Ausland - AfD, Trump und Co: Politik der Spaltung
Die Warnung vor der Spaltung ist die Warnung unserer Zeit: Donald Trump spalte die USA, die US-Regierung den demokratischen Westen, die radikal rechte ParteiAlternative für Deutschland (AfD) die deutsche Gesellschaft, die Migrationsfrage Europa und der Umgang mit dem Klimawandel gleich die ganze Welt. Die Welt polarisiert sich, die Gräben zwischen gesellschaftlichen Gruppen und ganzen Ländern vertiefen sich, so warnen Beobachter.
Gleichzeitig wächst der Berg an gemeinsamen Aufgaben. Kriege, Konflikte, Migration, Handel, Klima, soziale Fragen und der technische Fortschritt verbinden die Welt - ohne Rücksicht auf Spaltungen und Gräben.
Demokratische Gesellschaften hatten lange Zeit den Ruf, die besseren Problemlöser zu sein. Die Annahme: Wo gesellschaftliche Herausforderungen gemeinsam offen ausgehandelt werden, wachse die Chance auf gute Lösungen, die von einer breiten Mehrheit getragen werden.
Aber dieser Ruf hat in der polarisierten Welt gelitten. Denn die Bereitschaft zu Kompromissen und Verständigung hat abgenommen. Die politische Stimmung ist unversöhnlicher geworden.
Der Soziologe Nils Teichler vom Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt der Universität Bremen warnt vor den Folgen der Polarisierung. Wenn Bevölkerungsgruppen sich gegenseitig blockieren, werden politische Kompromisse unmöglich, analysiert er im DW-Interview. "Je stärker Einstellungen gegenüber Gruppen vorgefertigt sind und je stärker Sympathieunterschiede aufgrund von nur einzelnen Merkmalen zwischen Gruppen getroffen werden, umso stärker wird der Zusammenhalt gefährdet."
In einer aktuellen Studie zur gesellschaftlichen Spaltung hat das Forschungsinstitut einen bemerkenswerten Effekt entdeckt: Wo die radikale Rechte stark ist, steigen die Spaltungseffekte weit über ihre Wählerschaft hinaus. Vereinfacht gesagt: In den Hochburgen der AfD haben auch Menschen, die die Partei gar nicht wählen, mehr Vorurteile gegenüber Minderheiten.
Die Forscherinnen und Forscher haben den Zusammenhang von regionalen Erfolgen der Alternative für Deutschland und die Sympathien für bestimmte gesellschaftliche Gruppen untersucht. "Wir finden Anzeichen dafür, dass in Regionen, in denen die AfD politisch besonders erfolgreich war, dass dort die Menschen benachteiligte Gruppen und gesellschaftliche Minderheiten mit geringeren Sympathiewerten bewerten", sagt Teichler.
Das betreffe vor allem Migranten, Muslime, Homosexuelle oder Menschen mit geringer Bildung. "Das heißt, wir finden Anzeichen für eine Spaltung in Regionen, in denen die AfD stärker ist." Was war zuerst da: die Spaltung oder die radikale Rechte? Soziologe Teichler sagt, beides gehe Hand in Hand.
Auch die radikale Rechte warnt vor einer Spaltung der Gesellschaft. Aber sie benennt nur einen Hauptgrund: die Migration. Sie fordert geschlossene Grenzen. US-Präsident Donald Trump stellt Einwanderer immer wieder pauschal als kriminell und gefährlich dar. Die AfD-Parteivorsitzende Alice Weidel sprach von Muslimen als "Messermännern" und "Kopftuchmädchen".
Die populistischen Töne reichen bis weit in die Mitte der Gesellschaft: Auch der vermutlich künftige Bundeskanzler, Friedrich Merz (CDU), sprach in der Vergangenheit von Kindern aus Einwandererfamilien als "kleine Paschas". Eine Formulierung, die sich auf muslimische Familien bezog.
"Der Rechtsruck, den wir gerade erleben, hat in Deutschland nahezu alle Parteien erfasst", bilanziert Cihan Sinanoğlu. Er ist der Leiter des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung.
Er sagt, Sozialdemokraten (SPD), Grüne und die Liberalen (FDP) seien mitverantwortlich für einige der restriktivsten Gesetze in der Asyl- und Einwanderungspolitik.
Sinanoğlu kritisiert, dass es ein Irrglaube sei, durch diese restriktive Politik der radikalen Rechten die Wähler zu entziehen, um sie zurück in die gesellschaftliche Mitte zu holen. Ein Mittel gegen die rassistische Politik der AfD sei sie schon gar nicht. "Das zeigt das Beispiel Ostdeutschland, wo viel weniger Geflüchtete und Menschen mit Migrationshintergrund leben als im Westen des Landes. Gleichzeitig haben wir hier aber die Hochburgen der AfD."
Der Sozialwissenschaftler begrüßt eine offene Debatte über Migration und über die Grenzen der Aufnahmefähigkeit einer Gesellschaft. Es sei aber ein Versagen der Politik, Spaltung immerzu mit Migrationsfragen zu verknüpfen, kritisiert Sinanoğlu.
Ein Versagen mit einem hohen Preis. Vor allem für die migrantische Gesellschaft, warnt Sinanoğlu im DW-Interview. "Zum Beispiel wenn wir jetzt die ganze Zeit über irreguläre Migration sprechen: Migrantinnen und Migranten merken sehr, sehr genau, wer mit diesen Debatten eigentlich gemeint ist: nämlich wir." Die deutsche Mehrheitsgesellschaft würde an Normen festhalten, die Migranten auch nach Jahrzehnten im Land ausgrenzen.
Was derzeit passiere, sei eine symbolische Ausbürgerung von Migranten - mit weitreichenden sozialen Folgen: "Die Menschen ziehen sich zurück, sie leben in Angst, sie denken über Auswanderung nach. Das belastet unsere romantischen Beziehungen, unsere Freundschaften", stellt Sinanoğlu fest.
Dass die radikale Rechte die Spaltung vorantreibt, steht für ihn außer Frage. Aber die westlichen Gesellschaften würden es ihnen allzu leicht machen. Denn die politisch Verantwortlichen - egal ob in Deutschland, Großbritannien, Frankreich oder den USA - würden den eigentlichen Spaltpilz in ihren Gesellschaften nicht angehen: die soziale Frage.
"Wir müssen über materielle Fragen sprechen, wir müssen diese soziale Frage in den Mittelpunkt rücken und nicht irgendwelche Ideale und Werte hochhalten, die für sehr viele Teile dieser Gesellschaft nie angewendet werden", kritisiert Sinanoğlu abstrakte Debatten über gesellschaftlichen Zusammenhalt. Es gehe um bezahlbare Mieten, gerechte Löhnen und soziale Aufstiegsmöglichkeiten.
Die Frage nach Zusammenhalt und Sicherheit in einer Gesellschaft werde fälschlicherweise nur an der Migrationsfrage gemessen. "Über wessen Sicherheit sprechen wir eigentlich? Die Personen, die gerade von Sicherheit und Ordnung sprechen in Bezug auf Migration, sind die gleichen Leute, die den Arbeitsmarkt flexibilisiert haben, die die Arbeitsplätze prekarisiert haben und die die Unsicherheit erst reingebracht haben in die Lebensverhältnisse von Menschen."
Der Aufstieg der radikalen Rechten in der westlichen Welt - für den Sozialwissenschaftlicher Sinanoğlu ist er eine Folge der Spaltung - der sozialen Spaltung.
Von Hans Pfeifer
Das Original zu diesem Beitrag "AfD, Trump und Co: Politik der Spaltung" stammt von Deutsche Welle.