„Schon ein Brösel am Tag ist schlecht“: Wie es ist, wenn Glutenintoleranz den Alltag bestimmt

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Glutenfreies Brot ist im Einzelhandel vergleichsweise einfach zu kriegen. Im Vergleich zu anderen Ländern sei das Einkaufen mit Zöliakie aber nach wie vor eine echte Herausforderung, kritisiert Linda Kunze. In Ländern wie der Schweiz, Italien oder Spanien sei die Auswahl deutlich größer. © Peter Endig/dpa

Nicht viele können sich vorstellen, wie es ist, bei jedem Produkt auf die Inhaltsstoffe achten zu müssen. Bei Glutenintoleranz geht es nicht anders. Wir haben Linda Kunze besucht, die zwei Kinder mit Zöliakie hat.

Schongau – Es ist noch gar nicht lange her, da musste der Toaster aus Linda Kunzes Küche dran glauben. Schuld war gewissermaßen ihr Bruder: Ohne groß darüber nachzudenken, hatte er sein Brot zum Toasten in die Schlitze geschoben und das Gerät für die Familie damit de facto unbrauchbar gemacht. Zwei der vier Töchter von Linda Kunze vertragen kein normales Brot. Sie haben Zöliakie – eine Lebensmittelunverträglichkeit, die besser als Glutenintoleranz bekannt und auf der ganzen Welt relativ weit verbreitet ist. In Deutschland sollen mehr als 800 000 Menschen an Zöliakie leiden. Weil viele Betroffene keine Symptome haben, dürfte die tatsächliche Zahl deutlich höher liegen.

Die Töchter von Linda Kunze leben glücklicherweise nahezu ohne Beschwerden. Damit das so bleibt, und um sie vor Langzeitschäden durch eine falsche Ernährung zu schützen, versucht Kunze so gut es geht, ihre Mädels von Glutenhaltigem fernzuhalten. Dazu gehören vor allem Produkte aus Weizen, Roggen, Hafer oder Gerste, aber auch viele Lebensmittel, in denen man Gluten auf den ersten Blick nicht erwarten würde. Zum Beispiel Essig, Eis oder Mayo.

Wie die Schongauerin sagt, mache letztlich immer die Menge das Gift – und im Zweifel seien eben schon Krümel zu viel. „Für einen Zöli ist ein Brösel am Tag schlecht“, erklärt die 40-Jährige den Maßstab, dem sie folgt. „So wurde ich geschult.“ Also tat sie nicht lange herum und ließ den mit Gluten vollgekrümelten Toaster aus ihrem Zuhause verschwinden.

Inzwischen glänzt ein neuer Edelstahl-Toaster auf der Arbeitsfläche der modernen Landhausküche, an der Kunze lehnt, während sie von ihrem „Zöli“-Haushalt erzählt. Die blonden Haare fallen der 40-Jährigen locker über die Schultern, an ihrem Hals baumelt eine Kette mit Perlenanhänger, das Make-up sitzt. Kunze hat nicht nur ihre Vorratsschränke im Griff.

Die aber besonders: In den Küchenschubladen und Schränken hat die vierfache Mutter die Lebensmittel, die ihre Familie jeden Tag braucht, streng sortiert. Nach und nach öffnet sie die Türchen und Schubladen und erklärt, nach welchen System sie sie befüllt hat. Unten sind die glutenhaltigen Sachen verstaut, die sie, ihr Mann und die Kinder ohne Unverträglichkeit essen können. In den Fächern darüber lagern die Lebensmittel, die kein Gluten enthalten. Durch diese Trennung lasse sich vermeiden, dass die Zöliakie-sicheren Lebensmittel von den anderen kontaminiert werden, sagt Kunze.

„Zöli“-Haushalt ist streng sortiert – Lebensmittel werden getrennt aufbewahrt

Ihr ist bewusst, dass den meisten Menschen das ziemlich übertrieben vorkommt. „Ich hab das früher ja selbst gedacht“, gesteht sie lachend. Bis vor 13 Jahren ihre erste Tochter zur Welt kam und ihren Eltern ernsthaft Sorgen bereitete. Schon mit einem Jahr habe das Kind immer über Bauchschmerzen geklagt, erzählt die Mutter. „Sie hat immer gesagt: Bauchweh, Bauchweh.“ Außerdem sei der Bauch ihrer Tochter regelrecht aufgebläht gewesen, die Ärmchen dafür ganz dünn. Die Familie ging immer wieder zum Arzt, aber es dauerte lange, bis feststand, was dem Kind fehlt. „Bei sowas heißt es ja oft, dass es etwas Psychisches ist.“

Erst als Kunzes Tochter fünf Jahre alt war, konnten die Ärzte eine Diagnose stellen. Den ersten Hinweis auf die Unverträglichkeit ergab eine Blutuntersuchung, bei der herauskam, dass der Wert an Zöliakie-Antikörpern deutlich erhöht war. Um den Verdacht auf Glutenintoleranz zu bestätigen, kam die Fünfjährige für eine Biopsie ins Krankenhaus. Eine Gewebeuntersuchung des Dünndarms sollte zeigen, ob es bei ihr einen Schwund an Dünndarmzotten gab – was ein typisches Anzeichen für die Erkrankung ist. „Da hat der Arzt schon mit bloßem Auge gesehen, dass das bei ihr so war“, erinnert sich Kunze.

Diagnose: Zwei von vier Töchtern haben Zöliakie

Nachdem bei der ältesten Tochter feststand, dass sie an Zöliakie leidet, war das Bewusstsein für die Lebensmittel㈠unverträglichkeit in der ganzen Familie geschärft. Die Kunzes ließen auch ihre Zweitälteste untersuchen, als sie fünf wurde – und es stellte sich heraus, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit dieselbe Erkrankung wie ihre ältere Schwester hat. „Das war ein Schock“, erinnert sich Kunze. „Damit hatten wir bei ihr nicht gerechnet.“

Anders, als es bei der Ältesten der Fall war, sei die Diagnose bei der jüngeren Tochter aber nicht so eindeutig gewesen. Um Klarheit darüber zu haben, ob es sich bei der Unverträglichkeit des zweiten Kindes tatsächlich um Zöliakie handelt, soll die Zwölfjährige in zwei Jahren noch einmal untersucht werden. Solange soll sie Gluten vermeiden.

Mit der Diagnose ihrer Kinder änderten sich für die Kunzes auf einen Schlag große Teile des Alltags. Plötzlich stand man nicht nur im Supermarkt viel länger vor den Regalen, um die Inhaltsangaben jeglicher Produkte zu studieren – jeder Sonntagsausflug, Eisdielenbesuch oder Kindergeburtstag muss seither vorab durchdacht werden. Wird es in dem Eiscafé auch etwas Glutenfreies geben, oder sollten wir gleich woanders hingehen? Haben die anderen Eltern daran gedacht, dass sie auch eine Alternative zum Marmorkuchen auf den Geburtstagstisch stellen? Wie wird der Wirt reagieren, wenn ich nach der Allergenliste frage?

Immer noch negative Erfahrungen in Restaurants und Cafés

Gerade die Sache mit dem Auswärts-Essen beschäftigt Kunze und ihre Töchter immer wieder. Denn im Gegensatz zu anderen Ländern wie Italien, der Schweiz oder Österreich tue man sich in deutschen Lokalen mit einer Glutenunverträglichkeit immer noch sehr schwer.

Woran das liegt, kann die 40-Jährige nur erahnen. „Ich glaube, bei uns haben einfach ganz viele Angst“, meint sie schulterzuckend. Ihre Vermutung: Anstatt sich mit den Inhaltsstoffen der eigenen Produkte auseinanderzusetzen, würden viele Wirte aus der Befürchtung heraus, etwas falsch zu machen, gleich sagen: „Wir haben nichts Glutenfreies.“

Linda Kunze leitet eine Selbsthilfegruppe für Zöliakie-Erkrankte im Landkreis Weilheim-Schongau.
Linda Kunze leitet eine Selbsthilfegruppe für Zöliakie-Erkrankte im Landkreis Weilheim-Schongau. © Theresa Kuchler

Kunze mache diese Erfahrung regelmäßig, wenn sie in ein Restaurant oder Café kommt und für ihre Kinder nach der Allergenliste fragt. Diese Auflistung mit den Inhaltsstoffen, die in den Lebensmitteln stecken, müssen in der Europäischen Union alle Gastronomen auf Nachfrage vorlegen können, das ist in der sogenannten Lebensmittel-Informationsverordnung (LMIV) geregelt. Kunze weiß das, sie kennt ihre Rechte. Nicht nur, weil sie Mutter von zwei Betroffenen ist, sondern auch, weil sie die Zöliakie-Selbsthilfegruppe im Landkreis (siehe Kasten) gegründet und eineinhalb Jahre für die Deutsche Zöliakie-Gesellschaft gearbeitet hat. Seit Jahren steckt die Schongauerin tief im Thema.

Deshalb ärgert sie sich besonders, wenn sie immer wieder auf Ablehnung, Unverständnis oder gar Wut stößt – wegen einer Unverträglichkeit, die sich wirklich niemand aussuche. Kopfschüttelnd erzählt Kunze, dass sie vor kurzem sogar aus einem Lokal im Landkreis komplimentiert wurde, nachdem sie nach der Allergenliste gefragt hatte. Der Betreiber habe sich auf den Schlips getreten gefühlt, „als hätte ich ihn kontrollieren wollen“, ist sie sicher.

Früher habe sie sich in solchen Fällen an die Lebensmittelüberwachung gewandt, die im Landratsamt sitzt. Inzwischen hat Kunze das aufgegeben, sie habe nicht das Gefühl gehabt, dass ihr Nachbohren etwas bewirkte.

Lebensmittelüberwachung in Weilheim-Schongau: Behörde kontrolliert regelmäßig

Auf Anfrage unserer Zeitung erklärt die Lebensmittelüberwachung im Landkreis, dass sich eine Betroffene selbstverständlich immer bei der Behörde melden könnten, wenn ihnen die Auskunft über Allergene verwehrt wird. In den letzten Jahren habe es aber sehr wenige Beschwerden gegeben – zumindest in Weilheim-Schongau. „In den allermeisten Fällen sind die Gastronomen sehr bemüht, ihren Gästen bestmöglich diese Informationen bereitzustellen“, beteuert die Behörde. Es sei aber „natürlich immer möglich, dass spezielle Allergenkarten gerade überarbeitet werden oder bereits an andere Gäste ausgegeben worden sind“. Im Zweifel sollten sich Betroffene ans Personal wenden, was in der Regel die beste Lösung sei.

Generell müsse jeder „Lebensmittelunternehmer“ die Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben sicherstellen, sobald er ins Geschäft einsteigt. „Die Kontrollen der Kennzeichnung erfolgt im Rahmen der planmäßigen Routinekontrollen“, erklärt die Lebensmittelüberwachung. Dabei überprüfe man etwa Speisekarten stichprobenartig „auf Plausibilität“. Wie oft solche Kontrollen stattfinden, hänge davon ab, wie die „individuelle Risikoanalyse der Betriebe“ aussieht – also ob es einen Anlass gibt, bei einem Lokal näher hinzuschauen oder nicht.

Übrigens: Alles aus der Region gibt‘s auch in unserem regelmäßigen Schongau-Newsletter. Und in unserem Weilheim-Penzberg-Newsletter.

Wenn die Lebensmittelüberwachung feststellt, dass ein Betrieb gegen die LMIV verstößt – weil es beispielsweise keine Allergenliste gibt –, habe sie mehrere Möglichkeiten zu reagieren: Bei einem geringen Verstoß könne es zu einer Verwarnung kommen, bei grob fahrlässigen oder gar vorsätzlichen Verstößen sogar zu Bußgeldern oder Strafverfahren.

Für Linda Kunze dürfte das ein geringer Trost sein. Eigentlich will sie sich nicht mit Wirten herumärgern oder jemanden an den Pranger stellen. Sie hätte einfach gern die Gewissheit, dass sie mit ihren Töchtern bedenkenlos etwas Glutenfreies wie Pommes oder Salat essen kann. Egal wo.

Selbsthilfegruppe für „Zölis“ im Landkreis

Seit 2017 gibt es eine Selbsthilfegruppe für Zöliakie-Erkrankte im Landkreis Weilheim-Schongau. Gegründet haben sie Linda Kunze und Kristina Barth, die beide Kinder mit Glutenintoleranz haben. Ziel der Gruppe sei es, einen Austausch unter den betroffenen Familien zu schaffen – und den Erkrankten eine Stimme zu geben, sagt Kunze. Das sei wichtig, um auch den Wirtschaftsbetrieben wie Supermärkten und Gastro-Betrieben in der Region zu zeigen: „Uns gibt es.“

Inzwischen gehören der „Zöli“-Selbsthilfegruppe zwischen 40 und 50 Mitglieder an. „Darunter sind um die 20 Zölis und ihre Angehörigen“, erklärt Kunze. Die Mitglieder veranstalten immer wieder Treffen, was derzeit aber nicht so einfach sei. Wie die Schongauerin seufzend erklärt, habe die Gruppe gerade keinen Raum, in dem sie zusammenkommen kann. Die Räumlichkeiten im Bürgerzentrum MIZ in Altenstadt stehen nicht mehr zur Verfügung.

Die Selbsthilfegruppe ist deshalb auf der Suche nach einer Alternative. „Falls es in der Umgebung einen Raum für uns gibt, wären wir sehr dankbar“, erklärt Kunze und bittet um Hilfe: „Vielleicht kennt jemand etwas, oder eine Gemeinde in der Umgebung hat einen Raum, der für uns ca. drei Mal im Jahr zur Verfügung gestellt werden könnte – eher ehrenamtlich. Schongau selbst hat leider nur Räume, die für ehrenamtliche Tätigkeiten zu teuer sind.“

Wer an der Selbsthilfegruppe für Zöliakie-Erkrankte interessiert ist oder den Mitgliedern bei der Raum-Suche in der Region helfen kann, der erreicht die Leiterin der Gruppe, Linda Kunze, unter zoeliakie.gruppe@gmail.com oder unter 0175/718 6107, wie im Gespräch mit der Heimatzeitung mitgeteilt wurde.

„Ich glaube, es haben ganz viele Angst, etwas falsch zu machen. Da sagen sie lieber gleich: Wir haben nichts Glutenfreies.“

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