Cannabis-Legalisierung: „Es kann Fluch und Segen sein“
Welche Auswirkungen hat die Cannabis-Legalisierung auf Jugendliche und die Justiz? Unsere Zeitung hat Experten aus dem Landkreis befragt.
Bad Tölz-Wolfratshausen – Die Reform muss zwar noch durch den Bundesrat und mehrere Bundesländer haben Widerstand angekündigt, doch nach derzeitigem Stand erfolgt ab 1. April eine Teillegalisierung von Cannabis. Damit würden bei Erwachsenen der Konsum, Eigenanbau und Besitz (in bestimmten Mengen) der Droge nicht mehr unter Strafe gestellt. Auch wenn Cannabis für Minderjährige weiterhin verboten bleibt, werden die Auswirkungen der Legalisierung auf Heranwachsende immer wieder diskutiert. Denn ein zu früher Konsum kann neben einer Abhängigkeit zur Bildung von Psychosen oder kognitiven Beeinträchtigungen führen. Und auch die Justizbehörden sehen die neuen Regelungen kritisch.
Jugendsuchtberaterin erwartet Anstieg des Konsums
Manuela Köhler von der Jugendsuchtberatung der Caritas im Landkreis erwartet durch die Legalisierung einen Anstieg des Konsums. „Dieser ist jedoch eher der bislang unbekannten Dunkelziffer geschuldet.“ Die bisherige Prohibitionsstrategie sei aus Sicht des Jugendschutzes jedenfalls nicht aufgegangen. Im Gegenteil: Gerade bei jungen Menschen steige der Konsum immer weiter an. In den Caritas-Suchtberatungsstellen im Diözesanverband München und Freising sei Cannabis die häufigste Substanz nach Alkohol. „Vor allem bei der Gruppe der 14- bis 21-Jährigen erfährt Cannabis eine hohe Beliebtheit“, erklärt Köhler. Gründe sind unter anderem ein gemeinsamer Konsum im Freundeskreis oder Cannabis als Mittel zur Stimmungsaufhellung, Stressabbau oder gegen Langeweile.
Präventionsangebote ausbauen
Auffällig sei zudem, dass den Konsumierenden die negativen Auswirkungen der Droge auf ihr Leben und ihre Persönlichkeit häufig kaum bewusst sind. Entscheidend sei deshalb, Hilfsangebote und die Präventionsarbeit auszubauen. Zumal der Bedarf in Zukunft tendenziell steigen werde. Dabei ist man laut Köhler auch als Caritas gefragt, das Angebot der Fachambulanz für Suchterkrankungen im Landkreis zu überprüfen und gegebenenfalls auszuweiten. Auch gelte es, die Behandlungsmöglichkeiten gerade für Minderjährige auszubauen. „Es mangelt in Bayern an medizinischen Rehabilitationsangeboten, um bei einem Abhängigkeitsverhalten adäquat Unterstützung zu finden.“
Für mehr Mittel für die Suchthilfe plädiert auch Johanna Beysel. Sie ist zuständig für den Kinder- und Jugendschutz beim Amt für Jugend und Familie am Landratsamt. Allerdings äußert sie Zweifel an der Umsetzbarkeit der geplanten Präventionsmaßnahmen: „Ich würde mir eine klare Linie wünschen, welche Stellen sich in Zukunft mit Jugendlichen mit Cannabiskonsum auseinandersetzen und wie diese Stellen konkret gestärkt werden.“ Bisher sei unklar, wie man die notwendigen Präventions- und Interventionsangebote sowohl aus finanzieller als auch personeller Sicht umsetzen könne.
Über Umwege kommt man trotzdem an Drogen
Dass die Legalisierung zu einem besseren Jugendschutz führt und Minderjährige am Cannabiskonsum hindert, ist laut Beysel eher unwahrscheinlich. Das hätten die Erfahrungen mit den legalen Drogen Alkohol und Nikotin gezeigt. Zwar gibt es gesetzlich festgelegte Altersgrenzen und Kontrollen. Das verhindere aber nicht, dass Jugendliche über Umwege – beispielsweise über private Feiern oder über andere Jugendliche und Erwachsene – trotzdem an die Drogen kommen. „Ich glaube nicht, dass das mit Cannabis grundlegend anders laufen wird“, so Beysels Einschätzung.
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Deshalb sei die Stärkung der Aufklärungsangebote zentral. „Nur wenn Jugendliche genug Informationen zur Verfügung gestellt bekommen, können sie selbst verantwortungsvoll entscheiden, ob sie überhaupt Alkohol, Nikotin, Cannabis oder andere Drogen konsumieren wollen.“ Sie erwartet, dass die Hemmschwelle für den Konsum durch die neue Gesetzesregelung weiter sinken wird. Bereits vor der Legalisierungsdebatte habe man in den vergangenen Jahren eine gesellschaftliche Enttabuisierung und eine gewisse Verharmlosung der Droge beobachten können. „Selbstverständlich führt dies dazu, dass Jugendliche weniger Respekt vor der Droge haben“, erklärt Beysel.
40 Prozent aller Suchtberatungen zum Thema Cannabis
Vergangenes Jahr entfielen mit 87 Beratungen rund 40 Prozent aller Termine bei der Jugendsuchtberatungsstelle im Landkreis auf Cannabis. Ein Detail sei aber aus Sicht des Jugendschutzes positiv: „Eine frühe Kriminalisierung von Jugendlichen entfällt.“ Denn ebenso wie bei erwachsenen Konsumenten wird der Drogenbesitz nicht mehr strafrechtlich verfolgt. Ein einmaliger, unproblematischer Konsum führe somit nicht mehr automatisch zu einem Gerichtsverfahren, erläutert Beysel. Auf der anderen Seite treffe dies auch auf Jugendliche mit problematischem Konsummuster zu. Entsprechende Konsequenzen für den Cannabisbesitz entfallen also. „Das kann Fluch und Segen sein.“
Justiz befürchtet Mehrbelastung der Gerichte
Auch die Justizbehörden im Landkreis haben häufiger mit der Droge zu tun. Vergangenes Jahr wurden 54 Verfahren am Amtsgericht Wolfratshausen in Zusammenhang mit Cannabis verhandelt, wie Richterin und Pressesprecherin Rosemarie Mamisch auf Anfrage mitteilt. 2021 und 2022 waren es jeweils 80. Zu der Frage, wie die neuen Regelungen die Arbeit der Justiz beeinflussen, verweist Mamisch auf die Stellungnahme des bayerischen Justizministeriums. Darin heißt es: Man lehne das Gesetz grundsätzlich ab, auch weil eine Mehrbelastung für Gerichte und Staatsanwaltschaften zu erwarten sei. Insbesondere der rückwirkende Straferlass stelle die Staatsanwaltschaft vor Herausforderungen, da Tausende Akten per Hand überprüft werden müssten. Neben dieser Amnestie-Regelung sorgt auch die komplizierte Ausgestaltung des Gesetzes für Kritik. Es enthalte 36 Bußgeldtatbestände – doppelt so viele wie bisher. „Dadurch entsteht eine Flut neuer Rechtsfragen“, kritisiert etwa der bayerische Justizminister Georg Eisenreich. (Franziska Selter)