„Unendliches Leid“: Der mörderische Mörser hat unter Putin wieder Konjunktur
Sein Geschoss ist wuchtig und macht keinen Unterschied zwischen Soldat oder Zivilist – die Ukraine hat einen weiteren Super-Mörser Putins eliminiert.
Luhansk – Großkalibrige Mörser als Deckung von Panzerinfanterie-Teams im Feuer des Bodenkampfs – die „werden in den sich entwickelnden groß angelegten Kampfhandlungen oft den Ausschlag für Sieg oder Niederlage geben“, sagt Patrick Donahoe. Im amerikanischen Magazin Task & Purpose hat der ehemalige Armeegeneral im vergangenen Jahr der Steilfeuerwaffe eine tragende Rolle auch in der Zukunft zugeschrieben. Und auch im dritten Jahr des Ukraine-Krieges besitzt dieses Geschütz seinen taktischen Wert – jedenfalls vor allem in der Doktrin Russlands. Eine seiner fürchterlichsten Waffen hat Wladimir Putin jetzt erneut verloren, wie die Kyiv Post berichtet. Danach soll die Ukraine nahe der Siedlung Bilohoriwka in der Region Luhansk einen 2S4 Tyulpan-Mörser (Tulpe) Russlands abgeschossen haben – vermutlich sogar mit einer Himars-Rakete.
Die Kyiv Post bezieht sich auf ein Video auf dem Telegram-Kanal der operativ-strategische Gruppe Chortyzja, das zeigt, wie sich Soldaten von einem dem Mörser ähnelnden Fahrzeug hastig entfernen, bevor das Fahrzeug explodiert; kurz, nachdem sich eine Rauchsäule aufgelöst hat, werden neben dem Panzer liegende Körper gezeigt. Das nicht zu verifizierende Video dokumentiert damit vermeintlich den Abschuss eines der leistungsstärksten Mörser im Dienst einer Armee.
Ukraine erneut ein russisches Ungeheuer aus der Welt geschafft
Damit scheint die Ukraine erneut ein russisches Ungeheuer aus der Welt geschafft zu haben – jedenfalls hat der Spiegel die Waffe hoch gelobt: „Der Mörser des 2S4 Tyulpan basiert auf einem Design des Zweiten Weltkrieges. Sein mächtiges Geschoss zerschlägt Häuserblocks und Befestigungen. So machen die Russen aus dem ältesten und größten Mörser der Welt eine tödliche Präzisionswaffe.“ Der Mörser ist auf einem kettengetriebenen Chassis montiert und feuert aus einem Rohr von 240 Millimetern. Das Standard-Nato-Kaliber für Granaten beträgt 155 Millimeter, der Nato-Standard-Mörser nutzt ein 120-Millimeter-Kaliber.
„Die Infanterie mag Mörser wirklich, weil sie sich nicht mit anderen abstimmen müssen; sie müssen kein Flugkontrollzentrum anrufen. Sie müssen nicht die Feuerleitungszentrale der Artillerie anrufen; Sie können die Missionen einfach selbst starten.“
Der 2S4-Tyulpan sei eine monströse Waffe aus einer anderen Zeit, urteilt der Spiegel und belegt damit vermutlich eine Umstellung der russischen Doktrin zum Anfang ihrer Invasion, wie sie die westlichen Analysten im Donbass erkannt haben wollen: „Artillerie erobert, Infanterie besetzt“, sagt Dietmar Felber im Bundeswehr-Podcast „Nachgefragt“. „Die russische Artillerie bekämpft Geländeabschnitte, mit dem Ziel, jeden Widerstand in diesem Geländeabschnitt auszuschalten“, sagt der Oberst und Leiter der Artillerieschule der Bundeswehr. „Das bedeutet, dass unterschiedslos auf Soldaten und Zivilisten, dass unterschiedslos auf Infrastruktur gewirkt wird und auf Kulturgüter, und das verursacht natürlich unendliches Leid.“
Russlands behäbiger Mörser hat einen Rückstoß von 400 Tonnen
Felber rechnet vor, dass die Russen an allen drei Frontabschnitten zusammengenommen pro Tag rund 60.000 Granaten verschießen. Jede Granate in den normalen Kalibern wiege bis zu 40 Kilogramm und besäße eine Sprengkraft von zehn Kilo TNT. Die Granaten der „Tulpe“ verschießen das drei bis fünffache an Sprengstoff. Sie sollen Stellungen und Gebäuden vernichten. 2016 berichtete der Spiegel über die Zerstörung der syrischen Stadt Homs unter der Schlagzeile „Kaum einer ist noch am Leben“ – Homs galt als Stützpunkt der Rebellen gegen das Assad-Regime. Auch auf diese Stadt soll Gerüchten zufolge der 2S4-Tyulpan gefeuert haben. Ende September vergangenen Jahres berichtete die Kyiv Post über einen Mörser-Angriff mit 2S4-Tyulpan in der Region Donzek auf die Stadt Torezk und das Dorf Piwnitschne. Dort seien in ihren Privathäusern mindestens vier Zivilisten getötet worden.
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Das System stammt aus dem Zweiten Weltkrieg, wie das Magazin Armyrecognition schreibt – die von der damaligen Sowjetunion geplanten Infanteriemörser in den Kalibern von 160 und 240 Millimetern konnten allerdings kaum im Feld bewegt werden – allein aufgrund ihrer Masse. Die Ingenieure stellten den Mörser deshalb auf ein selbstfahrendes Kettenfahrgestell ohne Aufbau oder Turm. Zum Feuern wird das Geschützrohr aufgestellt und mittels einer massiven Platte auf den Erdboden gedrückt – der Rückstoß soll eine Kraft von 400 Tonnen besitzen. Die Reichweite beträgt zehn Kilometer, je nach Typ der verschossenen Granate; raketenunterstützte Geschosse sollen bis zu 18 Kilometer weit fliegen können.
Ingesamt 40 seiner Bunkerknacker wird Putin im Ukraine-Krieg bereits verloren haben
Armyrecognition berichtet, dass der Tyulpan bereits 2014 von russischen Separatisten beziehungsweise regulären russischen Truppen in Donezk und Luhansk eingesetzt worden sein soll: „Die Granate fliegt einen hohen Bogen und kommt dann fast senkrecht herunter, um auf einem Gebäude oder anderen Zielen zu explodieren“, schreibt das Magazin. Sie tauge zum Knacken von jedweder Art von befestigten Gebäuden oder Flughäfen. Aufgrund der langen Ladezeiten von mindestens einer Minute und der eher behäbigen Art des Stellungswechsels sollen laut der Statistikplattform Oryx im Ukraine-Krieg 40 Tyulpan zerstört worden sein. Insgesamt werden der russischen Armee 40 einsatzbereite Fahrzeuge zugeschrieben, 350 soll sie auf Lager haben.
Mykola Wolochow hält Mörser jeden Kalibers für immens wertvoll: „First-Person-View-Drohnen sind ein äußerst effektives, aber situatives Werkzeug. Schließlich feuert der Mörser bei Schnee, Regen und Nebel. Natürlich nimmt die Präzision bei schlechten Wetterbedingungen ab, aber er feuert“, sagt der Kommandeur der Terra-Luftaufklärungseinheit der 3. Angriffsbrigade der Ukraine. Mörser sind auch in modernen Armeen wieder stark im Kommen – in verschiedenen Kalibern und verschiedenen Varianten. Rheinmetall hat zusammen mit Norwegen einen 120 Millimeter-Mörser unter dem Namen Ragnarök („Weltuntergang“) entwickelt. Die Bundeswehr hatte Rheinmetall bereits 2021 mit der Modernisierung von Mörser-Waffenanlagen beauftragt. Im Zuge des Austausches des Bundeswehr-Transporters „Fuchs“ prüft die Bundesregierung parallel eine Ausrüstungsvariante als selbstfahrender Mörser mit dem 2006 entwickelten finnischen „Nemo“-System.
„Mörser für die Männer und Frauen im Nahkampf wichtiger denn je“
„Mörser sind heute für die Männer und Frauen im Nahkampf wichtiger denn je“, sagt Patrick Donahoe. Da die Reichweite der Artilleriesysteme zunehme und das Schlachtfeld tiefer würde, werde die Panzerinfanterie auf der letzten Meile des Gefechts und auf den letzten hundert Metern nicht weniger, sondern stärker auf Mörser für ihre indirekte Feuerunterstützung angewiesen sein, erläutert der ehemalige US-Generalmajor. Die Amerikaner pflegen diese Waffen weiterhin: Auch sie testen das „Nemo“-System. Laut dem Magazin The Warzone nutzten die US-Armee derzeit Mörserträger auf Kettenbasis, die auf der M113-Familie gepanzerter Mannschaftstransportwagen basieren, sowie über solche, die das Design des 8x8-Radpanzerfahrzeugs Stryker verwendeten. In beiden sind 120-Millimeter-Mörserkanonen verbaut.
„Die Infanterie mag Mörser wirklich, weil sie sich nicht mit anderen abstimmen müssen; sie müssen kein Flugkontrollzentrum anrufen. Sie müssen nicht die Feuerleitungszentrale der Artillerie anrufen; Sie können die Missionen einfach selbst starten“, sagte der pensionierte Marineoberst Mark Cancian gegenüber Task & Purpose. „Wenn sich die Dinge schnell bewegen und die Kommunikation zusammenbricht, ist das sehr wertvoll“, erläutert der leitende Berater am Center for Strategic und International Studies -Thinktank in Washington, D.C.
Solche Missionen sind mörderisch, wie der deutsche Oberst Dietmar Felber erläutert: Die russische Artillerie belegt Geländeabschnitte mit Artillerie-Feuer. Danach tritt die Infanterie an, um den Abschnitt zu nehmen. Sollte diese scheitern, beginnt die Infanterie von neuem, bis die Gegenwehr erlahmt. „Das führt zu erheblichen Verlusten – auf beiden Seiten; und auf der zivilen Seite mit unendlichem Leid“. Felber verweist auf eine Verlautbarung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj von bis zu 100 Toten pro Tag. Felber: „Nimmt man dazu die Ausfälle durch Verwundeten hinzu, dann sind sie bei circa 400 bis 500 Ausfällen. Pro Tag.“