Das Stück der Stunde: Zur Wiederaufnahme der Münchner „Fledermaus“

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Glücklich ist, wer vergisst: „Die Fledermaus“ bietet seit der Uraufführung perfekten Eskapismus in Krisenzeiten, hier eine Szene mit Georg Nigl und Katharina Konradi. © Wilfried Hösl

Glücklich ist, wer vergisst: Die Bayerische Staatsoper setzt dem Polit-Wahnsinn mit der „Fledermaus“ ihren Operetten-Wahnsinn entgegen. Eine gute Tradition seit der Uraufführung.

Mitten auf dem Ball der Dragqueen passiert es. Die maskierten, unter Decknamen eingetrudelten Gäste haben sich mühsam bekannt gemacht, Gastgeber(in) Orlofsky hat stimmscharf das Auftrittslied absolviert, der Höhepunkt, die Polka kommt noch, da entfährt es Eisenstein, während er das Kulissengerüst emporhetzt: „Ich glaube ja nicht, dass wir die Regierung bis zum M(e)ärz haben werden.“ Eine halbe Stunde ist es noch bis zur Schließung der Wahllokale, der Mann wird einfach mal prophetisch.

„Die Fledermaus“ am Wahlabend, ganz anders war das natürlich von der Bayerischen Staatsoper programmiert worden. Zu einer Zeit, als die Ampel noch hielt und Christian Lindner noch Politiker war. Jetzt passt die Sause perfekt. Die Pause zwischen 17.45 und 18.20 Uhr fällt genau in die Zeit der ersten Trendmeldung. Wobei: So viele starren im ersten Rang, beim Rundgang durch die Ionischen Säle, gar nicht aufs Handy – es gibt offenkundig Wichtigeres.

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Es ist die Wiederaufnahme einer 14 Monate alten Produktion. Bestens hat sich Barrie Koskys Inszenierung gehalten. Die beiden Neubesetzungen fügen sich wunderbar ein: Julia Kleiter ist eine so aristokratische wie durchtriebene Rosalinde, das gibt dem Abend sogar einen Schub; Granit Musliu aus dem Haus-Ensemble macht als Alfred tenordarstellerisch bella Figura. Martin Winkler ist wieder ein abgründig-aasiger Gefängnisdirektor, Dirigent Vladimir Jurowski hat leider vergessen, die Handbremse zu lösen. Und Georg Nigl läuft als Eisenstein heißer als bei der Premiere.

Letzterer ist Wiener, wird wohl bei der nächsten Wiederaufnahme-Serie unglücklicherweise von Rolando Villazón vertreten und kann aus der Perspektive eines rechtsextremen Musterlandes auf den Nachbarn im Westen schauen: Was die Braunen betrifft, gehen die Österreicher bekanntlich voran. „Host die Hochrechnung g‘seng?“, ereifert sich Eisenstein/Nigl im dritten Akt. „Des is wie bei uns. Sie werden sich zieren, und am Ende wird’s ein flotter Dreier.“ Und: „Die Deutschen sind ja gar ned so blöd: Wenn sie eine Woche später gewählt hätten, wäre es a Faschingssatire word‘n.“

„Die Fledermaus“ im Fasching, (nicht nur) eine Münchner Tradition ist das. Heuer geht das so weit, dass am Gärtnerplatz zeitgleich zur großen Staatsopern-Schwester die eigene „Fledermaus“ gezeigt wird, auch tags zuvor ging die Operette aller Operetten dort über die Bühne. Zufall oder nicht: Wieder einmal ist der Strauss-Schlager das Stück der Stunde, und das hat weniger etwas mit der fünften Jahreszeit zu tun.

Die Lüge wird gefeiert – wie in der Realität

„Glücklich ist, wer vergisst“: Ausblenden, wegschauen, ignorieren – schon zur Entstehungszeit taugte das Stück (und war kassenträchtig auch so konzipiert) zum perfekten Eskapismus. Die Zeiten ähneln sich schließlich. Im Uraufführungsjahr 1874 laborierte man an den verheerenden Folgen des ersten großen Börsenkrachs, mit dem Vermögenswerte überall vernichtet wurden. Der deutsch-französische Krieg war kaum verdaut, am Horizont zeichneten sich militärische Auseinandersetzungen zwischen Russland und der Türkei ab: Die Welt kam nicht zur Ruhe. Wer heute in der „Fledermaus“ sitzt, fühlt sich dem damaligen Publikum verwandt. Sich beschleunigender Staatsstreich in den USA, Krieg gegen die Ukraine, Klimakrise, Rechtsruck inklusive Erstarken der Neo-neo-Faschisten, eine Debattenunkultur, die sich im Schwarz-Weiß erschöpft: Da in der Realität alles schiefläuft, so zeigt die „Fledermaus“, hilft nur die Lüge weiter. Eine Operette, die die Maskerade, die Verstellung, das Vorspiegeln falscher Tatsachen feiert.

In gewisser Weise ist die „Fledermaus“ die 100 Jahre ältere Schwester des absurden Theaters. Wo in Samuel Becketts „Warten auf Godot“ alles im Leerlauf um sich selbst kreist, dreht sich die Strauss-Operette im Wahnwitz bis zum Kolbenfresser. „Die Oper nimmt das Leben ernst – und die Operette nimmt es noch ernster“, sagt Regie-Legende Peter Konwitschny. „Und das bedeutet einen Salto mortale in die Absurdität.“ Operette ist Flucht aus dem Alltag, gern in eine Traumwelt. Doch im Gegensatz zu den ätzenden Satiren eines Jacques Offenbach hatte Johann Strauss Entscheidendes parat: eine Utopie. Auf Orlofskys Ball ereignet sich nämlich der Höhepunkt des Stücks.

„Brüderlein und Schwesterlein wollen alle wir sein“, hebt Dr. Falke, hier in Gestalt des famosen Markus Brück an zu singen. Die Melodie erfasst das gesamte Ensemble, das sich im sanften Melos wiegt, bis sich in einer Vorahnung des Dadaismus die Tür zum Wunderland öffnet und Worte versagen: „Duidu, duidu, lalaa la la, la laa.“ Nicht nur in diesen unwirklichen Minuten lenkt die „Fledermaus“ ab vom Ohnmachtsgefühl angesichts der Gegenwart, damals wie heute. Psychische Wellness für ein paar Aufführungsstunden angesichts von Krisen, die der Einzelne kaum bewältigen, geschweige denn lösen kann. Die legitime Essenz (nicht nur) dieses operettigen Wahlabends also: Augen zu und durch. Am 28. Februar lädt das Gärtnerplatztheater übrigens zur Premiere von „Ein Käfig voller Narren“.

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