Uraufführung von Elfriede Jelineks „Asche“: Die Poesie des Untergangs

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Die Erde ächzt, nicht nur unter dem Plastikmüll. Szene aus „Asche“ mit Katharina Bach. © Maurice Korbel/Münchner Kammerspiele

Falk Richter inszenierte die Uraufführung von Elfriede Jelineks „Asche“ an den Münchner Kammerspielen. Unsere Premierenkritik:

Bevor es hier ums Theater geht und um die Uraufführung von Elfriede Jelineks neuem Text „Asche“, wenden wir uns für einen kleinen Augenblick dem Rock ’n’ Roll zu. In „Ace of Spades“ von Motörhead besingt Lemmy Kilmister die Freuden und das Fatale des Glücksspiels („You win some, lose some“). Der „Gambler“ zockt für den Höchsten und tanzt mit dem Teufel, am Ende jedoch gesteht er: „You know, I’m born to lose“. Zum Verlieren geboren. Wie alle. Es ist eine persönliche Geschichte aufs Universelle gewendet – und damit ähnlich strukturiert wie „Asche“. Es überrascht also nicht, dass Regisseur Falk Richter den Song in seiner Inszenierung anspielen lässt, die am Freitag (26. April 2024) in den Münchner Kammerspielen Premiere hatte.

Elfriede Jelinek verhandelt in „Asche“ auch den Tod ihres Lebensgefährten

„Asche“ ist ein überraschend persönlicher Text der österreichischen Literaturnobelpreisträgerin. Jelinek, Jahrgang 1946, verhandelt in seinem dichten Gewebe den Verlust ihres Lebensgefährten, an dessen Seite sie ein halbes Jahrhundert verbracht hat. Der individuelle Untergang, der dessen Tod für die Erzählerin in diesem Selbstgespräch bedeutet, spiegelt sich im Weltuntergang. Denn die „riesige Erde“ kann nicht mehr, ächzt und kollabiert unter ihren „bösen Gästen“. Zum Beispiel das Meer: „Warum nur haben wir es nicht gleich aus Plastik hergestellt? Wir hätten uns viel erspart, und es hätte ansprechend gut ausgesehen. So mussten wir das Plastik erst hineintun.“

Erneut zeigt sich die Schriftstellerin also als eine scharfe Beobachterin und kritische Analytikerin der Zeitläufte. Und einmal mehr kondensiert sie ihre Erkenntnisse in Literatur, die wuchtig ist und zugleich durchwirkt von sprachlicher Schönheit und feinem Witz. Dafür hat sie unter anderem zurückgegriffen auf Platon und Hesiod, vor allem aber auf Mahlers „Lieder eines fahrenden Gesellen“, die ihr zum Leitmotiv wurden. „Asche“ ist dennoch ein Werk, das die Bühne braucht – Richter und sein wunderbares Ensemble haben ihm diese bereitet.

Das Ensemble der Kammerspiele beeindruckt durch seine Textarbeit

Katharina Bach, Svetlana Belesova, Johanna Kappauf, Ulrike Willenbacher, Bernardo Arias Porras und Thomas Schmauser beeindrucken in jedem Moment dieser 105 Minuten mit ihrer klug durchdachten und empathischen Textgestaltung. Sie lassen Jelineks Sprachfluss glitzern und glitschen, reißend rauschen oder im Pianissimo plätschern. Eine Freude, ihnen zuzusehen – zumal sie aus dem Monolog Charaktere schälen, die im jeweiligen Moment wahrhaftig sind.

Stellvertretend sei Ulrike Willenbacher genannt, deren Figur am ehesten der Autorin ähnelt und die meist aus einer gewissen Distanz das Geschehen verfolgt. Als die Erzählerin am Verlust des Liebsten verzweifelt, glücken der Schauspielerin zudem zerbrechliche Momente. Das berührt – und konterkariert, was folgt. Richter arbeitet nämlich heraus, was es bedeutet, in einer artifiziellen Welt zu leben, in der sich die Natur geändert hat, weil wir es nicht können (wollen?). Jelineks Dystopie zeigen er und der Videokünstler Lion Bischof in Sequenzen, die auch von Künstlicher Intelligenz generiert wurden, sowie durch Avatare, die mit menschlicher Stimme den Text sprechen und doch ihre Künstlichkeit nicht kaschieren können.

Das zieht sich zum Ende hin, auch weil Katrin Hoffmanns so simpler wie bemerkenswerter Raum, in dessen Mitte ein schwarzer Felsblock liegt, völlig verlassen ist. Ohne Menschen jedoch ist die Bühne nur ein wüster und öder Ort – trotz des Getöses, das die KI veranstaltet. So wird der Abend auch zur Feier der Schauspielerinnen und Schauspieler. Jubel.

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