Roboter am Barockschloss – Kraftwerk veranstalten in Wien großes Kino mit Wumms
Weltkulturerbe trifft auf Weltkulturerbe: Die Band Kraftwerk taucht das Wiener Schloss Schönbrunn in grelle Farben und spielt ihren Technopop mit mächtig Wumms.
Ein stattlicher grüner Heuschreck hat sich arglos im Ehrenhof vor Schloss Schönbrunn niedergelassen – ausgerechnet auf einer der acht mannshohen Neon-Ziffern, die vor der Bühne aufgebaut sind. Das arme Insekt ahnt nicht, was ihm blüht. Denn als die Abendsonne dieses bleiern heißen Tages in der vorbeiplätschernden Wien abtaucht und der goldene große Zeiger der ehrwürdigen Fassaden-Uhr die IV erreicht – 20 nach neun –, wird es für lichtempfindliche Wesen ungemütlich. Alle anderen brechen in Jubel aus. Kraftwerk haben den Barockpalast übernommen.

Die berühmte Maschinenstimme heißt knarrend die Damen und Herren, auch die Ladies and Gentlemen (natürlich schön teutonisch „Tschäntelmänn“) willkommen, und zum Eröffnungsstück „Nummern“ blitzen die Neon-Ziffern auf (bei der Sechs wird’s unserem Heuschreck zu brenzlig, er flieht). Auf einer relativ kleinen Empore mit transparenter Plastik-Kuppel stehen hinter ihren Pulten Ralf Hütter und seine drei Mitstreiter. Sie selbst sind Teil der Lichtshow in ihren fluoreszierenden Overalls. Doch sind nicht sie die Hauptattraktion – sondern das Schloss, auf dessen Fassade als Projektion die Nummern tanzen, die Computer umherschweben und die Slogans in dicken Lettern prangen.

Die Botschaft des nicht eben bescheidenen Band-Gründers Hütter ist klar: Hier trifft Weltkulturerbe auf Weltkulturerbe. Und es stimmt ja, Kraftwerk sind der bedeutendste deutsche Beitrag zur neueren Musikgeschichte: Als sie sich Mitte der Siebziger als entmenschte Romantiker und Avatare der Ingenieurs- und Autonation Deutschland neu erfanden, krempelten sie den Pop um. Ihr Düsseldorfer Kling Klang Studio gab Impulse für sämtliche Spielarten elektronischer Musik. Ihre Bildsprache – die Puppen, die Roboter – ist heute genauso Kunst-Kanon wie Warhols Banane und Siebdrucke. Im Publikum beißen denn auch einträchtig ältere Bierbauchträger mit AC/DC-Käppi und junge Hipster mit Lidstrich in ihre Erdäpfelpuffer und trinken ihr „Ottakringer“.

Das Schöne an Kraftwerk ist ohnehin die Uneindeutigkeit. „Radioaktivität“ ist zugleich Warnung vor der Gefahr der Nukleartechnik und Feier des Radios. In „Computerwelt“ und „Die Roboter“ ist nicht klar, ob Überwachungsstaat und willenlose Arbeitsmaschinen gut oder schlecht sind. Als unter großem Jubel „Autobahn“ erklingt, sind da nicht nur VW-Käfer und Adenauer-Mercedes auf der Fassade unterwegs, sondern auch Militärfahrzeuge. Und stets schwingt die gleiche freundliche, gleichgültige Kühle mit beim Bumm-Bumm-Tschak. Und dieses Bumm-Bumm-Tschak hat’s heute in sich. Bei „Die Mensch-Maschine“ lässt der Bass die Hosenbeine flattern. Zu „Die Roboter“ im Maxi-Remix tanzt die Menge wie auf einem Rave. Während die roten Menschmaschinen auf die gesamte Fassadenbreite des Schlosses gebeamt werden und später der Trans-Europa-Express von rechts nach links durchrauscht. Das hier mag ein gigantischer Akt der Selbst㈠Musealisierung sein – aber es ist auch großes Kino mit mächtig Wumms.

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Das Energie-Level ist nicht immer gleich hoch, „La Forme / Régéneration“ gestattet Erholung in einer wohligen Trance, und bei „Tour de France“ hechelt Ralf Hütter zwar kräftig beim Berganstieg, lässt es aber bei der Abfahrt gemütlich laufen.
Bei „Tour de France“ hechelt Ralf Hütter beim Berganstieg
Das letzte verbliebene Gründungsmitglied geht auf die 78 zu, seine Kollegen sind nicht viel jünger. Das merkt man, trotz der super-synthetischen Musik, die eigentlich – und womöglich ist das Hütters Ziel – auch ohne ihn aufgeführt werden könnte.

Ausgerechnet bei „Musique non stop“ scheint dann tatsächlich einem der Kraftwerk-Musiker die Puste auszugehen. Ganz rechts steht er, stützt sich auf sein Pult, stiert nach unten, keucht, kann sichtlich nicht mehr. Es ist nicht klar, ob Kreislaufprobleme der Grund sind dafür, dass es keine Zugabe gibt und die Hits „Das Model“ und „Taschenrechner“ ungespielt bleiben – genauso übrigens wie „Franz Schubert“, das natürlich schön zu Wien und dieser Kulisse gepasst hätte. Aber irgendwie wäre das nach dieser denkwürdigen Aufführung doch ein tröstlicher Gedanke: Roboter sind auch nur Menschen.