschläge werden drastisch geschwächt.
Russland könnte diese Situation nutzen, um neue Offensiven zu starten. Während Kiew um jeden Vorteil in diesem ungleichen Krieg kämpft, scheint die Unterstützung aus Washington immer weiter zu schwinden.