Deutschland als Bremsklotz – Wirtschaft in Europa wächst ohne uns

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Europa erholt sich zunehmend von den globalen Krisen. Es deutet sich ein Umschwung bei der Konjunktur an. Nur Deutschland hinkt hinterher – und bremst das Wachstum in Europa.

Hamburg – Branchenübergreifend warnen die Verbände vor der Untätigkeit der Bundesregierung. Sie fordern weniger Bürokratie, weniger Steuern, mehr Attraktivität für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Einige dieser Wünsche soll das Wachstumschancengesetz erfüllen, zumindest in der Theorie. Bei der Umsetzung hapert es jedoch: Erst blockierte die CDU/CSU-Fraktion das Gesetz, dann versuchte sich die Ampel-Koalition an einem Kompromiss und setzte den Rotstift an. Währenddessen hat sich die Wirtschaft in Europa das Steuerrad in Richtung Erholung eingeschlagen – ohne Deutschland.

Einkaufsmanagerindex Eurozone 48,9 Punkte
Einkaufsmanagerindex Wachstumsgrenze 50 Punkte
Einkaufsmanagerindex Wirtschaft in Deutschland 46,1 Punkte
Prognostiziertes Wirtschaftswachstum Deutschland 2024 0,2 Prozent (Bundesregierung)

Wirtschaft in Europa setzt Segel auf Wachstumskurs

In der Eurozone soll sich eine Trendwende ankündigen. Das jedenfalls zeigte der sogenannte Einkaufsmanagerindex, den der Finanzdienstleister S&P Global und die Hamburg Commercial Bank (HCOB) regelmäßig veröffentlichen. Hier befragen S&P und die HCOB die Einkaufsmanager der großen Unternehmen, denn ihre Abteilungen spüren stets zuerst, wann eine Trendwende bevorsteht. Für die Eurozone stieg der Index bereits zum vierten Mal in Folge und liegt nun bei 48,9 Punkten. Zur Erklärung: Sobald der Index auf über 50 klettert, gilt er als Zeichen für ein Wirtschaftswachstum.

„Die Eurozone wandert allmählich aus der Rezession“, sagte Norman Liebke, Ökonom bei der HCOB, in der Welt. Thomas Gitzel, Chefsvolkswirt der VP Bank, sprach von einem zarten „Konjunkturpflänzchen“. Für den Dienstleistungssektor hat der Index die Wachstumsschwelle 50 bereits erreicht.

Die Modelle Temnalona und Terralona in Brüssel, die die Erde bei Tag und bei Nacht darstellen.
Die Modelle Temnalona und Terralona in Brüssel, die die Erde bei Tag und bei Nacht darstellen. Während Europa als Ganzes sich zunehmend von den globalen Krisen erholt, sieht es in Deutschland eher „düster“ aus. (Symbolbild) © IMAGO / CTK Photo

Das europäische Statistikamt Eurostat ist dabei nicht ganz aktuell, stützt diese Einschätzung jedoch durch verschiedene Zahlen. Für den Dezember 2023 hat es ein Wachstum der europäischen Industrieproduktion veröffentlicht. Sowohl im Euroraum als auch in der EU stieg die Industrieproduktion um 2,6 Prozent. Im vierten Quartal 2023 blieb das Bruttoinlandsprodukt im Euroraum weitestgehend unverändert, die Erwerbstätigkeit stieg um 0,3 Prozent. Auch im Bereich Baugewerbe gab es ein Plus, die Produktion stieg zwischen November 2023 und Dezember um in der Europäischen Union um 1,3 Prozent. Bei diesen Zahlen handelt es sich um erste Schätzungen von Eurostat.

Deutsche Industrie unter Druck – „Sieht jetzt ziemlich düster aus“

Deutschlands Wirtschaft stehe jedoch eine weitere Rezession bevor. S&P zufolge sank der Index im Februar um 0,9 auf 46,1 Punkte. „Die deutsche Wirtschaft bleibt unter Druck“, zitierte die Nachrichtenagentur Reuters Tariq Kamal Chaudhry, einen Ökonomen der HCOB. Vor allem die Industrie sei ein „Schmerzpatient“ in der deutschen Wirtschaft. Das entsprechende Barometer sackte auf 42,3 ab.

„Für die deutsche Industrie sieht es jetzt ziemlich düster aus“, erklärte Chaudhry. Hohe Zinsen, teure Energie, geopolitische Risiken und die schwache Weltkonjunktur – all das addiert sich zu einem größeren Problem für die Industrie auf. Die Produktion gehe zurück, Neuaufträge aus dem In- und Ausland „verschlechtern sich drastisch“.

Das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland schrumpfte zwischen Oktober und Dezember 2023 um 0,3 Prozent im Vergleich zum Vorquartal, teilte das Statistische Bundesamt (Destatis) am Freitag (23. Februar) mit. Damit bestätigte sich eine frühere Schätzung. In beiden Vorquartalen hätte immerhin noch eine Stagnation vorgelegen, damit sei es jedoch nun vorbei. „Im Schlussquartal bremsten die rückläufigen Investitionen die Konjunktur, während der Konsum leicht zulegte“, sagte Statistikamtspräsidentin Ruth Brand.

Ohne Deutschland könnte Europa bereits wachsen

Ein Kernproblem war für Deutschland die hohe Inflation, die die Kaufkraft der privaten Haushalte schwächte. Die Europäische Zentralbank wiederum setzte die Zinsen hoch, um auf die Teuerung zu reagieren, was im Anschluss besonders die Baubranche traf. Wegen der höheren Finanzierungskosten verabschiedeten sich viele Hausbauer von ihren Hausbauplänen. Die Nachfrage brach ein. Ende 2023 gingen die Bauinvestitionen um 1,7 Prozent zurück. Exporteure in Deutschland litten dagegen an der schwachen Weltkonjunktur; als Exportnation ist die Bundesrepublik auf Käufe aus dem Ausland in hohem Maße angewiesen.

Besonders bitter an dem Vergleich der Indizes zwischen Europa und der Bundesrepublik: Deutschland ist in den Zahlen der Eurozone mit berücksichtigt. Ohne die Bremswirkung, die Deutschland hier entfaltet, stünden die Indizes der Eurozone deutlich näher an der Marke von 50. Im Januar hatte zum Beispiel Spanien die Eurozone vor der Rezession gerettet.

Wachstumschancengesetz lässt auf sich warten – „Die Union nimmt die Gesamtwirtschaft in Geiselhaft“

Währenddessen versuchte die Bundesregierung, passende Lösungen für die verschiedenen Probleme am Wirtschaftsstandort Deutschland zu finden. Wirtschaftsminister Robert Habeck teilte bei der Vorstellung des Jahreswirtschaftsberichts mit, dass die Nation „langsamer aus der Krise“ komme als erhofft. Darin hatte die Ampel-Koalition ihre Wachstumsprognose für 2024 von 1,3 auf 0,2 Prozent gesenkt. Das Wachstumschancengesetz kommt den Branchenverbänden nicht schnell genug.

„Das Aufschieben des Wachstumschancengesetzes schadet dem Wirtschaftsstandort Deutschland. Die vorgeschlagenen Entlastungen sind richtig, aber sie kommen spät und sind viel zu wenig. In der Krise müssen Bund, Länder, Regierung und Opposition endlich an einem Strang ziehen“, teilte Dr. Dirk Jandura, Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel und Dienstleistungen (BGA) mit. Ansonsten würde das Vertrauen in das wirtschaftliche Handeln der Politik „immer weiter“ sinken. „Die Union nimmt für die Entlastung der Landwirtschaft die Gesamtwirtschaft in Geiselhaft.“

Mit Material von Reuters

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