„Es muss sich viel tun in der Pflege“: Wie ein junger Pflegedienst neue Wege gehen will
Die Menschen werden immer älter, die Zahl der Pflegebedürftigen steigt. Gleichzeitig ist der Fachkräftemangel in kaum einer Branche so groß wie in der Pflege. Trotzdem – oder gerade deshalb – haben sich drei Frauen in die Selbstständigkeit gewagt.
Rott/Landkreis – Alfons Schmid verzieht keine Miene, als Regina Nieberle sein Bein hochlupft. Der rechte Fuß des 82-Jährigen ist in Strümpfe und Bandagen gepackt, sie schützen die Wunde, die den Rotter schon seit geraumer Zeit an der Ferse schmerzt. Behutsam legt die Pflegerin den Fuß vor sich auf den Küchenstuhl, sie streift den Kompressionsstrumpf ab und entfernt nach und nach das Verbandsmaterial. Als sie schließlich einen Blick auf die wunde Stelle werfen kann, entspannen sich ihre Gesichtszüge. „Das schaut gut aus“, sagt die 30-Jährige zufrieden und lächelt Schmid an, der ihr so ruhig gegenübersitzt, als kenne er jeden ihrer Handgriffe schon im Voraus. „Die Wunde ist fast ganz geschlossen.“
Regina Nieberle ist regelmäßig bei den Schmids zu Hause. Die 30-Jährige ist stellvertretende Leiterin des ambulanten Pflegedienstes WaNiKa aus Rott, der das Ehepaar seit mehr als zwei Jahren betreut. Sie oder ihre Kollegen kommen mehrmals pro Woche zur Wundversorgung vorbei, sie helfen beim Strümpfe wechseln und füllen die Medikamentenboxen mit Pillen auf. Die Eheleute sind auf die Hilfe angewiesen: Beide haben Sturzverletzungen, die nachversorgt werden müssen. „Ich bin sehr froh um den Pflegedienst“, sagt Rita Schmid, die mit einer Wunde am Oberschenkel kämpft. „So müssen wir nirgendwo hinfahren.“
Pflegedienst investiert in Qualifikation zu Wundfachpersonen
Für Nieberle gehört die Wundversorgung der Klienten, wie der Pflegedienst seine Kunden nennt, zum Alltag. Ihr Pflegedienst hat sich auf diesen Bereich sogar spezialisiert, einige Mitarbeiter haben Kurse und Weiterbildungen besucht und sich zu sogenannten Wundfachpersonen qualifiziert. Laut Nieberle profitieren dadurch nicht nur die Pflegebedürftigen, die damit freilich eine bessere Versorgung bekommen. Die Spezialisierung sei auch wirtschaftlich sinnvoll: „Wir können uns ordentlich um die Wunden kümmern und bekommen das auch refinanziert“, sagt sie. Immer mehr Pflegedienste würden sich auf Wundversorgung spezialisieren, was auch die Krankenkasse fördern würde, erklärt Nieberle. „Wir wollen auf den Zug mit aufspringen.“
Nach ein paar Minuten steckt die Ferse von Alfons Schmid in frischem Verbandsmaterial. Nun soll der 82-Jährige noch in neue Kompressionsstrümpfe schlüpfen, die verhindern, dass sich Wasser in seinen Beinen staut. Der Stoff der Strümpfe ist eng, das Anziehen beschwerlich. Deshalb stellt Nieberle eine Anziehhilfe bereit. Mit dem Metallgestell lässt sich der enge Stoff des Strumpfs wie eine Röhre aufspannen, sodass der Fuß bequem hineingleiten kann. „Das ist für die Klienten eine große Hilfe und für uns auch“, erklärt Nieberle und wirft einen letzten zufriedenen Blick auf Schmids Fuß.
Zeitdruck und Fachkräftemangel: Oft ist die Zeit in der Pflege knapp bemessen
Wenn sie woanders arbeiten würde, und wenn sie keine Chefin wäre, müsste sich Nieberle wahrscheinlich viel mehr hetzen. Immerhin ist die Zeit in der Pflege knapp bemessen. Oft haben Fachkräfte zum Waschen, Kämmen, Anziehen oder eben der Wundversorgung nur ein paar Minuten, bevor sie schon wieder weiter müssen. Zeit, um sich intensiv mit dem Menschen, der da vor einem sitzt, auseinanderzusetzen, bleibt selten. Diese Erfahrung hat auch Nieberle gemacht.
Die 30-Jährige, die nach der Schule in die Altenpflege gegangen ist und sich bis heute keinen schöneren Beruf vorstellen kann, hat bei früheren Arbeitgebern erlebt, wie es ist, wenn man von einem Pflegebedürftigen zum nächsten eilen muss. Ohne das Gefühl zu haben, eigentlich schon gehen zu können. „Irgendwann wollte ich das so nicht mehr“, sagt sie. Gerade in der Wundversorgung sei es wichtig, sich Zeit für die Pflegebedürftigen zu nehmen. „Man muss ja mit dem Schmerz der Menschen mitgehen.“
Deshalb musste die Pflegerin nicht lange überlegen, als ihr Anne Wassermann von der Idee erzählte, sich selbstständig zu machen. „Für mich war klar: Wenn Anne geht, gehe ich mit“, sagt Nieberle, die mit Wassermann für den selben Pflegedienst im Allgäu gearbeitet hat. Die Kolleginnen wagten den Schritt: Im Juni 2021 machten sie sich mit Natalie Kauth, der dritten im Bunde, mit dem ambulanten Pflegedienst WaNiKa selbstständig – der Name ist eine Zusammensetzung aus den Nachnamen der drei Gesellschafterinnen.
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Unternehmen während Corona-Pandemie gegründet - kein einfacher Start
Ein einfacher Start war es sicher nicht, war die Corona-Pandemie damals doch auf einem Höhepunkt. Dazu kamen die wirtschaftlichen Herausforderungen, die kurz darauf eine gesetzliche Änderung verstärkte: Seit September 2022 gilt für Pflegedienste die Tariftreue.
Mittlerweile hat WaNiKa 36 Mitarbeiter, die für den ambulanten Pflegedienst im Raum Weilheim-Schongau und Landsberg unterwegs sind. Zudem betreibt das Unternehmen zwei Tagespflege-Stellen, eine in Rott und seit kurzem eine in Utting. Viele Pflegekräfte sind in Teilzeit angestellt, es gibt auch familienfreundliche „Mama-Schichten“, die arbeitende Mütter fahren. Man wolle – oder vielmehr müsse – sich flexibel aufstellen, um als Arbeitgeber attraktiv zu sein, sagen die WaNiKa-Chefinnen, die wie jedes andere Unternehmen auf qualifiziertes Personal angewiesen sind.
Der Fachkräftemangel gehört wohl zu den größten Herausforderungen, denen sich die Pflege-Branche gerade stellen muss. Um diese und andere Schwierigkeiten zu bewältigen, suchen viele den Austausch mit Kollegen innerhalb der Branche. Ein Grund, warum sich vor einem Jahr das Netzwerk ambulanter Pflegedienste im Landkreis gegründet hat (siehe Kasten unten).
Tagespflege in Rott: Den Senioren soll nicht langweilig werden
Die Senioren, die in der Tagespflege in Rott sitzen, trinken Kaffee und roten Tee. Sie nippen eher beiläufig an den Bechern, die meisten sind ins Gespräch vertieft oder lauschen der Blasmusik, die das Radio in der Ecke spielt. Es ist später Vormittag, bald gibt es Mittagessen. Danach steht Gedächtnistraining mit Stadt-Land-Fluss oder Galgenmännchen an, später wird Gymnastik geübt. „Da wird der ganze Körper bewegt“, sagt Monika Sepp voller Vorfreude. „Mit Musik.“
Die Seniorin aus Reichlingsried kommt seit zwei Jahren regelmäßig in die WaNiKa-Tagespflege. Zwei Mal in der Woche holt sie der Fahrdienst morgens von zu Hause ab. Es sind Sepps Lieblingstage. „Ich freue mich jeden Montag auf den Donnerstag, und am Donnerstag auf den Montag“, sagt sie schmunzelnd. Ihr gefalle es so gut, weil sie in der Tagespflege Gesellschaft hat. „Daheim bin ich allein im Haus.“
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Die Senioren können den ganzen Tag hier verbringen, wenn sie wollen. Marianne Resch kümmert sich darum, dass ihnen dabei nicht langweilig wird. Die temperamentvolle Betreuerin, die mit ihrem pinken Arbeitskittel um die Wette strahlt, arbeitet schon seit mehr als 20 Jahren in der Altenpflege. Sie liebt ihren Beruf, das merkt man. Doch auch Resch hat schon negative Erfahrungen gemacht. Sie erinnert sich an frühere Arbeitgeber, die eine regelrecht „militärische Stimmung“ verbreitet hätten, wie sie sagt. Sich mit den Senioren intensiv auseinanderzusetzen, ihnen kreativ und spielerisch zu begegnen, sei ihr in diesem Umfeld oft nicht möglich gewesen.
Für die Pflegerin war es die beste Entscheidung, nach Rott zu wechseln, als dort die Tagespflege aufgesperrt hat. „Hier ist es viel freier“, sagt sie und lächelt. Resch gefällt, was das WaNiKa-Team im Erdgeschoss des neuen Ärztehauses aufgebaut hat, mit dem offenen Essbereich, der Bastelecke, dem Ruheraum. Resch hat das Gefühl, dass ihre jungen Chefinnen etwas in der Pflege verändern wollen. „Die bringen neue Ideen und Ansätze ein“, sagt sie anerkennend. „Das ist so wichtig. Es muss sich noch viel tun in der Pflege.“
Vernetzung entlastet
Herausforderungen gemeinsam besser bewältigen: Mit diesem Ziel haben sich vergangenes Jahr ambulante Pflegedienste zu einem Netzwerk zusammengeschlossen. Dem Kreis gehören mittlerweile 19 ambulante Pflegedienste sowie der ambulante Dienst des Hospizvereins Pfaffenwinkel und das SAPV-Team von Palliahome an, sagt Lisa Merlonetti von der Seniorenfachstelle des Landkreises. Die Fachstelle rief das Netzwerk ins Leben, um eine bessere Zusammenarbeit und Austausch unter den Pflegediensten zu ermöglichen. Zudem schaffe man Kontakt zu wichtigen Schnittstellen wie Krankenkassen, Krankenhaus-Sozialdiensten oder Hausärztekreisen.
Zusätzlich helfen soll die Gründung eines neuen Pflegenetzwerks, in das neben Akteuren aus der Pflege auch Ärzte, Krankenhäuser und die Politik eingebunden sind. Benedikt Wiedemann von der Gesundheitsregion plus, die diesen Zusammenschluss für den Landkreis organisiert, sagt, dass diese Plattform Themen der Pflege auf lokaler Ebene verbessern und die Betroffenen entlasten könne. Auftakt ist im November.