Polnische Städte „sofort auslöschen“ – Putins Propaganda-Fallbeil droht erneut

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Polnische Städte „sofort auslöschen“ – Putins Propaganda-Fallbeil droht erneut

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Die Nato verstärkt ihre Präsenz in Polen mit einem Lage-Zentrum; Anlass genug für Moskau, dem Westen mit totaler Vernichtung zu drohen. Wieder einmal.

Moskau – „Die Zeit der Maulhelden in der Politik geht zu Ende“, soll die Süddeutsche Zeitung am 5. März vor 30 Jahren geschrieben haben; an diesem Beispielsatz erklärt das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache einen Menschen, „der große Reden führt, aber nicht danach handelt“, einen „Wichtigtuer“. Die Welt hofft nun aufs Neue, dass Wladimir Solowjow mit „Maulheld“ umfänglich beschrieben ist, als dass hinter seinen öffentlichen Reden doch noch ein Körnchen Wahrheit steckt. Solowjow behauptet, dass Russland zwar „Mitleid“ mit seinen „Brüdern“ in der Ukraine habe, Moskau aber keine Hemmungen zeigen würde, polnische Städte „sofort“ auszulöschen – so zitiert ihn jetzt gerade Newsweek.

Solowjow ist seit rund zehn Jahren Moderator der Talkshow „Sonntagabend mit Wladimir Solowjow“ im Staatsfernsehen Russlands und gilt seit dem Beginn des Ukraine-Krieges neben dem stellvertretenden Vorsitzenden des Sicherheitsrates der Russischen Föderation, Dmitri Medwedew, als Megaphon von Wladimir Putins imperialistischer Politik. Laut einem Clip auf X (vormals Twitter), den der Ukrainer Anton Geraschtschenko geteilt hat, soll Solowjow in einer Sendung geäußert haben, die Nationen der Europäischen Union würden Russlands Vorherrschaft auf dem Kontinent erst wahrzunehmen beginnen, wenn sich sein Land dazu entschieden habe, „Europas Gesicht zu zerstören“.

Russlands Rhetorik geifert auch gegen Außenministerin Baerbock

Anton Geraschtschenko ist ein offizieller Berater und ehemaliger stellvertretender Minister des ukrainischen Innenministeriums – 2017 wurde ein Attentat auf ihn verhindert, das soll vom Kreml aus gesteuert gewesen sein. Geraschtschenko macht immer wieder auf seinem Social-Media-Kanal auf Solowjows öffentliche Auftritte aufmerksam. Auch im November, als Solowjow die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) beschimpfte und Deutschland ebenfalls mit Unterjochung drohte, wie ihn Newsweek zitierte: „Mit lauter Stimme sagte Solowjow: ,Annalena Baerbock, Sie werden sehen, wie wegen Ihrer korrupten Dummheit, Berlin brennen und über dem Reichstag ein Siegesbanner hängen wird!‘“

Solowjow hat sich den Ruf erworben, mit überzogenen Aussagen in die Öffentlichkeit zu gehen, seit Russland im Februar 2022 in die Ukraine einmarschiert ist. Er hat mehr als einmal behauptet, dass die Nato-Länder sich auf einen Angriff vorbereiteten, und prophezeit, dass Moskau Atomangriffe starten sollte gegen Länder, die die Ukraine unterstützen.

Der russische Moderator Wladimir Solowjow während einer Propaganda-Veranstaltung namens „Kinder des Donbass: Das Recht auf Sicherheit“ in St. Petersburg. (Archivfoto)
Putins propagandistisches Fallbeil: der russische Moderator Wladimir Solowjow: Er droht Polen mit Einäscherung. Auch gegen Außenministerin Annalena Baerbock hat er schon gegeifert. (Archivfoto) © Peter Kovalev/Imago

Der Einmarsch Russlands mit dem Beginn des Ukraine-Krieges im Jahr 2022 war insofern tatsächlich ein Schock für Polen; laut Beobachtern aber ein erwarteter. Seit 30 Jahren bereitet sich Warschaus Ostpolitik auf eine mögliche territoriale Aggression Moskaus vor und versucht, diese abzuschrecken. Polen hat Angst, wie der Publizist Janusz A. Majcherek im deutsch-polnischen Magazin Dialog schreibt: Die polnische Einstellung zu Russland und den Russen bildete sich infolge der jüngeren Geschichte, die seiner Meinung nach als eine ständige, aggressive Expansion Russlands auf Kosten Polens verlief. 

Russlands Großmacht-Phantasien bedrohen Polen seit Jahrhunderten

Dass Russland bereits in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts einen großen Teil der Ukraine annektierte, gilt den Polen noch heute als Warnung und darauf aufbauend als Leitlinie der polnischen Ostpolitik. Warschau will nicht zulassen, dass Russland sich die Ukraine unterwirft, denn dadurch würde Putins Territorium zu einer für Polen bedrohlichen Großmacht. Eine unabhängige Ukraine garantiert insofern die Unabhängigkeit Polens. Aus diesem Grunde betreibt Polen heute eine grundsätzlich wohlwollende Politik gegenüber der Ukraine. Seit 20 Jahren gehört Polen der Nato an und ist dort ein wichtiger Partner für den Schutz der Nato-Ostflanke.

Wir müssen einkalkulieren, dass Wladimir Putin eines Tages ein Nato-Land angreift.

Die Nato beschloss auf ihrer Sondersitzung im März 2022, die Truppen an der Grenze zu Russland dauerhaft zu stärken. Vier Nato-Gefechtseinheiten sollen künftig in der Slowakei, in Ungarn, Bulgarien und Rumänien die Ostflanke verteidigen. Zusätzlich zu den Einheiten, die bereits in den baltischen Staaten und Polen stationiert sind, ohne dass dort Nato-Kommando-Strukturen institutionalisiert werden dürfen, um Russland weiter milde zu stimmen. Im April 2022 meldete die Nato, mit ihren Bemühungen um eine Verstärkung der Ostflanke voranzukommen – die vier neuen multinationalen Gefechtsverbänden hätten die erste Stufe der Einsatzbereitschaft erreicht. 

Die Nato und die Ukraine errichten jetzt aber gemeinsam ein Zentrum für die Analyse militärischer Erfahrungen aus dem russischen Angriffskrieg, wie die tagesschau berichtet. Die in der zentralpolnischen Stadt Bydgoszcz geplante Einheit soll es ermöglichen, aus dem aktuellen Kriegsgeschehen möglichst effizient gemeinsam zu lernen. Dafür könnten die Ukrainer etwa Erkenntnisse über die Taktik, Fähigkeiten und Schwächen der russischen Angreifer bereitstellen. Zudem würde dort nach Angaben von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg auch gemeinsam trainiert werden. Grund genug für scharfe Kritik von verschiedenen russischen Offiziellen, die sich jetzt plötzlich doch von Nato-Kommando-Strukturen bedroht sehen.

Der Duma-Abgeordnete aus der Region Krim, Leonid Babaschow, sagte laut Prawda, die Einrichtung eines Nato-Trainingszentrums für die Ukraine in Polen erinnere an die Politik Nazi-Deutschlands, das damals auch Mittel für die Ausbildung von Bandera-Gruppen bereitgestellt habe. Ihm zufolge wolle die Nato im Trainingszentrum in Polen einzig und allein eine Armee von Kollaborateuren aus ukrainischen Bürgern vorbereiten.

Bandera-Kult: Keil zwischen Russland und der Ukraine

Stepan Bandera (1909–1959) wird als der ultimative antisowjetische Held gefeiert und ist eine der umstrittensten Figuren der ukrainischen Geschichte. Die Diskussion über Bandera und sein Erbe sind auch deshalb so schwierig, weil Wladimir Putin seinen Angriff auf die Ukraine als „Spezialoperation“ zur angeblichen „Entnazifizierung“ des Landes bezeichnet; damit verunglimpft er das Land als einen Hort von antirussischen Rechtsradikalen und Nazis.

Bereits Anfang 1933 war er Führer der Landesexekutive der Organisation Ukrainischer Nationalisten in Polen. Während seiner Amtszeit ermordete die Organisation mehrere polnische Politiker, aber auch Ukrainer, die sich dem ukrainischen Nationalismus entgegenstellten oder mit dem polnischen Staat zusammenarbeiteten. In den 1930er und frühen 1940er Jahren hatte sich der ukrainische Nationalismus radikalisiert und begann sich immer mehr dem italienischen Faschismus anzugleichen. Im Austausch mit anderen völkischen Bewegungen in Europa entstand so eine ukrainische Variante des Faschismus. Ab Mitte der 1930er Jahre schmiedete die Bewegung konkrete Pläne, wie Juden, Polen und Russen für die Errichtung eines solchen Staates vertrieben oder ermordet werden sollten.

Wichtig für das Verständnis der Geschichte der Gewalt in der Westukraine und für den darauf folgenden Bandera-Kult in dieser Region ist aber auch der stalinistische Terror, der im Sommer 1944 begann. Sie ermordete in der Westukraine über 150 000 Personen und deportierte mehr als 200 000 ins Innere der Sowjetunion. Nach seiner Entlassung im September 1944 unterstützte Bandera die Wehrmacht. Nach dem Krieg lebte er in München. Nachdem ihn der sowjetische Geheimdienst 1959 ermordet hatte, begann die ukrainische Diaspora ihn zunehmend als Nationalhelden zu stilisieren, der für die Ukraine im Kampf gegen die Sowjetunion gefallen war. Dieser Mythos wurde in der Westukraine nach dem Zerfall der Sowjetunion sowohl von antisowjetischen Dissidenten als auch von Neofaschisten aufgegriffen.

Quellen: Bundeszentrale für politische Bildung / Neue Zürcher Zeitung

Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine ist Polen neben den baltischen Ländern und Finnland ein Frontstaat der Nato und die logistische Nabelschnur der Ukraine zum Westen. Um grundsätzlich die Sicherheit der Nato-Ostflanke zu verbessern, hat das westliche Verteidigungsbündnis seine Präsenz erhöht – aktuell stehen mehr als 11.000 Nato-Soldaten an elf Standorte auf polnischem Boden, davon 10.000 Amerikaner; vorerst werden die auch dort bleiben. Gleichzeitig spielt bei Polens Aufrüstung auch die nukleare Dimension eine immer gewichtigere Rolle, wie das Magazin Internationale Politik berichtet: So bekräftigte Ministerpräsident Mateusz Morawiecki am 30. Juni 2023 Polens Bereitschaft, im Rahmen der nuklearen Teilhabe der Nato Atomwaffen auf polnischem Staatsgebiet zu stationieren.

In dem Zusammenhang hatte Polen bereits zwei Jahre vor Beginn des Ukraine-Krieges insgesamt 32 F-35A-Kampfflugzeuge bestellt, wie das Magazin Europäische Sicherheit & Technik schreibt: In diesem und im kommenden Jahr soll die Auslieferung beginnen mit den ersten sechs Maschinen, die allerdings zunächst in den USA verbleiben, damit die polnischen Piloten daran ausgebildet werden. Diese Flugzeuge sollten im Zeitraum 2025 bis 2026 dann nach Polen überführt werden. Anschließend wird Polen bis 2030 jährlich vier bis sechs F-35-Flugzeuge erhalten, bis dann die gesamte Flotte polnischer F-35-Flugzeuge offiziell übergeben und einsatzfähig ist.

Auch die Bundesregierung kalkuliert ein, dass ein Scharfmacher wie Wladimir Solowjow mehr ist als ein Maulheld. Auch sie warnt vor einer Ausweitung des Kriegs in der Ukraine. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sagte kürzlich dem Tagesspiegel: „Wir hören fast jeden Tag Drohungen aus dem Kreml – zuletzt wieder gegen unsere Freunde im Baltikum. Wir müssen also einkalkulieren, dass Wladimir Putin eines Tages sogar ein Nato-Land angreift.“

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