„Mephisto“ an den Münchner Kammerspielen: Theater um den Wendehals
Jette Steckel inszenierte „Mephisto“ nach dem Roman von Klaus Mann an den Münchner Kammerspielen. Lesen Sie hier unsere Premierenkritik:
Bevor es um die überzeugende Ensemble-Leistung geht oder um Emilia Heinrichs kluge Adaption von Klaus Manns Roman „Mephisto“ aus dem Jahr 1936, müssen zwei andere Hauptdarsteller dieser Premiere an den Münchner Kammerspielen erwähnt werden: das Bühnenbild von Florian Lösche sowie die Musik von Mark Badur und Elias Krischke, die Letzterer live an Schlagzeug und Vibrafon interpretiert. Beide haben enormen Anteil am Gelingen von Jette Steckels Inszenierung, die trotz ihrer dreieinhalb Stunden (eine Pause) kaum durchhängt.
„Mephisto“ von Klaus Mann entstand im Jahr 1936
Lösche hat die Bühne im Schauspielhaus weitgehend leer geräumt. Die Schauspielerinnen und Schauspieler bauen die Räume der einzelnen Szenen aus zwölf fahrbaren, von innen beleuchteten, einen Menschen weit überragenden Rechtecken. Da wird die Spielfläche mal ganz klein und eng – dann wieder weitet sie sich. Maximilian Kraußmüllers Lichtdesign nutzt alle Atmosphären der Farbpalette. Vor allem aber sind diese Quader eine Wendehals-Kulisse, also ganz wie dieser Hendrik Höfgen, den Thomas Schmauser da in einem darstellerischen Kraftakt gestaltet. Die Elemente werden hin- und hergedreht, wie es diese Figur eben mit ihren Meinungen und Einstellungen macht.
Klaus Mann erzählt in seinem „Roman einer Karriere“ vom Schauspieler Hendrik Höfgen. Der ist schwul und irgendwie links, ohne sich jedoch wirklich festlegen zu wollen/zu lassen. Als die Nazis an die Macht kommen, dient er sich den neuen Herren an, wechselt aus der Provinz nach Berlin, wird schließlich Chef der Preußischen Staatstheater. Orientiert hat Klaus Mann (1906-1949) seine Geschichte an Leben und Charakter von Gustaf Gründgens (1899-1963). Der war bis 1929 mit Klaus’ Schwester Erika verheiratet und ließ sich 1934 von Hermann Göring zum Intendanten ernennen. Zwar war Gründgens nie Mitglied der NSDAP – doch sein Lavieren im NS-Sumpf warf und wirft grundsätzliche Fragen auf.
Thomas Schmauser spielt Hendrik Höfgen an den Münchner Kammerspielen
Diese interessieren Steckel besonders: Kann ein Mensch anständig bleiben in einer Welt der Unanständigen? Wie weit darf/muss/soll man sich anpassen, um die eigene Haut zu retten? Was kann die Kunst der Macht entgegensetzen? Die Inszenierung gibt keine Antworten, das ist auch gar nicht nötig. Ohne direkten Bezug auf unsere Gegenwart gelingt es der Regisseurin und ihrem tollen Ensemble, dennoch vom Heute zu erzählen. Während der Stil des Romans recht schlank ist und dessen Verfilmung von István Szabó mit Klaus Maria Brandauer von 1981 elegisch, glückt hier ein überzeugender, satter und unterhaltsamer Zugriff auf den Stoff mit den vielen Mitteln des Theaters.
Dabei beeindruckt nicht nur Schmauser, der Höfgens Sätze oft wundersam verschleift, als müsse er sich erst selbst einen Pfad durch die Formulierungen bahnen. Stark sind auch seine Kolleginnen und Kollegen, allen voran Elias Krischke als Hans Miklas. Seine Figur ist insofern spannend, als sie den umgekehrten Weg Höfgens geht: allerdings – und das ist der Unterschied – mit absoluter Überzeugung, bis in die letzte Konsequenz.
Da passt es gut, dass Krischke an Schlagwerk und Vibrafon der Produktion ihre fiebrig-flirrende Atmosphäre verpasst. Er spielt in der Tiefe der Bühne auch immer dann, wenn Höfgen vorne sich mal wieder dreht, wendet und die Haltung schneller ändert, als Krischkes Fuß die Bassdrum bearbeitet. Und dessen Technik ist alles andere als langsam.
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Am Ende genügt Linda Pöppel, die als Höfgens Gattin mit großer Eleganz zeigt, dass frau das Herz am richtigen Fleck tragen kann, ein kurzer, kraftvoller Ausbruch, um den Charakter des Karrieristen zu durchleuchten: „Es ist egal, wie viele Menschen du rettest. Du legitimierst hier Faschisten!“ Und zum ersten Mal in diesen mehr als drei Stunden scheint Höfgen tatsächlich sprachlos zu sein: „Text?!“, bellt Thomas Schmauser da noch die Souffleuse an. Der Rest ist Schweigen. Heftiger Jubel und Standing Ovations.
Die Besetzung
Regie: Jette Steckel.
Bühne: Florian Lösche.
Kostüme: Pauline Hüners.
Musik: Mark Badur und Elias Krischke.
Ensemble: Thomas Schmauser (Hendrik Höfgen), Erwin Aljukic (Theophil Marder, Cäsar von Muck, Gottfried Benn), Elias Krischke (Hans Miklas, Schlagzeug und Vibrafon), Linda Pöppel (Barbara Bruckner), Maren Solty (Nicoletta von Niebuhr), Edmund Telgenkämper (Kroge, Professor, Ministerpräsident), Martin Weigel (Otto Ulrichs).