Post von Extremisten im Briefkasten
Die Wogen haben sich fast vier Monate nach der Bürgerversammlung zur Asylunterkunft in Warngau zwar gelegt. Doch Sorgen und Ängste brodeln noch im Ort. Ein Flugblatt soll die Stimmung jetzt wieder anheizen. Dahinter dürfte die Identitäre Bewegung stecken.
Das Bild von blauem Qualm aus Rauchbomben und Plakaten vorm Warngauer Rathaus auf der Vorderseite, auf der Rückseite steile Thesen, die geeignet sind, Angst vor einer geplanten Großunterkunft für Asylbewerber in Warngau und Wut gegen Behörden zu schüren: So kommt ein Flugblatt daher, das am Montag in Warngau und offenbar auch Holzkirchen verteilt wurde. In Warngau ist, wie berichtet, eine Asylunterkunft geplant, in der – auf zwei Jahre befristet – bis zu 500 Personen untergebracht werden sollen, mit denen bislang Turnhallen in Tegernsee und Miesbach belegt sind.
Wie Warngauer gegenüber unserer Zeitung schildern, wurden zwei Männer und eine Frau beobachtet, die die Flyer in Briefkästen verteilten, an Infotafeln aushängten und in Geschäften auslegten. „Jeder sechste Einwohner von Warngau ist bald Migrant“, heißt es darin plakativ. Entgegen den Versicherungen des Landratsamts wird kolportiert, es bleibe nicht bei 500 Bewohnern der Asylunterkunft. Unter Verweis auf einen Messerangriff, der im Allgäu ein vierjähriges Mädchen traf, wird unterstellt, Migranten begingen „viermal so häufig Gewaltstraftaten“, was die als Beleg angeführte Kriminalstatistik allerdings nicht behauptet.
Identitäre Bewegung steckt wohl hinter Flyer
Es deutet vieles darauf hin, dass der Flyer von der Identitären Bewegung (IB) stammt – nicht nur, weil das Foto der Aktion der selbsternannten „Lederhosenrevolte“ auf der Vorderseite prangt. Die auf dem Flyer bezeichnete Gruppierung wird der IB zugeordnet und hält mit ihrer Verbundenheit auf Sozialen Netzwerken auch nicht hinterm Berg. Nach einer Kurz-Aktion mit Plakaten ähnlichen Inhalts wie der Flyer und Rauchbomben vorm Warngauer Rathaus Ende April, die in Clips für Soziale Netzwerke aufbereitet wurde, sucht die Gruppe nun offenbar klassische Mittel, um Bürger auch auf anderen Wegen zu erreichen. Und Geld einzusammeln: Auf dem Flyer ist eine Kontoverbindung genannt, um die „politische Arbeit“ zu unterstützen.
Als Verantwortlicher im Sinne des Pressegesetzes – eine verpflichtende Angabe – wird auf dem Flyer Vincenzo Richter genannt. Der Mittzwanziger gilt als Kopf der IB in Chemnitz. Die aufgeführte Adresse deckt sich mit einem Gebäude, das die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestufte und beobachtete IB über eine von Richter und IB-Bundesvorsitzendem Philip Thaler eigens gegründete Immobilienfirma 2023 als eine Art Schulungs- und Veranstaltungszentrum gekauft hat. Berichten des „Spiegel“ zufolge ermittelte die Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit der Gründung der Firma wegen Geldwäsche. In dem Zentrum trat jüngst der Österreicher Martin Sellner auf, wohl bekannteste Figur der Identitären im deutschsprachigen Raum. Sellner stellte beim berüchtigten Geheimtreffen in Potsdam seine Idee einer „Remigration“ vor.
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Die Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) gibt sich in Sozialen Netzwerken betont heimatverbunden-lässig und für breitere Schichten – insbesondere Jüngere – anschlussfähig. Das Gedankengut, das die Neu-Rechten mit ihrem Ethnopluralismus vertreten, hat es aber in sich. „Für die IBD ist allein die ethnische Herkunft maßgeblich für die Zugehörigkeit zum deutschen Volk. Minderheiten wird dadurch ein geringerer Wert zugestanden. Die inhaltlichen Positionen der IBD und ihre darauf aufbauende Agitation stellen eine Missachtung der im Grundgesetz garantierten Menschenrechte dar“, führt der Verfassungsschutzbericht für 2022 aus. Migration und Innere Sicherheit würden von der IB als Thema in öffentlich wirksamen Aktionen forciert, „um Debatten darüber nicht einschlafen zu lassen und den demokratischen Diskurs zu diskreditieren“, schreibt der Bayerische Verfassungsschutz auf seiner Internetseite. Der Flyer in Warngau könnte mit dieser Stoßrichtung auf Personenkreise abzielen, die über Soziale Medien nicht erreicht werden.
Polizei: Abteilung Staatsschutz ermittelt
Auch die Polizei hat den Flyer bereits auf dem Schirm. Auf Nachfrage unserer Zeitung teilt die Pressestelle am Polizeipräsidium Oberbayern Süd mit, dass das Fachkommissariat Staatsschutz von der Flugblattaktion Kenntnis und Ermittlungen dazu aufgenommen habe. Zum Stand der Ermittlungen zur Plakat-Aktion Ende April vor dem Rathaus gibt es bislang keinen neuen Sachstand. Die Abteilung Staatsschutz gebe mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen derzeit keine nähere Auskunft, ob strafrechtliche Relevanz – etwa wegen Volksverhetzung – bestehe oder ob einzelne Beschuldigte identifiziert seien.
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Das Landramtsamt Miesbach will die Vorgänge nicht kommentieren, verweist aber abermals darauf, dass Landrat Olaf von Löwis nicht aus freien Stücken handle, sondern in seiner Funktion als Chef der staatlichen Asylunterkunftsbehörde dazu verpflichtet ist, Unterkünfte für Geflüchtete zu schaffen.
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Die Vorbereitungen für die Einrichtung einer Asylunterkunft für bis zu 500 Personen neben der Vivo laufen, berichtet das Landratsamt auf Nachfrage. Die Verträge mit dem Dienstleister, der die Unterkunft errichtet und betreibt, seien geschlossen, ebenso zur Trinkwasser- und Stromversorgung, teilt die Pressestelle der Behörde mit. Der Bauantrag werde derzeit erarbeitet und solle „zeitnah“ eingereicht werden. Abstimmungen zu Brand- und Naturschutz liefen, die Ausschreibung der Arbeiten für den Tiefbau gehe Anfang Juni raus. In Kürze werde mit Sozialverbänden, Helfern, Gemeinde und Regierung ein Sozialkonzept abgestimmt. „An den Plänen hat sich nichts Wesentliches verändert, und auch der Zeitplan ist gleich geblieben“, erklärt das Landratsamt. Der Bezug sei zum Jahresende angestrebt.
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