Traditionsunternehmen in der Krise – Suche nach Verantwortlichen für BayWa-Beben
BayWa hat ein Sanierungsgutachten in Auftrag gegeben. Das Ergebnis steht aus. Allerdings beginnt bereits die Suche nach den Verantwortlichen.
München – Deutschlands größter Agrarhändler steckt in der Krise. Der Schuldenberg belief sich Ende 2023 auf rund 5,5 Milliarden Euro – Tendenz steigend. Mitte Juli hatte das Unternehmen einen Sanierungsgutachter aktiviert, ein Gutachten sollte die „angespannte Finanzierungslage“ verbessern. Der Vorstand vermittelte Optimismus darüber, dass die eingeleiteten Maßnahmen die finanzielle Situation stärken würden. Allerdings hat die Suche nach einem Schuldigen längst begonnen. Die große Frage dahinter: Wie konnte es so weit kommen?
Gründe für Absturz bei BayWa – „Aufsichtsrat hat versagt“
Laut dem Wirtschaftswissenschaftler Werner Gleißner gründet die Krise bei BayWa unter anderem auf veralteten Standards beim Risikomanagement. Gleißner, außerdem tätig als Honorarprofessor für Betriebswirtschaftslehre an der TU Dresden, kritisierte, dass die BayWa AG beim Risikomanagement und der Krisenfrüherkennung nur „eines von zehn relevanten Kriterien“ erfülle, die sich aus gesetzlichen Anforderungen ableiten ließen. Es bestehe ein erheblicher Ausbaubedarf.

Unter anderem analysiere die BayWa die Auswirkungen von Rating-Risiken auf die Liquidität des Unternehmens nicht in ausreichendem Maße. „Es fehlt zudem eine Risikoaggregation, die die Kombinationseffekte von Einzelrisiken auswertet und den Gesamtrisikoumfang bestimmt“, zitierte die WirtschaftsWoche den Risiko-Experten Gleißner. „Aufsichtsrat und Vorstand der BayWa haben beim Thema Risikomanagement meines Erachtens versagt.“ Es habe viele „Alarmsignale“ gegeben.
Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz sieht ebenfalls den Aufsichtsrat in der Verantwortung. „Da hatte das billige Geld gelockt“, sagte Daniela Bergdolt von der Schutzvereinigung gegenüber dem Handelsblatt und meinte dabei den extremen Expansionskurs von BayWa. Mit hoher Verschuldung hatte der Konzern eine weltweite Expansion verfolgt. Die Führung sei offenbar davon ausgegangen, dass die Zinsen langfristig bei null blieben, und schlichtweg überzogen. „Jetzt steckt man in einer riesigen Zinsfalle“, erklärte Bergdolt. Der Aufsichtsrat habe zu viele Projekte durchgewinkt – und dann hatte die EZB die Zinsen angehoben.
Enorme Expansion bei BayWa – auf Pump?
Der aktuelle Niedergang der BayWa AG beginnt ironischerweise mit ihrem Aufstieg, und der wiederum fand seine Ursprünge bereits im Jahr 2008. Damals wurde Klaus Josef Lutz der neue BayWa-Chef. Lutz hatte große Ambitionen mit dem Konzern: den Konzern zum globalen Player machen. „Die Landwirtschaft erlebt eine Renaissance, weil der Bedarf an Agrarrohstoffen weltweit steigt und sich im Bereich erneuerbare Energien neue Chancen aufgetan haben“, erklärte die BayWa. Unter anderem kaufte sie den niederländischen Getreidehändler Cefetra B.V und die norddeutsche Bohnhorst Agrarhandel GmbH.
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2011 stellte sich der Konzern im Obstgeschäft „global“ auf, übernahm Turners & Growers Ltd, den Marktführer im neuseeländischen Obstgeschäft. 2012 galt die BayWa als globaler Agrarhändler. Bis 2023 konnte Lutz durch diese Zukäufe den Geschäftsumsatz verdreifachen. Weil sich BayWa allerdings zu einem größeren Teil auch auf Photovoltaik konzentriert hatte, schlug hier derselbe Effekt zu, der die ganze Solarbranche derzeit beutelt: Massenhaft chinesische Billigprodukte hatten den europäischen Markt geflutet und für einen enormen Preisverfall gesorgt.
Ex-Chef von BayWa zeigt sich entsetzt von der Sanierung
Klaus Josef Lutz, der dem Vorstand von BayWa lange Jahre vorgesessen hatte, hatte sich bereits gegen die Vorwürfe gewehrt, nach denen er für die Krise mitverantwortlich sein soll. „Ich bin überrascht und entsetzt zugleich von der aktuellen Situation der BayWa“, zitierte die Nachrichtenagentur Lutz unter Berufung auf eine Ausgabe der Süddeutschen Zeitung. Seiner Meinung nach habe die Expansion des Konzerns nichts mit der aktuellen Krise zu tun. Lutz war erst im Januar nach einem Machtkampf aus dem Konzern ausgeschieden.
„Wir haben expandiert, und jede Expansion birgt Risiken. Aber den Schulden standen immer höhere Vermögenswerte gegenüber“, erklärte Lutz. 2022, als er noch für die BayWa-Bilanz verantwortlich gewesen war, hatte die Bilanz „gesund“ ausgesehen. Damals habe es noch höhere Vermögenswerte als Schulden gegeben.
Ist BayWa sanierungsfähig? Gutachten soll weitere Antworten liefern und Insolvenz abwenden
Mitte Juli hatte BayWa dann ein Sanierungsgutachten in Auftrag gegeben. Dieses sollte zeigen, ob eine Sanierung überhaupt möglich ist. Laut der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ging der Auftrag an die Sanierungsberater von Roland Berger. „Der BayWa-Vorstand hat einen etablierten Experten als Restrukturierungskoordinator beauftragt, der den Prozess aktiv begleitet und intensiv mit dem Vorstand zusammenarbeitet“, hatte ein Sprecher mitgeteilt.
BayWa selbst hatte angegeben, die Konzernstrategie weiter erfolgreich zu fahren. „Viele der Maßnahmen unserer ,Strategie 2030‘ werden in den Geschäftsbereichen und Beteiligungen unserer Gruppe erfolgreich umgesetzt“, erklärte der BayWa-CEO Marcus Pöllinger, der Lutz beerbt hatte, in einer Unternehmensmeldung. „Die Bestände und damit auch die Kapitalbindung wurden bereits spürbar reduziert, zum Beispiel im Segment Agrar: Im Vergleich zu den Vorjahren haben wir 45 Prozent weniger Ware eingelagert, sind aber durchgängig lieferfähig, weil wir die Landwirtschaft dank optimierter Abwicklungsprozesse ,just in time‘ beliefern.“
Die letzte Pressemeldung hatte BayWa vor der Bekanntmachung des Sanierungsgutachtens veröffentlicht. Der Konzern kann auf eine mehr als hundertjährige Geschichte zurückblicken. (Laernie mit AFP)