Es wuselt an allen Ecken und Enden des verwinkelten „Gasthof zur Post“ in Steingaden: Nachdem die Bürgerstiftung das Gebäude gekauft hat, wird dort im großen Stil ausgeräumt.
Bulldogs mit Anhängern und vollgeladene Pritschenwagen stehen am Marktplatz. Verstaubte Bettwäsche und Matratzen fliegen aus den Fenstern. Im „Gasthof zur Post“ in Steingaden wird geschraubt und geschleppt. Rund 30 Helfer sind dem Aufruf der Bürgerstiftung gefolgt und misten im großen Stil aus.
„Eine Wahnsinnsaktion“, sagt Sebastian von Eltz. Zwei bis drei Tage habe man angesetzt, um alte Möbel und sonstige Überbleibsel des früheren Gasthofs hinauszuschaffen und zur EVA-Deponie zu fahren. „Und jetzt sind wir mittags schon fast fertig“, freut sich der Stiftungsratsvorsitzende. „So machen wir weiter“, meint sein Kollege August Sieber.
Wie berichtet, hatte die Bürgerstiftung den Gasthof, der seit rund zwei Jahren nicht mehr als solcher genutzt wurde, im Herbst 2024 gekauft, im November wurden die Schlüssel übergeben. Das Ziel: Dort soll wieder Leben einkehren. Doch bevor ein neuer Pächter übernehmen kann, müssen die in die Jahre gekommenen Räume hergerichtet werden.
Wirtschaft und Saal sollen zuerst renoviert werden
Zunächst sollen die Wirtschaft sowie die Küche renoviert werden, erklärt von Eltz. Mitglieder des Männerchors haben sich letzterer angenommen. Rudolf Dursch steht auf einer Leiter und löst mit dem Akkuschrauber die Latten von der Decke. Rainer Beckert nimmt sie entgegen und stapelt sie am Rand. „Jeder packt mit an und arbeitet, ohne zu diskutieren“, erzählt Dursch. Nur das Kochen müsse später dann doch jemand anderes übernehmen, schmunzelt Beckert.
Bayerische Gerichte würde man sich laut von Eltz wünschen. Außerdem soll der Saal schnellstmöglich hergerichtet werden. Dieser soll dann von der Bürgerstiftung in Kooperation mit dem künftigen Wirt bespielt werden.
Beim Aktionstag stapeln sich sämtliche Stühle aus dem Gebäude fast bis zur Decke. Auch andere Möbel werden zwischengelagert, bevor sie draußen auf die Anhänger geladen werden. Monika Eicher achtet darauf, dass alle Materialien gleich sortiert werden, bevor sie zur Mülldeponie gefahren werden.
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„Schutt“ ist es vor allem, der aus dem dreistöckigen und verwinkelten Gasthof nach draußen gebracht werden muss, erzählt Carola. Sie will ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen. Viel Kaputtes, Möbel, die nicht mehr in Gebrauch sind, erklärt sie. „Und Wäsche“, ergänzt Heike Grevé. Decken, Kissen, Matratzen und Teppiche. „Was von einem Hotel halt so übrig bleibt.“
Speisekarte mit D-Mark-Preisen und ein versteckter Weihnachtsmann
Ungewöhnliches ist ihnen nicht unter die Augen gekommen. „Eine alte Speisekarte mit D-Mark-Preisen, das war ganz nett“, meinen die beiden Frauen. Eine Weihnachtsmann-Figur, die sich in einem Müllsack versteckt hatte, sorgt für Erheiterung und wird während der gemeinsamen Brotzeit im Gastraum aufgestellt. Gleich neben einem versteckten Fach, das früher für Schießwettbewerbe genutzt wurde.
Das ganze Geschleppe sei schon eine sportliche Nummer, meint Grevé. Ob die eher einer Wanderung auf den Tegel- oder den Buchenberg ähnelt, darüber sind sich die lachenden Frauen uneins. Einigkeit herrscht bei allen Befragten aber darüber, dass sie froh sind, „dass die Post im Ort bleibt“ und nicht an einen Investor ging.
In dem geschichtsträchtigen Haus (siehe Kasten) zu arbeiten, gefällt auch Cordula. Sie interessiere sich sehr für „den Ludwig“, den König, erzählt sie. Gemeinsam überlegen die Helfer, in welchem der Räume der damalige Prinz wohl nächtigte. Die 21 Gästezimmer, die zum Gebäude gehören, können langfristig wieder genutzt werden. Das Herrichten hat laut von Eltz aber keinen Vorrang.
Baum im Biergarten gefällt
Im Biergarten musste bereits im Vorfeld eine schadhafte Kastanie gefällt werden. Auch weitere Bäume müssen aus Sicherheitsgründen vermutlich umgeschnitten werden, fürchtet von Eltz. Das werde man noch untersuchen und gegebenenfalls neue Bäume pflanzen.
Die Kinder im Ort hätten schon Ideen für „ihre Post“, weiß er. Zu den Blütentagen soll es einen Malwettbewerb geben, bei dem die Vorstellungen auf Papier gebracht werden. Die Vorfreude der Kinder und Helfer zeige: ein neuer Pächter ist in Steingaden mehr als willkommen. Auch die Ideen der Erwachsenen seien gefragt. „Wir wollen offen und transparent diskutieren“, so von Eltz. Und miteinander die „Post“ aus ihrem Dornröschenschlaf holen. Zwar ist man am Aktionstag schneller vorangekommen als erwartet. Zu tun gibt es freilich noch. Man müsse es aber koordinieren, so von Eltz. Und werde dann bestimmt wieder zu Aktionstagen aufrufen.
Die Geschichte des Gasthauses
Wohl mit den ersten Klostergebäuden wurde das Gasthaus als Herberge und Taverne um das Jahr 1200 errichtet: Ein zweigeschossiger Bau mit steilem Satteldach und quadratischem Grundriss (circa 20 Meter Seitenlänge), heißt es auf einer Infotafel am „Gasthof zur Post“. Im Bauernkrieg (1525) und Dreißigjährigen Krieg (1632, 1642, 1646) gibt es Zerstörungen und Wiederaufbau. Im 18. Jahrhundert wird das Gasthaus ins Postnetz der „Thurn- und Taxis‘schen Postanstalt“ einbezogen mit der Möglichkeit des Pferdewechsels.
1802, ein halbes Jahr vor der Säkularisation, kauft Martin Promberger das Haus, es wird von der klösterlichen Tafernwirtschaft zum „Gasthof zur Post“. 1815 wird das Gebäude um zehn Meter nach Westen verlängert. Um 1855 macht die bayerische Königsfamilie wiederholt Station in Steingaden. Der spätere König Ludwig II. soll dort als Prinz übernachtet haben. Die Posthalterfamilie Promberger bleibt bis 1904 Besitzer, dann übernimmt Friedrich Reichsgraf von Dürckheim-Montmartin, ab 1918 die Familien Klaas, Lutz (sen. und jun.) und Wagenhuber. 1936 wird der circa 30 Meter lange Saalanbau errichtet.