"Über Leichen der Kameraden robben" - Ukraine verlor 1000 der besten Soldaten bei blindem „Selbstmordkommando“ am Dnepr
Sie gehörten wahrscheinlich zu den gewagtesten Missionen, die die ukrainische Armee während des Krieges durchgeführt hat – und sie stehen wohl sinnbildlich für den Kriegsverlauf insgesamt: Angriffe, die ukrainische Einheiten während der vergangenen zwei Jahre auf das rechte Ufer des Flusses Dnepr unternommen haben.
Zur Erinnerung: Der Fluss bildet in der Region Cherson eine natürliche Grenze, an der seit der erfolgreichen Offensive Kiews im Jahr 2022 die Front verläuft.
Aktionen am Dnepr von im Westen trainierten Spezialeinheiten
Über viele Monate hatte Kiew versucht, am rechten Ufer, also auf russisch besetztem Gebiet, sogenannte Brückenköpfe zu errichten. Mit diesen kleinen Stellungen sollten russische Einheiten und Waffen gebunden und eine neue Front eröffnet werden.
Ein aktueller Bericht in der „New York Times“ wirft jetzt anschaulich einen Blick darauf, wie verlustreich diese Missionen waren.
Durchgeführt wurden die Aktionen meist von im Westen trainierten Spezialeinheiten, die nachts über den teilweise mehrere hundert Meter breiten Dnepr übersetzten; im Feuer von russischer Artillerie, Gleitbomben- und Drohnenbeschuss.
Vor allem der Kampf um das von den Ukrainern zeitweise besetzte Dorf Krynky ab Oktober 2023 war extrem verlustreich. Die ukrainischen Soldaten nennen es im Rückblick ein „Selbstmordkommando“.
Ukraine verlor rund 1000 ihrer besten Soldaten - wofür?
Ein Soldat schildert, dass die Männer teilweise schon am ukrainischen Ufer getroffen wurden, dann auf ihren Booten im Fluss. Wer doch das rechte Ufer lebend erreichte, musste über die Leichen seiner Kameraden robben, um sich in einem Bombenkrater zu verstecken. Dann mussten sie unter Beschuss weiter, um zu den ukrainischen Einheiten zu stoßen.
Wegen der Gefahr wurden die Soldaten am rechten Ufer irgendwann nur noch mittels Drohnen mit Nachschub versorgt. Mehrere Monate hielten die ukrainischen Soldaten aus, bis die Russen Krynky vollkommen zerstörten und sich die letzte ukrainische Einheit in diesem Sommer zurückzog.
Im Laufe des Kampfes um Krynky, der knapp ein halbes Jahr dauerte, hat die Ukraine rund 1000 ihrer besten Soldaten verloren.
Wofür? Das militärische Ziel war, russische Einheiten zu binden und so viel Gerät wie möglich zu zerstören. Laut den Ukrainern hat Moskau rund 50 Soldaten pro Tag in der Gegend verloren und mehr als 200 Fahrzeuge.
Am Kriegsverlauf selbst haben die Missionen wenig verändert. Seit Sommer ist Russland immer schneller auf dem Vormarsch. An Soldaten und Gerät herrscht bei Moskaus Truppen kein Mangel.
Von Benjamin Reuter
Das Original zu diesem Beitrag "Ukraine-Invasion, Tag 1015: Das „Selbstmordkommando“ ukrainischer Spezialkräfte am Dnepr" stammt von Tagesspiegel.