Gaißacher Firma sucht nach verschollenen Erben

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Wer erbt? Diese Frage klären seit 2021 Veronika und Johannes Piechatzek. Systematisch wird die Wohnung durchsucht Manche freuen sich, andere wittern Betrug © arp

Veronika und Johannes Piechatzek arbeiten als Nachlasspfleger. Sie forschen nach verschollenen Erben, sichern aber auch den Besitz des Verstorbenen.

Bad Tölz-Wolfratshausen – Ein Mann stirbt. Er hat keine Familie, zumindest keine ihm nahe stehenden Verwandten. Sein Vermieter fragt sich, was nun mit all den Sachen geschieht, die sich in der Wohnung des Verstorbenen befinden. Und was wird generell aus dem Nachlass des Mannes, wenn es keine direkten Erben gibt? In Fällen wie diesen werden Veronika und Johannes Piechatzek tätig. Sie sind Nachlasspfleger und versuchen, mögliche Erben ausfindig zu machen. Das kann mitunter Jahre dauern. Bis dahin übernehmen sie viele Verpflichtungen, die normalerweise an den Hinterbliebenen hängen.

Beide sind Quereinsteiger in diesem Beruf

Diligentia Nachlass GmbH heißt das Unternehmen mit Sitz in Bad Kissingen, für das Piechatzeks arbeiten. 2021 gründeten sie ein eigenes Büro in Gaißach, nachdem sie schon einige Jahre Erfahrungen gesammelt und Kurse absolviert hatten. Beide sind Quereinsteiger. Veronika Piechatzek ist eigentlich Kunsttherapeutin, ihr Mann CNC-Fräser. Durch Bekannte bekamen sie Einblicke in das Berufsbild des Nachlasspflegers – und stiegen schließlich komplett um.

Vom Schneeräumen bis zur Abokündigung: Vielfältige Aufgaben

Das Wort „Diligentia“ ist Lateinisch und steht für Sorgfalt oder auch Gründlichkeit. Und genau das ist bei ihrer Tätigkeit gefragt. Veronika Piechatzek kümmert sich vor allem um die Erbenermittlung, ihr Mann um die Verwaltung des Nachlasses. Bestellt werden sie meistens vom Gericht, immer dann, wenn Erben nicht bekannt sind und es einen Nachlass zu sichern gibt. Bei Letzterem ist ganz praktischer Einsatz gefragt. „Ich kündige beispielsweise Verträge oder auch Abos und verwalte die Konten, bis die Erben gefunden sind.“ Bei einem verstorbenen Immobilienbesitzer „schaue ich, dass im Winter Schnee geräumt wird und die Heizung geht, letztlich alles, was der Hausbesitzer selber auch machen würde“.

Schwierig wird es, wenn der Verstorbene eine Firma hinterlässt, die nicht liquide ist

Bei Mietwohnungen kümmern sich die Nachlasspfleger um die Räumung – sofern die Kosten dafür gedeckt werden können. „Wenn gar kein Geld vorhanden ist, bekommt der Vermieter von mir die Schlüssel und muss dann selber räumen“, sagt Johannes Piechatzek. Das sei für den Betroffenen zwar bitter, aber vom Gesetz her so geregelt. Oft seien es aber tatsächlich Vermieter, die sich ans Nachlassgericht wenden, „weil sie niemanden haben, dem sie die Wohnung kündigen können“, erklärt Veronika Piechatzek. Noch komplizierter wird die Nachlasspflegschaft, wenn der Verstorbene einen Betrieb mit Angestellten hinterlässt. Auch hier springt der Nachlasspfleger bei der Verwaltung ein. „Schwierig wird es dann, wenn das Unternehmen nicht liquide ist“, sagt Veronika Piechatzek.

Haus oder Wohnung werden systematisch durchsucht

Haus oder Wohnung des Verstorbenen werden jedenfalls systematisch durchsucht. Einmal geht es dabei darum, Geld, Schmuck und andere Wertgegenstände zu sichern. Zum anderen werden Dokumente, Stammbücher, Fotoalben oder auch Postkarten gesichtet – auf der Suche nach Hinweisen auf mögliche Familienangehörige.

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All diesen Hinweisen geht Veronika Piechatzek nach. „Ich liebe das, und ich bin da auch sehr ehrgeizig“, sagt sie über ihre Aufgabe. Stück für Stück trägt sie die Familiengeschichten zusammen, folgt sich verzweigenden Spuren, fordert in Archiven Dokumente an. „Zum Glück haben wir ein großes Team hinter uns“, sagt sie. Oft führen Spuren ins Ausland, nach Schlesien oder auch in die USA. „Dann wird es kompliziert, und es dauert seine Zeit“, sagt Veronika Piechatzek. Es können durchaus Jahre ins Land gehen, bis die Erbengemeinschaft komplett ermittelt ist. Manchmal sei man auch der Meinung, dass ein Fall ausrecherchiert ist, und plötzlich gebe es im Gespräch mit einem Hinterbliebenen einen Hinweis auf einen weiteren Erben – und Piechatzeks Arbeit beginnt von Neuem.

Die Reaktionen der gefundenen Erben sind ganz unterschiedlich, manche wittern Betrug

Den ersten Kontakt mit den künftigen Erben nimmt das Büro auf. Die Reaktionen seien ganz unterschiedlich. „Manche freuen sich, andere sind traurig, weil sie durch uns vom Tod ihres Verwandten erfahren haben. Viele erzählen uns ihre Familiengeschichte. Es gibt aber auch welche, die skeptisch sind, weil sie eine Betrugsmasche wittern“, sagt Veronika Piechatzek.

Fälle wie im Film, wo gerne mal jemand von einer Millionenerbschaft durch einen entfernten Verwandten erfährt – das gebe es im echten Leben eher selten, sagt Veronika Piechatzek. „Aber oft freut sich schon jemand.“ Gerade eben habe sie zwei Einzelpersonen ermittelt, die nun recht unverhofft in den Genuss eines Nachlasses kommen. „Da freut man sich auch selber mit“, sagt sie.

Auch Erbengemeinschaften können die Nachlasspfleger beauftragen

Großteils werden sie vom Wolfratshauser Nachlassgericht bestellt. Dazu kommen vereinzelt Aufträge aus anderen Landkreisen. Beauftragt werden können sie aber auch von Erbengemeinschaften. Das sei manchmal der Fall, wenn es sich um viele Erben handle, diese mit der Angelegenheit überfordert sind, in verschiedenen Ländern leben oder sich die Beteiligten nicht ganz grün sind. „Dann können wir den Nachlass auch in ihrem Auftrag abwickeln“, sagt Veronika Piechatzek. Bezahlt werden Nachlasspfleger übrigens in jedem Fall aus der Erbmasse.

Und was ist eigentlich der Unterschied zwischen Nachlasspfleger und Testamentsvollstrecker? Letzterer „handelt im Sinne des Erblassers“, erklärt Johannes Piechatzek. „Wir handeln ganz im Sinn der Erben.“

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