Tag des offenen Denkmals: Leben im Polizeidienerturm und Sanierung des Sonnengrabens

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Der mittelalterliche Polizeidienerturm ganz im Süden der Stadt steht in Schongau am Tag des Offenen Denkmals im Mittelpunkt. © Hans-Helmut Herold

Einen spannenden wie bewegenden Blick in die Vergangenheit kann man am Tag des Offenen Denkmals erleben. Wolfgang Filser erzählt über einen besonderen Ort seiner Kindheit: Ab 1946 wohnte er zehn Jahre lang im Polizeidienerturm. Auch über die abgeschlossene Sanierung des Sonnengrabens gibt es einen Überblick.

Beim Tag des offenen Denkmals am nächsten Sonntag, 8. September, ist heuer auch Schongau wieder einmal dabei. Die Stadt nutzt den Rahmen dieser bundesweiten Aktion, um der Bürgerschaft Hintergründe zu den heuer abgeschlossenen Sanierungsarbeiten am Sonnengraben und der Himmelsleiter vorzustellen und den Bereich nun auch offiziell zu eröffnen (11 bis 14 Uhr).

In einer kleinen Ausstellung sollen die Planungen, die Idee dahinter und die Konzeption vorgestellt werden, erklärt Stadtbaumeister Sebastian Dietrich. Auch das gesamte Stadtmauerumfeld werde Thema sein.

Stadtbaumeister erinnert an Sperrung des Sonnengrabens

Der Stadtbaumeister erinnert an die Zeit von vor mehr als zehn Jahren zurück, in der der Sonnengraben gesperrt werden musste, weil man um die Standsicherheit der Stadtmauer fürchtete. Untersuchungen und erste Sicherungen folgten, auch ein Wettbewerb „Stadtmauerumfeld“ war ausgeschrieben worden. In der Ausstellung sollen laut Dietrich Pläne gezeigt werden. Wie er verrät, wird auch an die Verpflegung der Besucher gedacht.

Der Polizeidienerturm hat im Zuge der Sanierungsarbeiten 2023/2024 ebenfalls eine Aufwertung erfahren. Zum einen ist der Zugang zur Altstadt nun durch den Bogen des mittelalterlichen Stadtmauerturms barrierefrei möglich. Zum anderen wurde stellenweise das Mauerwerk saniert.

Für die Sanierung im vergangenen Jahr war der Polizeidienerturm komplett eingehaust.
Für die Sanierung war der Turm eingehaust worden. © Hans-Helmut Herold

„Wichtig war vor allem, das Mauerwerk trockenzulegen“, so Dietrich. Durch die Feuchtigkeit im Gebäude war die Fassade trotz nicht lange zurückliegender Malerarbeiten sehr unansehnlich geworden. Erstmals sollen am Tag des offenen Denkmals Ergebnisse zur Bauforschung öffentlich vorgestellt werden, heißt es im Programm zu diesem Tag.

Bürger erfahren etwas über die Geschichte des Turms und seiner Bewohner

„Die Bürger können jedoch nicht nur etwas über die Geschichte des Turms erfahren, sondern auch über seine Bewohner und was der Turm mit ihnen gemacht hat“, ergänzt Jürgen Erhard, Kreisheimatpfleger und derzeitiger Standortförderer der Stadt Schongau. Gemeinsam mit Maximilian Geiger, dem Leiter Tourismus und Volkshochschule in Schongau, hat er im Vorfeld ein ganz besonderes Projekt gestartet.

Im Mittelpunkt steht zum Auftakt Wolfgang Filser. Der Altenstadter ist 1945 geboren und wohnte ab 1946 bis zum Jahreswechsel 1956/57 mit seinem Vater in dem Gebäude am südlichen Lindenplatz. Filser hat Geiger und Erhard sein Leben im Turm rückblickend erzählt. Sie wurde aufgenommen und die Audiodatei verschriftlicht (siehe Stichwort „Oral History“).

Die Geschichte, die der ehemalige Schongauer zu erzählen hat, ist spannend und bewegend zugleich, wie auch ein Gespräch mit ihm zeigt. Filser nimmt die Besucher des Denkmaltags zunächst einmal gedanklich mit durch sein damaliges Zuhause. Er beschreibt beispielsweise, wie der Polizeidienerturm eingerichtet war. In der untersten Ebene Arbeitsraum und Bad, darüber die Küche, im dritten Stock das gemeinsame Schlafzimmer mit dem Vater, und ganz oben das Wohnzimmer. „Wir hatten die wunderbarste Aussicht“, erzählt der Altenstadter, im Süden Richtung Berge, und im Norden Richtung Ballenhaus und über die ganze Stadt.“

Ausgezeichnetes Gedächtnis

Der Turm war äußerst schwer zu beheizen, erinnert sich Filser. „Ich habe als Kind immer gefroren, im Winter waren die Wände innen voller Eis.“ Einen Holzofen gab es in der Küche, einen im obersten Stock, der aber nur zu ganz seltenen Gelegenheiten, wenn etwa der Vater zu einem Schallplattennachmittag eingeladen hatte, eingeschürt wurde.

Der Bub war früh auf sich allein gestellt, der Vater arbeitete am Amtsgericht, kam oft erst spät zurück. So fand das Leben des Buben viel draußen statt. „Der Turm war mein Reich, der Sonnengraben und der Lindenplatz waren mein Abenteuerspielplatz“, sagt der heute 79-Jährige. Die Zeit im Turm habe ihn fürs ganze Leben geprägt, der Turm sei seine Freiheit gewesen.

Filser erinnert sich auch an die Nachbarschaft

Was die teils sehr persönlichen Erzählungen von Filser so interessant machen, sind Erinnerungen an die Nachbarschaft, an Personen, Geschäfte oder Handwerker in der Altstadt von Schongau aus einer Zeit, aus der wenig dokumentiert ist. Filser verfügt über ein ausgezeichnetes Gedächtnis, kann Lücken füllen. Sein Gedächtnis ersetzt auch Fotografien, die es vom Turm aus der damaligen Zeit nicht gibt.

Rundgang durch den Turm: Wolfgang Filser (links) zeigte seiner Familie, wo er die ersten Jahre seines Lebens verbrachte.
Rundgang: Wolfgang Filser (links) zeigte seiner Familie kürzlich, wo er die ersten Jahre seines Lebens verbrachte. © Elke Robert

Filser wird am Tag des Offenen Denkmals vor Ort sein, durch den Polizeidienerturm führen und Fragen beantworten.

Übrigens: Der Polizeidienerturm soll künftig der Öffentlichkeit wieder regelmäßig zugänglich gemacht werden.

„Oral History“: Zeitzeugen berichten

„Es kann sich heute keiner mehr vorstellen, in einem Turm zu leben - Das Thema hat uns total begeistert“, berichtet Jürgen Erhard. Der Standortförderer hat gemeinsam mit Max Geiger (Tourismus) eine ganz besondere Form gewählt, Wolfgang Filser als Zeitzeugen zu befragen: Der Altenstadter wurde nicht im klassischen Sinne interviewt, sondern erzählte frei von der Leber weg über sein Leben in Schongau. „Oral History“ (übersetzt mündliche Geschichte) nennt man diese Methode aus der Geschichtswissenschaft. Entstanden sei auf diese Weise Audiodateien, die kulturell wie touristisch sehr wertvoll seien und den Schongauern auch zugänglich gemacht werden sollen. Es könnte der Auftakt sein für eine Serie, schwebt Erhard und Geiger vor. Eine Serie über Zeitzeugen, die sich an ihre Kindheit, auch die facettenreiche Arbeitswelt in Schongau, erinnern. Erhard: „Wir sollten die Chance nicht verpassen.“

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