Stärker als Japan, schwächer als gewollt – Wie geht es der deutschen Wirtschaft?

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Deutschland sei „nicht mehr wettbewerbsfähig“, hieß es vom Wirtschaftsminister, vonseiten der Industrie gibt es regelmäßig Warnungen. Gleichzeitig aber sinken Inflation und Arbeitslosigkeit. Wie geht es der deutschen Wirtschaft tatsächlich?

Berlin – Erst vor ein paar Wochen machten Berichte die Runde, dass Deutschland wieder auf dem dritten Platz der größten Volkswirtschaften steht. Damit überholte die Bundesrepublik den ostasiatischen Staat Japan, der mit einer schwächelnden Wirtschaft zu kämpfen hat. Japan wiederum gab als Gründe den schwachen Yen und eine nachlassende Binnennachfrage an, es handelt sich also keinesfalls um einen Effekt der reinen Stärke Deutschlands. Aber sieht es tatsächlich so schlecht aus, wie die Branchenverbände regelmäßig mitteilen?

Inflation und Energiepreise sinken – wo steht die deutsche Wirtschaft?

Die guten Nachrichten zuerst: Die Inflation in Deutschland hat den tiefsten Stand seit 2021 erreicht. Im Februar stiegen die Verbraucherpreise nur noch um 2,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat, das teilte das Statistische Bundesamt jüngst mitteilte. Seit Juni 2021 (2,4 Prozent) hatte die Teuerungsrate nicht mehr so niedrig gelegen. Damit bewegt die Inflation sich deutlich auf das langfristige Ziel der Europäischen Zentralbank zu – diese versucht seit Jahren, die zwei Prozent zu erreichen.

Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz und Vizekanzler beim Kölner Literaturfestival LIT.COLOGNE.
Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz und Vizekanzler beim Kölner Literaturfestival LIT.COLOGNE. Deutschland sei „nicht mehr wettbewerbsfähig“, hieß es. Wie geht es der deutschen Wirtschaft tatsächlich?  © IMAGO / Guido Schiefer

Vor allem ist dafür die billigere Energie verantwortlich. Hier zahlten Kunden im Schnitt 2,4 weniger als noch im Februar 2023. Im Vergleich zum Jahresmittel 2023 ist der durchschnittliche Strompreis für Haushalte zum Jahresbeginn 2024 um etwa acht Prozent gesunken, teilte der BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. mit.

Und auch die Löhne entwickeln sich deutlich positiver als noch vor einem Jahr. Der Reallohnindex stand im vierten Quartal 2023 bei 1,8 und stieg damit zum dritten Mal in Folge. Beim Reallohn handelt es sich um den Verdienst, den Arbeitnehmer tatsächlich haben können, also auch nach Berücksichtigung der Inflation. Er zeigt also die tatsächliche Kaufkraft des Verdienstes.

Wirtschaftsstandort Deutschland in Gefahr – Schwaches Wachstum

Trotzdem herrscht in der Wirtschaft und auch in der Politik Alarmstimmung. Gegenüber dem Handelsblatt sagte Finanzminister Christian Lindner (FDP): „Deutschland fällt zurück, weil das Wachstum ausbleibt. Der Standort ist nicht mehr wettbewerbsfähig.“ Es müssten dringende Maßnahmen her, um den Wirtschaftsstandort Deutschland zu stärken. Aktuelle Wachstumsprognosen zeigen lediglich ein Wachstum von 0,2 Prozent für das Jahr 2024, was die Bundesrepublik im europäischen Vergleich zu einem der Schlusslichter macht.

Und branchenübergreifend ist überall in Deutschland ein Stellenabbau zu beobachten. Der Elektrogerätehersteller Miele hatte angekündigt, Teile seiner Produktion nach Polen zu verlegen, der Software-Konzern SAP baut Stellen ab, die Autozulieferer ZF und Bosch ebenso. Ähnlich sieht es bei der Bayer AG und der Deutschen Bank aus.

Im Wohnungsbau ist gar von der „Baukrise“ die Rede. Die Zahl der Baugenehmigungen ist aktuell so niedrig wie seit 2012 nicht mehr. Es entstehen immer weniger Wohnungen, obwohl der Bedarf wächst. Die hohen Materialkosten und die teure Finanzierung schrecken viele neue Hausbauer und Investoren ab, bei den Banken und Sparkassen brachen 2023 die Zusagen für neue Wohnungsbaukredite ein. Rückgange von 30 bis 40 Prozent standen hier auf dem Papier.

Verbände fordern Eingreifen der Politik

Und dann gibt es Branchen, die bereits davor gewarnt hatten, ohne politische Unterstützung bald zusammenbrechen. Ein Paradebeispiel ist dafür die Solarbranche. Hier hatten die Hersteller Heckert Solar und Meyer Burger bereits die Produktion gedrosselt. In Deutschland müsse außerdem dringend ein Bürokratieabbau stattfinden, die Steuerlast müsse sinken, andernfalls sei der Wirtschaftsstandort ernsthaft bedroht. Von der „Deindustrialisierung“ Deutschlands war ebenfalls schon die Rede. Der Handelsverband HDE forderte eine zügige Umsetzung des Wachstumschancengesetzes, das viele der Knackpunkte angreifen sollte.

Viele Deutsche merken davon jedoch nichts. Die Lage am Arbeitsmarkt scheint stabil, ihre Kaufkraft steigt, sie können mehr einkaufen und zahlen weniger für Energie.

Trendwende durch Zinssenkung

Der vorher erwähnte Wohnungsbau zeigt das grundlegende Problem besonders deutlich. Während der Coronakrise konnten viele Branchen nicht mit der Nachfrage mithalten, nun ist die Nachfrage allerdings der Auslöser. Sie bleibt zunehmend aus. Die Auftragsbücher bleiben leer, die Kapazitätsauslastung sinkt. Eine Trendwende ist erst dann zu erwarten, wenn sich die Rahmenbedingungen für die Bürger ändern. Sobald die Europäische Zentralbank (EZB) die Leitzinsen senke, müsse die Nachfrage wieder ansteigen. Das sagte Gesa Crockford, Geschäftsführerin von Immoscout24, gegenüber dem Handelsblatt.

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