Vater alkoholsüchtig: „Mit 17 hab ich dann mitgetrunken“

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Um einen Einblick in das Leben eines Betroffenen zu geben, der selbst aus einer suchtkranken Familie kommt, sprach Prop-Mitarbeiterin Beatrice Brinninger mit einem der Klienten der Suchtberatungsstelle. © Prop

Kinder, deren Eltern suchtkrank sind, haben ein weitaus höheres Risiko, selbst abhängig zu werden. Prop Freising macht auf eine besondere Aktionswoche aufmerksam.

Freising - „Kinder suchtkranker Eltern sind die größte bekannte Sucht-Risikogruppe in Deutschland“, erklärt Beatrice Brinninger, Systemische Therapeutin und Mitarbeiterin der Prop-Beratungsstelle in Freising: „Schätzungsweise 2,65 Millionen Kinder haben alkoholkranke Eltern, 40 000 bis 60 000 haben Eltern, die von illegalen Suchtmitteln abhängig sind. Ihr Risiko, als Erwachsene selbst suchtkrank zu werden, ist im Vergleich zu Kindern aus nicht-süchtigen Familien bis zu sechsfach erhöht.“

Darauf macht die bundesweite Aktionswoche für Kinder aus suchtbelasteten Familien aufmerksam, die aktuell bis zum Samstag, 24. Februar, stattfindet. Beatrice Brinninger weiter: „Um sowohl den Kindern als auch Menschen mit einer Suchtproblematik eine Perspektive und Anlaufstellen zu bieten, schafft der 2017 ins Leben gerufene Freisinger Fachkreis „Schulterschluss“ Strukturen, mit denen Betroffene aufgefangen und gefördert werden können. Wir betreuen – genau wie die Jugendhilfe – sehr viele suchtkranke Menschen, die Kinder haben.“ Der Fachkreis Freising versucht ganz konkrete Hilfestellungen zu installieren und eine Haltungsänderung auf verschiedenen Ebenen zu erreichen. Um einen Einblick in das Leben eines Klienten zu geben, der aus einer suchtkranken Familie kommt, selbst abhängig wurde und dank der Hilfe durch Prop sein Leben wieder im Griff hat, sprach Beatrice Brinninger mit Marc B. (Name geändert), der bei Prop im Betreuten Wohnens (BEW) lebt.

Herr B., wie war Ihr Weg in die Abhängigkeit?

Über meinen Vater. Er ging jedes Wochenende zum Frühschoppen zum Kartenspielen und ich habe ihn begleitet. Irgendwann, mit etwa 17 Jahren, habe ich mitgetrunken. Auch in der Arbeit – mit Arbeitskollegen habe ich zusammen getrunken.

Sie haben einen suchtkranken Vater. Wie haben Sie das als Kind wahrgenommen?

Mein Vater hat getrunken, meine Mutter nicht. Es gab sehr oft Streitereien. Als ich etwa acht Jahre alt war, häuften sich die Auseinandersetzungen der Eltern. Die Mama hat dann mit Hilfe der Polizei den Vater der Wohnung verwiesen.

Was hat das für die Familie bedeutet?

Die Trennung der Eltern, als ich 13 Jahre als war, war schlimm für mich. Und auch die Zerrissenheit der Familie resultierte aus dieser Situation. Ich habe mehr zu meinem Papa gehalten, war sein Liebling, mein Bruder mehr zu meiner Mama. Der Zusammenhalt in der Familie war nicht mehr so gut, auch unter uns Dreien gab es Streit. Meine Mutter hat noch mehr arbeiten müssen. Wir waren sehr arm, dadurch war sie auch reizbarer.

Marc, kennen Sie Fragen wie: „Bin ich schuld, dass meine Mutter oder mein Vater zu viel trinkt?“

Nein, kenne ich nicht.

Oder haben Sie sich je gefragt: „Ist meinen Eltern Alkohol wichtiger als ich?“

Alkohol ja – auf jeden Fall! Ich habe Vater ja nur beim Wirt treffen können. Trotz der massiven körperlichen Folgen des Alkohols hat er weitergetrunken. Er ist mit 54 Jahren gestorben.

Was hätten Sie sich als Kind gewünscht oder wünschen Sie sich jetzt?

Harmonie in der Familie. Ich bin inzwischen älter als mein Papa. Seit zirka einem halben Jahr verstehe ich mich mit meinem Bruder und meiner Mutter wieder besser. An Feiertagen besuche ich sie inzwischen wieder, fahre mit meinem Fahrrad zu ihr. Die Besuche verlaufen harmonischer.

Was war für Sie im Nachhinein eine wichtige Erkenntnis, die heute noch von Bedeutung ist?

Durch mein Trinken habe ich viel verloren: die Arbeit, die Freunde, die Existenz.

Was hilft Ihnen heute, stabil zu bleiben?

Da gibt es einiges: Ablenkung, Radlfahren, Radlreparieren, Umbauen, in die Kontakt- und Begegnungsstätte von Prop oder zum Yoga in die Courage gehen gehören dazu. Ich denke zudem viel darüber nach, wie ich günstig leben kann. Deswegen gehe ich der sozialen Kontakte wegen zum Beispiel in die Wärmestube zum Essen oder in die Kontakt- und Begegnungsstätte, um nicht alleine essen zu müssen und mir das Geld zu sparen.

Interview: Beatrice Brinninger

Gut zu wissen

  •  Die Beratungsstelle in Freising ist seit 1973 fester Bestandteil im Suchthilfesystem. Das multiprofessionelle Team arbeitet unter anderem ganzheitlich, klienten- und bedarfsorientiert sowie zielgruppenorientiert.
  • Unbedingte Wertschätzung und einfühlendes Verstehen sind zentrale Werte.
  • Die Beratungsstelle ist täglich von Montag bis Donnerstag und Freitagvormittag von 9 bis 16 Uhr unter Tel. (0 81 61) 54 98 90 erreichbar.
  •  Mit aktuell über 280 Beschäftigten bietet Prop in 22 Einrichtungen an 14 Standorten in Bayern ein umfassendes Angebot in den Bereichen Prävention, Harm Reduction, Jugendhilfe und Suchttherapie.
  •  Weitere Infos gibt es bei: Beatrice Brinninger, Psychosoziale Beratungs- und Behandlungsstelle, Heiliggeistgasse 9, Freising; Tel.: (0 81 61) 54 98 90; Fax: (0 81 61) 5 49 89 29 E-Mail: Beatrice.Brinninger@prop-ev.de; Homepage: http://www.prop-ev.de.

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