Mit Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig wurde Anfang November nach jahrelangem Streit und Diskussion zwischen Jägern, Förstern, Waldbesitzern und Naturschützern über Abschussquoten und -zeiten die Schonzeitaufhebungsverordnung der Regierung von Oberbayern gekippt.
Eine Entscheidung mit weitreichenden Folgen für Reh, Hirsch und vor allem das Gamswild in den bayerischen Bergen. Sie dürfen künftig nurmehr viereinhalb Monate bejagt werden. Sieben㈠einhalb Monate haben die Tiere wieder Ruhe. Daran maßgeblich beteiligt war der 2015 von Herzogin Helene in Bayern gegründete Wildtier-Schutzverein Wildes Bayern, insbesondere dessen Vorsitzende, die Biologin Christine Miller aus Haslau/Rottach-Egern, die sich seit ihrer Doktorarbeit dem Gamswild widmet und im gesamten DACH-Raum als Gams-Expertin gilt. In unserer Zeitung erklärt die „Gams-Christl“ die komplexen Zusammenhänge und die Bedeutung des Urteils.
Frau Miller, Sie und der Wildtier-Schutzverein Wildes Bayern haben am Sonntag Grund zum Feiern, oder?
Ja, weil nach 25 Jahren das erste Mal wieder die reguläre Jagdzeit der Gams – vom 1. August bis 15. Dezember – eingehalten wird. Oder vielmehr, weil ab 15. Dezember die Gams endlich wieder die verdiente Schonfrist bekommt. Nur im Oberallgäu und im Nationalpark Berchtesgaden gelten weiter die lokalen Schonzeitaufhebungen. Dass im einzigen Alpen-Nationalpark Deutschlands durchgehend weiter gejagt wird, ist ein Wermutstropfen. Aber dass die Schonzeitaufhebungs-Verordnung der Regierung von Oberbayern von 2019 für nicht gesetzeskonform erklärt wurde, erachten wir als Sensationserfolg, der am Sonntag im Deutschen Jagd- und Fischereimuseum in München gefeiert wird.
Wo und wann wurden die Schonzeiten, zu denen man nun zurückkehrt, festgelegt?
Schonzeiten gibt es, seit es in Deutschland und Bayern Jagdgesetze gibt – also seit etwa 100 Jahren. Der Sinn der Schonzeit ist, dass man die Tiere in Zeiten, da sie empfindlich sind, ums Überleben kämpfen und man viel Schaden anrichten kann – weil etwa geschützte Vögel balzen oder Muttertiere nicht deutlich von anderen Tieren zu unterscheiden sind – in Ruhe lässt und die Jagd unterlässt. Das hat den Sinn, dass man, je länger eine Schonzeit und je kürzer eine Jagdzeit ist, auch eine Tierpopulation – wenn notwendig – schnell und stressfrei für die Tiere regulieren kann.
Sie sind als Wildtier-Schutzverein also nicht gegen die Regulierung von Populationen?
Nein, unser Verein ist nicht grundsätzlich dagegen. Aber man muss wissen, was man tut. Jede Jagd muss so laufen, dass man weiß, wie sich der überlebende Bestand entwickelt. Und die Jagd muss so tierschutzgerecht wie möglich sein.
Warum wird die Schonzeit im Bergwald aufgehoben?
Das Hauptargument war immer, dass Gams, Hirsch und Reh verhindern, dass sich der Bergwald verjüngen, sprich nachwachsen kann. Seit 40 Jahren wird deshalb von Förstern ermittelt, wie viel Prozent an jungen Bäumchen vom sogenannten Schalenwild verbissen, also gefressen wird.
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Was sagt der gemessene Verbiss-Prozentsatz genau aus? Ist er maßgeblich für die Abschussquote, die in den vergangenen Jahren immer wieder angehoben wurde?
Leider ja. Und das, obwohl der ermittelte Verbiss-Prozentsatz nichts darüber aussagt, ob sich ein Wald verjüngen kann.
Wieso nicht?
Weil man von den Prozentzahlen keine Rückschlüsse daraus ziehen kann, wie viel Rehe, Hirsche und Gamswild in dem Gebiet leben.
Hoher Verbiss ist also nicht automatisch hoher Schaden?
Nein. In der Natur wirft ein Mutterbaum viele Samen auf die Erde und von 10 000 Keimlingen werden vielleicht etwa zehn erwachsen. Der Rest stirbt an Lichtmangel, wird von Mäusen, Insekten oder Schnecken gefressen oder verdorrt einfach. Einigen wird das ein oder andere Zweiglein von einer Gams abgefressen, klar. Deshalb ist die Gams aber kein Schädling.
Das sehen die Schutzwaldsanierer der Staatlichen Forstverwaltung anders.
Naja, die sogenannte Schutzwaldsanierung läuft überwiegend auf Flächen ab, auf denen seit Jahrtausenden nie dichter Wald stand. Das sind südseitige, steile, trockene Berghänge, auf denen seit der letzten Eiszeit Gämsen den Winter verbringen. Sie halten sich dort an den vergrasten Hängen gern auf. Hier gibt es keine Lawinen. Hier ist es warm. Auf diesen Flächen werden aber seit rund 30 Jahren Baumschulbäumchen in den Boden gesetzt. Würden Sie als Gams zu diesem Angebot auf ihrem angestammten Teller nein sagen? Schutzmaßnahmen für diese Bäumchen werden aber von den Schutzwaldsanierern kategorisch abgelehnt.
Heißt das, die Schonzeiten wurden aufgehoben, um die Gams in ihren natürlichen Überwinterungsgebieten zu schießen?
Richtig, das war der Hauptgrund. Mehr noch: Die Schonzeitaufhebungsgebiete wurden immer mehr ausgedehnt. Etwa in Kreuth wurde in der letzten Verordnung – die, die wir jetzt zu Fall gebracht haben – explizit die Schonzeitaufhebungsgebiete sogar auch noch auf den Nordhang vom Leonhardstein ausgeweitet, weil sich dorthin die Gamsen zurückgezogen hatten.
Wie groß ist die Fläche, auf der die Schonzeit aufgehoben war?
Im Kreis Miesbach sprechen wir von 4444 Hektar, in ganz Oberbayern von knapp 26 000 Hektar. Übrigens: 80 Prozent dieser Fläche sind ausgewiesene Natura-2000-Gebiete und geschützt. Hier leben Raufußhühner und viele andere geschützte, seltene Arten.
Hat das den Ausschlag beim Bundesverwaltungsgericht gegeben?
Genau! Die Richter haben ganz klar gesagt: Bevor ich bei geschützten Arten und geschützten Lebensräumen eingreife, muss ich vorher prüfen, welche Konsequenzen das für diese Arten und die Natur im gesamten Gebiet hat. Das darf nicht nur durch die Forstbrille gesehen werden. Man muss das große Ganze im Blick haben.