Wegen Gesetzesänderung: Nur Bewährung für Pädokriminellen

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Eine Gesetzesänderung kam einem Pädokriminellen aus Neufahrn nun zugute. © Frank Rumpenhorst

Ein Neufahrner wird wegen des Besitzes von Kinderpornografie verurteilt. Die Revision sorgt dafür, dass aus seiner Haft- eine Bewährungsstrafe wird. Möglich macht das ein Gesetz, das neu eingeführt wurde.

Neufahrn – Es würde Stunden dauern, das sichergestellte Videomaterial anzuschauen. Bei einer Razzia im Februar 2022 hat die Polizei bei einem 56 Jahre alten Mann aus Neufahrn 70 000 kinderpornografische Bilder gefunden. Deshalb wurde er bereits im Januar 2023 wegen Verbreitung kinder- und jugendpornografischer Inhalte sowie versuchtem sexuellen Missbrauch von Kindern ohne Körperkontakt zu drei Jahren und fünf Monaten Gefängnis verurteilt.

Der Neufahrner, der in der Unterhaltungsbranche tätig ist, bezeichnete die Hausdurchsuchung als „Wendepunkt in meinem Leben“. Er bedauere, dass er nicht eher angefangen habe, „nachzudenken“. Allerdings wollte er das ohnehin moderate Urteil nicht hinnehmen und legte erfolgreich Revision ein. In zweiter Instanz vor der ersten Strafkammer als Jugendschutzkammer profitierte der 56-Jährige nun von einer Gesetzesänderung – und kam mit einer Strafe von 22 Monaten auf Bewährung davon.

Dateien angeblich meist gar nicht angeschaut

Wie berichtet, waren die Ermittler dem Neufahrner auf die Spur gekommen, weil er über den Online-Messengerdienst Skype Kinderpornos im Netz hochgeladen hat. Die vielen kinder- und jugendpornographischen Bilder und Videos hatten sich ungelöscht und zugriffsbereit auf verschiedenen Speichermedien befunden. Der Anklage zufolge zeigen die Aufnahmen ganz oder teils unbekleidete Kinder und Jugendliche nahezu ausschließlich männlichen Geschlechts. Sie posieren in aufreizend geschlechtsbetonten Posen, masturbieren oder haben Sex mit Gleichaltrigen. Einige Bilder und Videos zeigen jedoch auch schweren sexuellen Missbrauch durch Erwachsene.

Der Angeklagte will sich die Dateien häufig gar nicht angeschaut haben. Er habe zu dieser Zeit aufgrund Corona seinen Job nicht ausüben können, seine erste große Liebe sei zerbrochen, er habe keinerlei soziale Kontakte mehr gehabt. „Ich habe mich mittels der Bilder und Videos betäubt.“ Schlussendlich, so der 56-Jährige, sei sein Problem weniger sexueller Natur, er habe sich vielmehr „verloren in der virtuellen Realität“ des Internets. Heute besitze er keinen PC mehr und habe sich von sämtlichen sozialen Medien abgemeldet. Zudem befinde er sich in Therapie.

Nacktfotos mit 13-Jährigem ausgetauscht

In erster Instanz hatte der 56-Jährige ebenfalls einen versuchten sexuellen Missbrauch ohne Körperkontakt eingeräumt: 2021 hatte er via WhatsApp mit einem „Alex“ gechattet, dessen Profilbild sein Interesse geweckt hatte: Es zeigte „Alex“ mit einem Freund im Kindergartenalter. Bereits zu Beginn der Unterhaltung wird klar, dass der Angeklagte davon ausging, Alex sei noch im Kindesalter, so die Anklage. Kurze Zeit später teilte „Alex“ dem 56-Jährigen zudem ausdrücklich mit, dass er erst 13 Jahre alt sei. Vor Gericht sagte der Angeklagte trotzdem, er sei davon ausgegangen, er chatte mit einem Erwachsenen. Im Verlauf des Chats zwischen den beiden kam es zunächst zum Austausch sexueller Fantasien. Schließlich schickte der 56-Jährige Aufnahmen, die mutmaßlich ihn bei der manuellen Befriedigung zeigen, in der Hoffnung, „Alex“ schicke ihm ebenfalls Fotos von sich – was der Bub dann auch tatsächlich tat.

Darauf bezog sich unter anderem der Bundesgerichtshof. Der Schuldspruch an sich ist zwar rechtskräftig, der BGH hob das Urteil jedoch hinsichtlich des Strafmaßes auf. Er begründete es unter anderem damit, dass die Kammer übersehen habe, dass sich der Angeklagte im Chat mit „Alex“ nicht nur unterhalten hatte, sondern sich zudem auch Nacktbilder hatte schicken lassen.

Doch im Revisionsprozess wurde das Strafmaß dann nicht erhöht, sondern gesenkt. Denn zwischenzeitlich war die Gesetzesfassung zu Besitz von Kinderpornografie geändert worden. Der Hintergrund: 2021 war das Delikt zum Verbrechen hochgestuft worden, was eine Mindeststrafe von einem Jahr bedeutete. Dadurch hatten sich aber etwa Lehrer oder Eltern, die kinderpornografisches Material fanden und weiterleiteten, um auf diesen Missstand hinzuweisen, strafbar gemacht – genauso wie Menschen, die ungewollt in diesen Besitz kamen, etwa durch einen unbeabsichtigten automatischen Download.

Gericht sieht strafmildernde Umstände

Im Juni 2024 wurde das Strafmaß erneut angepasst: Die Mindeststrafe wurde auf drei Monate herabgesetzt, zudem haben Gerichte seither die Möglichkeit, Bagatellfälle eventuell einzustellen. Damit wollte der Gesetzgeber der Flut an Verfahren ein Ende bereiten, in denen es eben nicht um Fälle gegangen war, in denen Pädokriminelle Bild- und Videodateien von schwerem sexuellem Missbrauch erwarben oder teilten.

Bei dem Neufahrner allerdings handelt es sich eindeutig nicht um einen solchen Fall. Dennoch erschien die in erster Instanz verhängte Strafe von drei Jahren und drei Monaten Haft dem Landgericht zu hoch. Die gesetzliche Höchststrafe sind fünf Jahre, und im Fall des 56-Jährigen waren laut Richter Ralph Reiter mehrere Punkte strafmildernd zu berücksichtigen – etwa, dass der Neufahrner nicht vorbestraft, in vollem Umfang geständig und schuldeinsichtig war. Zudem habe er auf eigene Kosten eine Therapie absolviert. Reiter sah es überdies zugunsten des Angeklagten, dass er nachvollziehbar geschildert habe, wie er in einer persönlichen Krisensituation abgedriftet und in nächtelangen Chats den Überblick verloren habe. Dabei habe der 56-Jährige nicht gezielt nach kinderpornografischen Abbildungen gesucht, sondern ganze Bildpakete abgespeichert und nicht im Einzelnen angeschaut, erklärte der Richter die Entscheidung.

Einer Beamtin der Kriminalpolizei Erding zufolge war gegen den Neufahrner bereits 2005, lange vor Corona, ein Verfahren wegen Kinderpornografie gelaufen. Die Vorstrafe ist jedoch mittlerweile wieder gelöscht – das Bundeszentralregister war somit ohne Eintragung, als man ihm auf die Schliche kam. Auch das wirkte sich letztlich zugunsten des Angeklagten aus.

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