Gerechtigkeitsdebatte um soziales Pflichtjahr: Müssen Rentner nochmal ran?

  • Im Video oben: Top-Ökonom Fratzscher fordert verpflichtendes soziales Jahr für Rentner

Die Rente ist sicher … sogar ganz sicher immer ein Thema, um sich aufzuregen. Wer sich auch zum Ende des Hochsommers noch nicht sattgesehen hat an den Sommerinterviews im Fernsehen, der wird das nicht überhört haben. 

Lars Klingbeil etwa – die menschgewordene Dreifaltigkeit aus der Bundesregierung: SPD-Vorsitzender, Finanzminister und Vizekanzler – hat diese Woche wieder einmal im Sat.1-Interview den Dachdecker beschworen, der sich nach 45 Jahren seinen Rentenanspruch redlich verdient hat. Das ist, erstens, nachvollziehbar. Zweitens hätte Klingbeil selber einen Dachschaden, wenn er es sich als Chef der irgendwie doch immer noch linken SPD entgehen ließe, das Hohe Lied zu singen auf „die hart arbeitende Bevölkerung“ und „die Gerechtigkeit“.

Soziales Pflichtjahr für Rentner!

Mit Rente für den Dachdecker kann man stimmungsmäßig nicht viel falsch machen. Mit Arbeitspflicht für Rentner dagegen sehr wohl. Ganz sicher wollen gerade eine Menge Menschen im Land den Wirtschaftswissenschaftler Marcel Fratzscher bevorzugt in Rente schicken. 

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hat für die Rentner eine Art soziales Pflichtjahr gefordert: „Die ältere Generation muss sich stärker einbringen, beispielsweise im Sozialbereich, aber auch bei der Verteidigung.“ Die ganz Alten unter uns werden da vielleicht Erinnerungen an den Volkssturm 1945 im Kopf haben. Da wurden alte Männer in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs an die Waffen gerufen, um den „Heimatboden“ zu verteidigen – häufig genug eine frühe Form von Sterbehilfe.

Erschießen, äh: erschließen wir uns ihre Fähigkeiten!

So versteht Marcel Fratzscher seinen Aufruf selbstverständlich nicht. Ihm geht es, ganz wie Lars Klingbeil, um Gerechtigkeit. Auch wenn er zum gegenteiligen Ergebnis kommt. Weil die Jungen ja nicht mehr an der Waffe gelernt haben, will er sich die technischen Fähigkeiten der Älteren erschießen, äh: erschließen. „Warum“, so fragt er, „sollten wir die nicht nutzen, gerade von Leuten, die früher bei der Bundeswehr ausgebildet wurden?“ Schuld sind die Senioren schließlich selber. 

Die Babyboomer hätten zu wenige Kinder gezeugt. „Ich den Sechzigerjahren versorgten sechs Beitragszahler eine Rentnerin oder einen Rentner. Bald sind es nur noch zwei. Wieso sollten ausschließlich die Jungen für diese Lebensentscheidungen der Babyboomer geradestehen?“ Hättet ihr Sex eben nicht einfach nur so zum Spaß machen sollen, sondern um euch vom Sozialdienst wegzukindern. Schafft Rüstung mit Rentnern Gerechtigkeit? Sicher bin ich mir da nicht. Obwohl ich mich persönlich mit drei Kindern eher auf der sicheren Seite fühle.

18.300 Euro „Ruhegeld“ – im Monat

Sehr viel sicherer finde ich zu einem Urteil über Ungerechtigkeit. Womit wir wieder beim Fernsehen wären. Das Berliner Landgericht hat ja neulich entschieden, dass der Rundfunk Berlin-Brandenburg seiner fristlos entlassenen Intendantin Patricia Schlesinger ein „Ruhegeld“ von 18.300 Monat zahlen muss. Aus Kostengründen ging es bei der Klage zunächst nur um einen einzigen Monat. Nun liegt die durchschnittliche Lebenserwartung von Frauen in Deutschland aktuell bei 83,2 Jahren. Schlesinger ist 64. Maßvoll optimistisch geschätzt, kommen wir also auf eine Zahlung des RBB von 4,4 Millionen Euro.

Knochenjob mit Massagesessel

Das Ruhegeld von 18.300 Euro im Monat stehe Patricia Schlesinger nach über 30 Jahren im Dienst des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu, hatte ihr Anwalt argumentiert. Muss also ein ziemlicher Knochenjob sein. Wobei die Intendantin auch wegen eines gewissen Hangs zum Luxus und Massagesesseln im Dienstwagen gefeuert worden war. 

Wenn das der Dachdecker nach über 45 Jahren Dachziegelschleppen in gefährlicher Höhe hört, könnte er glatt zu zwei Ergebnissen kommen. Erstens: Das Leben ist nicht sozial gerecht. Zweitens: Er hat keinen Bock, auch noch ein Soziales Jahr im Ruhestand zu leisten. Drittens aber versteht er, warum das Fernsehprogramm, das ihm in seinem Rentnerruhesessel vorgesetzt wird, nur mehr aus Wiederholungen besteht. Das Gebührengeld braucht das Fernsehen für die eigenen Rentner.