Herber Rückschlag für Putin im Ukraine-Krieg: Kiew soll nach Kursk-Vorstoß fast 100 Dörfer kontrollieren
Kiew vermeldet weiter militärische Erfolge im russischen Kursk. Anders sieht es für die Ukraine hingegen in Donezk aus.
Kiew – Die Ukraine soll bei ihrer Offensive in der russischen Region Kursk weitere territoriale Gewinne errungen haben. Das gab Präsident Wolodymyr Selenskyj am Montag (19. August) vor Diplomaten und Beamten bekannt. „Stand heute kontrollieren unsere Kräfte mehr als 1.250 Quadratkilometer Territorium des Feindes und 92 Ortschaften“.
Mit diesen Fortschritten sei das taktische Ziel, die Bedrohung für die ukrainische Grenzregion Sumy zu minimieren, erreicht worden. Darüber hinaus bezeichnete Selenskyj die Offensive als den größten Erfolg in Bezug auf die Gefangennahme russischer Soldaten seit Beginn des Ukraine-Kriegs. Selenskyj gab an, dass die Soldaten später gegen kriegsgefangene Ukrainer ausgetauscht werden sollen. Beobachter schätzen, dass Russland im bisherigen Verlauf des Krieges mehr Ukrainer gefangen genommen hat als umgekehrt.

Kursk-Vorstoß als Überschreiten der „rotesten aller roten Linien Russlands“
Selenskyj lobte die Offensive als großen Erfolg, den vor einigen Monaten niemand für möglich gehalten hätte. Er erinnerte daran, dass Kritiker selbst theoretische Überlegungen in diese Richtung als Überschreitung der „rotesten aller roten Linien Russlands“ abgelehnt hätten. Daher seien die Vorbereitungen heimlich getroffen worden. Der aktuelle Erfolg zeige jedoch deutlich die Unfähigkeit Wladimir Putins, Territorium Russlands vor solchen Gegenangriffen zu schützen. Zudem habe der ukrainische Vorstoß zu einem Umdenken bei den westlichen Partnern geführt, so Selenskyj, der seine Diplomaten aufforderte, weiterhin aktiv um Waffenhilfe zu werben.
Die Angaben Selenskyjs zu dem Vorstoß übertreffen die meisten bisherigen Schätzungen von Militärbeobachtern. Das unabhängige Internetportal Meduza hatte vor einigen Tagen auf Basis von Foto- und Videomaterial aus dem umkämpften Gebiet Kursk die territorialen Gewinne auf 862 Quadratkilometer geschätzt. Allerdings räumen die meisten Fachleute die Ungenauigkeit ihrer Schätzungen ein. Die ukrainischen Streitkräfte veröffentlichen nur sehr wenig, um ihren Vormarsch nicht zu gefährden.
Der Militäranalyst Jan Matwejew warnt laut dpa, dass die russischen Truppen südlich des Flusses Sejm Gefahr laufen, eingekesselt zu werden. Die ukrainischen Streitkräfte haben nach eigenen Angaben in der Region Kursk zwei Brücken über den Fluss zerstört oder zumindest schwer beschädigt. Es gibt auch noch offiziell unbestätigte Berichte über eine dritte zerstörte Brücke. Solche Schäden würden die Versorgung der russischen Truppenteile und einen möglichen Rückzug erheblich erschweren, so Matwejew.
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Kursk-Vorstoß der Ukraine: Putin lehnt Verhandlungen ab
Während die Ukraine durch die Gegenoffensive auf eine bessere Verhandlungsposition hofft, lehnt der russische Machthaber Putin Verhandlungen ab. „Der Präsident hat sehr deutlich gesagt, dass nachdem die Angriffe, genauer gesagt die Invasion im Gebiet Kursk begonnen hat, von Verhandlungen keine Rede sein kann“, erklärte der russische Außenminister Sergej Lawrow im russischen Staatsfernsehen während Putins Besuch in Aserbaidschan. Lawrow kündigte an, dass Putin in Kürze eine Einschätzung der Lage abgeben werde.
Lawrow bezeichnete Berichte über Kontakte zwischen den Kriegsparteien, die von Vermittlern wie Katar oder der Türkei hergestellt worden seien, als bloße Gerüchte.
Schwere Kämpfe in der Ostukraine: Lage für Kiew weiter kritisch
Während die ukrainischen Truppen auf russischem Gebiet vorrücken, bleibt die Situation an der Front im Osten der Ukraine schwierig. Der Generalstab in Kiew berichtete in seinem abendlichen Lagebericht von 154 Gefechten auf ukrainischem Gebiet am Montag. Der Hauptangriff der Russen konzentrierte sich auf den Raum Pokrowsk im Gebiet Donezk, wo mehr als ein Drittel der Angriffe stattfanden. Nach Angaben des Generalstabs wurden allein dort mehr als 300 russische Soldaten getötet oder verletzt. Diese Angaben können jedoch nicht unabhängig überprüft werden.
Die ukrainischen Soldaten leiden weiterhin unter den Luftangriffen. Der Lagebericht spricht von 71 russischen Luftschlägen und dem Abwurf von 86 gelenkten Gleitbomben. Zudem seien zahlreiche Kamikaze-Drohnen gegen ukrainische Stellungen und Siedlungen eingesetzt worden.
Militärhilfen der USA: Kursk-Vorstoß der Ukraine soll nichts ändern
Die Gegenoffensive der Ukraine in der Region Kursk hat laut dem Pentagon keinen Einfluss auf die Unterstützung der USA für Kiew. Eine Sprecherin des US-Verteidigungsministeriums erklärte, dass Präsident Joe Biden „sehr deutlich gemacht, dass wir die Ukraine weiterhin und dauerhaft unterstützen und ihr zur Seite stehen werden, solange es nötig ist“. Dies bedeute auch, dass sich die Art der Hilfe nicht geändert habe. Die USA unterstützen Kiew weiterhin vorrangig durch die Lieferung militärischer Ausrüstung.
US-Verteidigungsminister Lloyd Austin versicherte seinem ukrainischen Kollegen Rustem Umerow in einem Gespräch am Montag die weitere Unterstützung der USA, so Sprecherin Sabrina Singh. Austin habe in dem Gespräch auch ein besseres Verständnis dafür bekommen, was die Ukraine mit der Gegenoffensive erreichen wolle. Auf Nachfrage wollte die Sprecherin nicht sagen, ob Washington Kiew zusätzliche Satelliteninformationen zur Verfügung stelle. Sie wolle nicht öffentlich über den Austausch von Geheimdienstinformationen mit den Ukrainern sprechen, sagte sie. „Aber wir haben diese Beziehung zu ihnen.“ (lrg/dpa)