Wie Bob Dylan: Timothée Chalamet begeistert in „Like a complete Unknown“
Seine Präsenz macht aus einem manierlichen Film einen guten: Timothée Chalamet spielt den jungen Bob Dylan in „Like a complete Unknown“ atemberaubend.
Man hört sie schon wehklagen, die Fans und Experten. Dieser Film mache aus den frühen Jahren von Bob Dylans Karriere fiktionalisierten Kitsch und biege die realen Geschehnisse auf einen Popcorn-Plot zurecht. Stimmt ja auch. Aber wenn einer der Nebelmaschine Hollywood freie Hand dafür gegeben hat, sich nicht sklavisch an Fakten zu halten, dann Dylan selbst. Der legte von Anfang an falsche Fährten, strickte Legenden, schmiss Blendgranaten um seine Person. Er bleibt uns auch heute noch ein Unbekannter, und genau so heißt dieser Film: „Like a complete Unknown“ (nach einer Zeile aus dem Jahrhundert-Song „Like a rolling Stone“). Dylan selbst gab Regisseur James Mangold seinen Segen und lobte Hauptdarsteller Timothée Chalamet.
Der 29-jährige „Dune“-Star steht eigentlich eher auf HipHop und konnte mit „His Bobness“ nicht viel anfangen
Kein Wunder: Der 29-jährige „Dune“-Star, der eigentlich eher auf Hip-Hop steht und mit „His Bobness“ zunächst nicht viel anfangen konnte, hat nach fünf Jahren Übung das arrogant-bekiffte Geschau des Originals perfekt drauf, transportiert dessen quecksilbrige Energie, bringt wie dieses beim Sprechen kaum die Zähne auseinander, hält die Kippe cool in der schlaffen Faust. Freilich trägt selbst die perfekteste Mimikry keine zweieinhalb Studen, aber Mangold ja auch kein klassisches Biopic drehen (ein Genre, dem er bereits „I walk the Line“ über Johnny Cash hinzugefügt hat). Er pickt sich eine relativ kurze Zeitspanne heraus, und er porträtiert mindestens so sehr die Zeit und Menschen, die Dylan beeinflussten, wie das Leben des Künstlers.

Während der junge Dylan 1961 New York per Anhalter entert, steht der aufrechte Folksänger Pete Seeger (Edward Norton) wegen unamerikanischer Umtriebe vor Gericht. Er hat sein Banjo dabei und würde dem Richter „This Land is your Land“ am liebsten live um die Ohren hauen. Songs können Spaltpilze in den Betonköpfen sein, das weiß nicht nur er. Im Greenwich Village destillieren gleichgesinnte Musiker aus tradierten Songs Protest gegen den Kalten Krieg und für Menschenrechte (ein Thema, das angesichts der haarsträubenden Attacken von Donald Trum auf die amerikanischen Institutionen plötzlich sehr aktuell wirkt). Grünschnabel Dylan wird mit „Blowing in the Wind“, „The Times, they are a-canging“ und „Masters of War“ zum Darling der Szene, der er natürlich entwachsen muss – er wendet sich dem Pop zu, die orthodoxen Folk-Pharisäer schäumen. Die Entfremdung gipfelt im Newport Folk Festival 1965, als Bob die E-Gitarre einstöpselt und den friedensbewegten Schrebergarten endgültig umpflügt.

Eine Erklärung dafür, was Dylan wirklich motiviert, was zu seiner rasenden Entwicklung führt, gibt Mangold nicht, kann er auch nicht. Er stellt Chalamet mit immer längeren Locken und immer dunkleren Brillen in die perfekt nachempfundenen Kulissen, lässt ihn in halsbrecherischem Tempo auf dem Motorrad düsen. Ein Genie halt. Gleichzeitig vermittelt der Regisseur uns das faszinierende Gefühl, auf dem Sozius zu sitzen, mittendrin zu sein in diesen bewegten Zeiten. Besonders, wer Dylans Biografie ein wenig kennt, hat hier Aha-Effekte. Die Klinik-Besuche bei seinem großen Vorbild Woody Guthrie, einem vom Schlaganfall gezeichneten Johannes, dem Täufer. Johnny Cash, der Dylan in dessen Drang bestärkt, die brave Folk-Gemeinde zu ignorieren („Trag ein bisschen Dreck auf den Teppich“). Der unbekümmerte Gitarrist Bob Neuwirth, der Dylan zum Freund wird.
Bis in die kleinsten Nebenrollen sind die Schauspieler großartig – doch bleiben viele Figuren zweidimensional
Doch bleiben diese Figuren, obwohl bestechend dargestellt, eher zweidimensional. Genauso wie die Frauen in Dylans Leben. Natürlich Joan Baez – von Monica Barbaro grandios gespielt –, die zwischen Liebe und Eifersucht pendelt. Vor allem aber Suze Rotolo (Elle Fanning), die im Film Sylvie Russo heißt und die hier als Dylans Mentorin und romantischer Fixstern gezeigt wird. Dylan lässt sie zurück, wie alle anderen auch.
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So zeigt der für acht Oscars nominierte Film Bob Dylan vor allem als jemanden, der Sprungbretter nutzt und das Freistrampeln von Bindungen schon früh als Kunstform etabliert. Dessen große Leistung es auch ist, ein Mysterium zu bleiben. „Like a complete Unknown“ wäre am Ende aber doch nur Mittelmaß ohne die perfekte Mimikry – denn wie Chalamet den Songs ein vibrierendes Leben einhaucht (40 Lieder singt er in dem Film), ist eine Wucht. Am Ende könnte er Dylan eine neue Hörerschaft erschließen, die mit dem großen Unbekannten zuvor ebenso wenig anzufangen wusste wie er selbst.