Deutschland - Berlin stellt sich auf mögliche Trump-Präsidentschaft ein

Es ist ein Bild von enormer Symbolkraft, das schon Minuten nach dem Attentat um die Welt ging: Der Wahlkämpfer Donald Trump mit blutverschmiertem Gesicht, die Faust nach oben gereckt, vor einer amerikanischen Flagge. Dieses Bild vergleichen seitdem viele mit den jüngsten geistigen Aussetzern von Präsident Joe Biden.

Der Parteitag der US-Republikaner in Milwaukee hat denn auch unter tosendem Applaus Trump offiziell zum Präsidentschaftskandidaten gekürt. Viele in den USA glauben, dass Trump jetzt kaum noch zu stoppen sein wird.

Das glauben - besser gesagt: befürchten - auch deutsche Politiker. Manche haben aus ihrer Abneigung gegen Trump keinen Hehl gemacht. Bundeskanzler Olaf Scholzhat beim G7-Gipfel im Juni in Italien deutlich erkennen lassen, dass ihm eine weitere Amtszeit von Joe Biden lieber wäre.

Vor solcher öffentlicher Parteinahme rät der Transatlantikexperte Dominik Tolksdorf von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik ab. „Jeder weiß, was auf dem Spiel steht“, schreibt Tolksdorf der Deutschen Welle, „gleichzeitig haben deutsche Politiker keinen Einfluss auf den US-Wahlkampf - sie sollten vorbereitet sein, aber sich mit Anti-Trump-Rhetorik besser zurückhalten.“

J.D. Vance: „Mir ist egal, was mit der Ukraine passiert“

Besorgnis in Deutschland hat auch die Nominierung von J.D. Vance als Vize eines möglichen Präsidenten Donald Trump ausgelöst. Das gilt zum Beispiel beim Thema Ukraine-Unterstützung. Vance habe auf der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) im Februar „sehr klar gemacht, wie schnell Trump und er die Ukraine Putin ausliefern würden“, schrieb Grünen-Co-Chefin Ricarda Lang auf X. Vance hatte 2022 in einem Podcast offen gesagt: „Mir ist eigentlich egal, was mit der Ukraine passiert.“

MSC-Chef Christoph Heusgen sagte der Nachrichtenagentur Reuters, Vance habe seine Position in München klar benannt: „Die USA würden künftig andere Prioritäten setzen, Europa müsse sich selbst um seine Verteidigung kümmern und auch die Hauptlast bei der Unterstützung der Ukraine von den USA übernehmen.“

Vance hat so einiges über Deutschland gesagt, das den meisten deutschen Politikern nicht gefallen dürfte. Abgesehen von seinen Klagen über ungenügende deutsche Verteidigungsanstrengungen hat er die deutsche Energiepolitik „idiotisch“ genannt.

Zum Aufstieg der rechten Partei AfD sagte er im Februar in einem Interview, Grund sei „ein wachsender Widerstand gegen Massenmigration“, die europäischen Eliten hörten den einfachen Menschen nicht zu. Vance tritt wie Trump für generelle Einfuhrzölle ein, um die eigene Industrie zu schützen, was vor allem das exportorientierte Deutschland treffen würde.

Deutschlands Abhängigkeit von den USA noch gewachsen

Dass Deutschland und Europa mehr für ihre Verteidigung tun müssen, ist nicht neu. Trump hat das schon während seiner Präsidentschaft 2016 bis 2020 immer wieder gesagt. Das in Milwaukee verabschiedete Programm der US-Republikaner bestätigt das noch einmal: „Die Republikaner werden Bündnisse stärken, indem sie sicherstellen, dass unsere Verbündeten ihren Verpflichtungen nachkommen und in unsere gemeinsame Verteidigung investieren“, heißt es darin.

„Das Problem ist“, meint Tolksdorf, „dass Deutschland und Europa heute noch viel 'verletzlicher' als 2016 sind, weil Russland nicht nur die Ukraine, sondern ganz Europa bedroht und Europa sicherheitspolitisch weiter sehr abhängig von USA ist.“ Die Europäer könnten aber zumindest Trump heute besser einschätzen als 2016.

„Die Bundesregierung bereitet sich am besten auf ein mögliches Trump-Szenario vor, indem sie die Unterstützung der Ukraine ausweitet und sich auch darauf einstellt, künftig viel mehr Unterstützung leisten und organisieren zu müssen“, rät der Transatlantikexperte.

Deutschland müsse sich auf diese Forderung einer Trump-Regierung vorbereiten: „Wenn ihr unserer Unterstützung in der Nato gewiss sein wollt, müsst ihr Europäer euch als verlässlicher Partner erweisen, das heißt, viel mehr selbst investieren und zur gemeinsamen Verteidigung einbringen.“

US-Langstreckenwaffen in Deutschland im Sinne Trumps

Deutschland hat hier bereits eine Wende eingeleitet und gibt deutlich mehr für Verteidigung aus, wenn auch vor allem bedingt durch die russische Bedrohung. Einen weiteren Schritt hat Bundeskanzler Scholz erst vor wenigen Tagen beim Nato-Gipfel in Washington unternommen. Mit Präsident Biden vereinbarte er eine Stationierung amerikanischer Langstreckenwaffen in Deutschland.

„Viele der Waffensysteme, um die es jetzt geht, wurden gerade unter Trump angestoßen“, sagte Tim Thies vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg der Deutschen Welle, als der Deal bekannt wurde.

„Zudem soll Deutschland für deren Stationierung laut Verteidigungsminister Boris Pistorius selbst zahlen. Die Bundesregierung scheint etwaige Forderungen von einem möglichen künftigen Präsidenten Trump nahezu vorbeugend zu antizipieren.“

Deutsche Delegation in Milwaukee

Viele deutsche Politiker erinnern sich mit Schrecken an die erste Präsidentschaft Trumps. Sein Wahlsieg damals hatte die meisten kalt erwischt, weil sie fest mit einer US-Präsidentin Hillary Clinton von den Demokraten gerechnet hatten.

Wie tief der Graben zwischen Trump und der deutschen Politik damals war - und immer noch ist -, zeigte auch die äußerst undiplomatische Äußerung des damaligen deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier. Der hatte während des US-Wahlkampfs 2016 Trump als „Hassprediger“ bezeichnet. Zum Glück für den späteren Bundespräsidenten blieb ihm ein Staatsbesuch Trumps in Deutschland bisher erspart.

Diesmal will man in Berlin besser vorbereitet sein. Michael Link (FDP), Koordinator für die transatlantische Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt, weitere Abgeordnete der Bundestagsfraktionen sowie der deutsche Botschafter in Washington nehmen als Beobachter am Parteitag der US-Republikaner in Milwaukee teil.

„Wir werden mit jedem Präsidenten zusammenarbeiten müssen, denn beim transatlantischen Verhältnis geht es nicht um individuelle Vorlieben, sondern um die zentrale unverzichtbare Konstante der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland“, sagte Link dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Auch Annalena Baerbock reagiert: Reise ins republikanisches Texas

Politiker der Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP haben Kontakte zu den US-Republikanern lange schleifen lassen - zu groß sind die ideologischen Unterschiede. Inzwischen sprechen sich aber immer mehr deutsche Außenpolitiker für solche Kontakte aus, unter anderem Nils Schmid, der außenpolitische Sprecher der SPD.

Und die grüne Außenministerin Annalena Baerbock reiste kürzlich bei einem USA-Aufenthalt bewusst auch ins republikanisch regierte Texas. Sie will Kontakte auf Ebene der Bundesstaaten oder Städte knüpfen, wie sie in einem Interview sagte. Offenbar ist spätestens jetzt ein Plan B der Bundesregierung angelaufen.

Nach wie vor hoffen die Mitglieder der Bundesregierung, dass ein Demokrat - nach Lage der Dinge Joe Biden - die Wahl gewinnt. Doch die Zweifel angesichts von Bidens Schwäche nehmen zu, und man beginnt in Berlin, sich auf den Fall des Falles einzustellen.

Was würde sich unter einer Präsidentschaft Trump II für Deutschland ändern? Dominik Tolksdorf meint: „Die Beziehungen würden sehr abkühlen, man sollte aber trotzdem nach Wegen suchen, halbwegs konstruktive Beziehungen aufrechterhalten.“

Autor: Christoph Hasselbach