"Wehleidig, ichbezogen und ohne Not nachtretend - Habeck ist offenbar frustriert"

Bis vor wenigen Monaten war Robert Habeck einer der mächtigsten Politiker Deutschlands. Erst Grünen-Chef, dann Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler der Ampel-Regierung, dann Kanzlerkandidat seiner Partei. Habeck war selbst vielen politikverdrossenen Menschen ein Name. Oder wenigstens ein Gesicht. 

Am Montag hat der Grüne im Interview mit der "taz" und einem Video auf Instagram verkündet, sich aus der Politik zurückzuziehen. Zum 1. September will Habeck sein Bundestagsmandat zurückgeben. Er wolle "Abstand zu dem zu engen Korsett des Berliner Politikbetriebs gewinnen", sagte der Ex-Bundeswirtschaftsminister der Zeitung.

Habeck ist "wehleidig, ichbezogen und ohne Not nachtretend"

Der Schritt ist bemerkenswert. Gilt Habeck doch als jemand, dem seine politische Karriere enorm wichtig war und der unbedingt Bundeskanzler werden wollte. Das weiß auch seine Biografin Susanne Gaschke. 

Sie ist ernüchtert davon, wie sich der Grüne im Gespräch mit der "taz" präsentiert. Immerhin wirkt er im Interview zeilenweise rüpelhaft und grob. "Ich finde das Gespräch leider nicht sehr preußisch", sagt Gaschke zu FOCUS online. 

Stattdessen sei Habeck "eher wehleidig, ichbezogen und ohne Not nachtretend – zum Beispiel gegen die Bundestagspräsidentin Julia Klöckner". Er behauptete zum Beispiel, Parlamentspräsidentin Julia Klöckner (CDU) habe die Gesellschaft gespalten, weil sie Regenbogenfahnen auf dem Berliner Reichstag und in den Büros der Abgeordneten untersagte. "Ob mutwillig oder aus Dämlichkeit, weiß ich nicht", so der Grünen-Politiker. 

Habeck-Biografin kritisiert "Bibi-und-Tina-Kitsch"

Gaschke meint, der "mittlere Habeck" hätte solche Aussagen als schlechten Stil empfunden. "Der späte Habeck ist aber offenbar frustriert und außer Facon", sagt sie. Viele seiner Formulierungen sind in ihren Augen "ziemlich unerträglich".

"Dieser Bibi-und-Tina-Kitsch über die neue Tür, die sich öffnet, wenn eine andere zugeht; diese ganzen 'Ins Offene'-, 'Leinen loslassen'- und 'Luft unter die Flügel bekommen'-Klischees; und die haarsträubende Behauptung, Schwarz-Grün sei verächtlich gemacht und zerstört worden. Was für ein weinerlicher Unfug", so Gaschke. 

Das Ergebnis der Grünen bei der vorgezogenen Bundestagswahl sei so schlecht gewesen, dass es für Schwarz-Grün nicht reichte. Das hätte die Klimapartei ganz allein hinbekommen.

Gaschke überrascht über Bundestags-Rückzug

Dass Habeck sein Bundestagsmandat tatsächlich niederlegen will, überrascht Gaschke, die 33 Jahre lang Mitglied der SPD war, aus mehreren Gründen. Zum einen wegen der Online-Petition, in der Hunderttausende Fans den ehemaligen Bundeswirtschaftsminister zum Bleiben aufgefordert hatten. 

Zum anderen wegen Habecks eigener Worte. Denn: "Laut seiner Analyse ist die Demokratie, wie wir sie kennen, in Gefahr – hätte da nicht ein fähiger Politik-Erklärer, der er zweifellos ist, unbedingt an Bord bleiben müssen?"

"Jetzt überwiegt bei Habeck anscheinend der Frust"

Von früher kennt die Journalistin den Grünen als jemanden, der mit Niederlagen tapfer umgehen konnte, sagt sie. "Jetzt überwiegt anscheinend der Frust – und die Angst, dass sein 'Früher war ich mal Vizekanzler' heute nicht mehr viel gilt."

Was von Habeck künftig zu erwarten ist, darüber lässt sich nur spekulieren. Er will, so erklärte er es, das nächste Jahr an verschiedenen ausländischen Forschungs- und Bildungseinrichtungen forschen, lehren und lernen. Darunter am Dänischen Institut für Internationale Studien in Kopenhagen und an der Elite-Universität Berkeley in Kalifornien.

Gaschke glaubt nicht, dass Habeck den Grünen fehlen wird 

"Er ist ja eigentlich Literaturwissenschaftler. Ich denke aber eher, dass er versuchen wird, sich mit den typischen Think-Tank-Beiträgen zur internationalen Politik zu Wort zu melden", sagt Gaschke. Dass er den Grünen wahnsinnig fehlen wird, glaubt sie nicht.

"Neue Leute, auch neue Talente, drängen nach. Habeck hatte versucht, die Grünen für breitere bürgerliche Schichten wählbar zu machen – aber in Wahlerfolgen hat sich das dann doch nicht abgebildet", erklärt sie. Insofern habe der Ex-Wirtschaftsminister Recht, wenn er sagt, dass sein Politikansatz abgewählt wurde. Zudem hat er eine gespaltene Partei hinterlassen.

Was Gaschke am Ende stört, ist die Art, wie der Politiker mit seinem Bundestagsmandat umgegangen ist. In ihren Augen hat er es geringgeschätzt, "nach dem Motto: Das ist etwas für die Unambitionierten, die Hinterbänkler, die Ehemaligen." Für sie stimmt das nämlich nicht, denn: "Es ist ein Kernamt der Demokratie."