Metall-Tarifrunde vor hartem Konflikt in der VW-Krise: Sichere Arbeitsplätze wichtiger als hohe Löhne?
Die IG Metall will höhere Löhne durchsetzen, doch in der Branche kriselt es. Dazu kommen die Hiobsbotschaften aus dem VW-Konzern. Rückenwind gibt es aus der Politik.
Frankfurt/Main – Die IG Metall muss sich bei ihren Forderungen für die rund 3,9 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie in diesem Jahr wohl auf harte Konflikte einstellen. Die Gewerkschaft trifft auf schwierige wirtschaftliche Verhältnisse bei vielen Arbeitgebern, mit dem kriselnden Riesenkonzern VW an der Spitze. Die Angst um die Arbeitsplätze geht insbesondere im Automobilsektor um, in der die Gewerkschaft eigentlich ihre stärksten Streiktruppen hat.
IG Metall fordert höhere Löhne – und bietet „tarifpolitischen Werkzeugkasten“ an
170 Euro für Azubis und sieben Prozent mehr Geld für alle anderen: Auf diese Formel hat sich die Gewerkschaft nach monatelangen Abstimmungen, Konferenzen und Beratungen geeinigt. Die dritthöchste Forderung seit 30 Jahren wurde vor allem mit den Kaufkraftverlusten begründet, welche die Mitglieder in den zurückliegenden Hochinflationsjahren erlitten haben. Doch spätestens seit dem Beben in Wolfsburg ist überdeutlich, dass es auch und womöglich zuallererst um sichere Arbeitsplätze im Hochlohnland Deutschland geht.
Im Interview mit der Wirtschaftswoche verteidigt der IG-Metall-Chef von NRW, Knut Giesler, die Gehaltsforderungen: „Ich halte unsere Forderung für maßvoll, auch mit Blick auf andere Branchen. Wir kommen aus Jahren der Hochinflation mit sinkenden Realeinkommen.“ Steigende Löhne seien in dieser Phase ein Stabilitätsfaktor in der Wirtschaft, da sie Kaufkraft und Binnenkonsum erhöhen. Außerdem: „Die IG Metall hat in NRW jüngst eine große Betriebsrätebefragung gemacht. Ergebnis war: Es gibt zwar vielerorts das diffuse Gefühl einer allgemeinen Krise. Diese ist aber vor Ort in vielen Betrieben kaum feststellbar.“
Wenn ein Betrieb aber Probleme habe, könne man „den tarifpolitischen Werkzeugkasten öffnen“, so Giesler weiter zu dem Magazin. „Wir können – wie während der Pandemie vielfach geschehen – Ergänzungstarifverträge abschließen. Oder wir können unseren Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung nutzen, der eine Absenkung der Arbeitszeit ohne oder nur mit teilweisem Lohnausgleich erlaubt. Notfalls können wir runtergehen bis auf 28 Stunden!“ Das sichere die Liquidität der Betriebe. „Ich sage ganz klar: Werkzeuge zur Flexibilisierung des Flächentarifs sind mehr als genug vorhanden“, betont Giesler in der Wirtschaftswoche.
„Unverträglich hoch“: Arbeitgeber gegen Gewerkschaftsforderung
Die Metallarbeitgeber verweisen dagegen darauf, dass ihre Produktion im Schnitt immer noch 14 Prozent unter Vorkrisenniveau liegt. Die Produktivität der Werke hat in den vergangenen Jahren deutlich nachgelassen und auch die Neuaufträge kommen nur schleppend. „Unverträglich hoch“ sei daher in dieser Lage die Forderung nach sieben Prozent mehr Geld in dieser Lage, sagt NRW-Metall-Präsident Bodo Kirchhoff. Andere Arbeitgebervertreter haben Nullrunden verlangt.
Dazu kommen noch die Warnungen von VW-Chef Oliver Blume, die wohl nicht ganz zufällig unmittelbar vor der Tarifrunde die Tabus beim größten deutschen Autokonzern brechen. Werkschließungen und der drohende Verlust der vor 30 Jahren eingeführten Jobgarantie, das kann die mächtigste Gewerkschaft Deutschlands nicht einfach ignorieren.
Die neue Erste Vorsitzende der IG Metall, Christiane Benner, verlangt, dass Werkschließungen und betriebsbedingte Kündigungen bei VW schnell wieder in der Versenkung verschwinden. „Das sind für uns absolut rote Linien.“ Stattdessen bringt Benner die alte Idee der Vier-Tage-Woche ins Gespräch, die einer ihrer Vorgänger, Jürgen Peters, zusammen mit dem VW-Manager Peter Hartz in einer früheren VW-Krise im Jahr 1993 gefunden hat. Die Arbeitskräfte mussten gegen geringeres Gehalt nur noch 80 Prozent der vereinbarten Arbeitszeit leisten. Aus dieser Zeit stammt auch die Jobgarantie, die Blume nun in Frage gestellt hat.
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Heil: Wer Tariflohn zahlt, erhält Aufträge vom Bund
Rückenwind für die Gewerkschaft gibt es aus der Politik: Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) forderte Volkswagen erneut auf, Werksschließungen zu vermeiden. Es müsse vorher über Alternativen gesprochen werden, sagte der SPD-Politiker, der auch im VW-Aufsichtsrat sitzt, kürzlich dem Sender NDR Info.
Zudem brachte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) eine weitere Idee ins Spiel: Unternehmen, die öffentliche Aufträge ausführen, sollen demnach künftig dazu verpflichtet werden, ihre Angestellten nach Tarifvertrag zu bezahlen. Ein Entwurf für ein sogenanntes Tariftreuegesetz sieht nach Angaben aus Regierungskreisen vor, dass Arbeitnehmern zumindest für die Dauer eines vom Bund erhaltenen Auftrags „tarifvertragliche Arbeitsbedingungen gewährt werden“ müssen. So sollen demnach „Nachteile tarifgebundener Unternehmen im Wettbewerb um öffentliche Aufträge“ ausgeglichen werden.
„Wir wollen, dass öffentliche Aufträge des Bundes – und so ist das in der Koalition vereinbart – an die Unternehmen gehen, die tariflich bezahlen“, sagte Heil am Montag (9. September) im ARD-„Morgenmagazin“. Dabei gehe es um Lohngerechtigkeit, aber auch um fairen Wettbewerb, damit diejenigen, „die die Leute fair und anständig bezahlen, nicht gegenüber Billigheimern benachteiligt werden“. Das entsprechende Gesetz habe er nun den anderen Ministerien zur Ressortabstimmung vorgelegt.
IG-Metall: So laufen die Verhandlungen ab
Bis feststeht, ob sich Gewerkschaft und Arbeitgeber im Metallbereich auf konkrete Punkte einigen können oder nicht, wird es aber noch dauern: Den Auftakt der zunächst regionalen Verhandlungen machen Bayern, Berlin-Brandenburg-Sachsen und Baden-Württemberg parallel an diesem Mittwoch (11. September). Am Montag der nächsten Woche (16. September) macht der Tarifbezirk Küste das Schlusslicht für die erste Verhandlungsrunde, von der keine konkreten Ergebnisse erwartet werden. In mehreren Runden tasten die Tarifpartner dann ab, wo eine Lösung gefunden werden kann.
Ab dem 29. Oktober sind dann auch mit Ablauf der Friedenspflicht Warnstreiks möglich und wahrscheinlich. Ist der Pilotbezirk schließlich ausgeguckt, schalten sich zum Endspurt die Bundesvorstände von IG Metall und Gesamtmetall zu. Bei der IG Metall ist dafür erstmals Nadine Boguslawski zuständig, neben Benner die zweite Frau im Gewerkschaftsvorstand. Der Pilotabschluss wird dann mit kleinen Abweichungen von den übrigen Bezirken unternommen. Mit Material der dpa und AFP