Eskalation in Österreichs Koalition wegen neuem EU-Naturgesetz – Nehammer plant drastischen Schritt
Noch ist unklar, ob Österreichs Bundesregierung den Tag übersteht. Die Grünen schweigen konsequent. Die ÖVP will klagen. Kanzler Nehammer will sich am späten Nachmittag äußern.
Wien – Österreichs Stimme war ausschlaggebend, als die EU-Umweltminister am Montag (17. Juni) das EU-Renaturierungsgesetz beschlossen. Die grüne Umweltministerin Leonore Gewessler setzte sich über die Vorbehalte der konservativen Koalitionspartner von der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) hinweg. ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker warf ihr deswegen „Amtsmissbrauch“ vor. ÖVP-Funktionäre sprachen bereits von „Koalitionsbruch“ oder zumindest einer „veritablen Regierungskrise“. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) will den Beschluss vom Europäischen Gerichtshof jetzt für nichtig erklären lassen.
EU-Renaturierungsgesetz seit Wochen Wahlkampfthema in Österreich
Ende September wählt Österreich ein neues Parlament: Das EU-Renaturierungsgesetz ist in Österreich seit Wochen Thema im Wahlkampf und entzweit die Regierungen in Bund und Ländern. Die Grünen und die sozialdemokratisch regierten Länder Wien und Kärnten sind dafür, die ÖVP und alle sieben anderen Bundesländer dagegen. Die Rechtslage ist kompliziert. Nehammer und die ÖVP berufen sich auf ein Rechtsgutachten des Kanzleramtes, das Ihnen recht gibt. Die Grünen verweisen auf gegenteilige Einschätzungen.

Unabhängig davon, wer am Ende Recht bekommt: Kanzler Nehammer und Europa- und Verfassungsministerin Edtstadler (beide ÖVP) versandten einen Brief an die belgische EU-Ratspräsidentschaft. Darin schrieben sie, Gewessler sei „nicht berechtigt“ dem Gesetz zuzustimmen. Vizekanzler Werner Kogler widersprach, ebenfalls per Brief, Gewessler sei sehr wohl zur Zustimmung berechtigt gewesen. Nach dem Beschluss kündigte Nehammer an, Nichtigkeitsklage gegen den Beschluss vor dem EuGH zu erheben.
Regierungskrise in Österreich: Nehammer will am Montagnachmittag Machtwort sprechen
Ab Montagmittag überschlugen sich dann die Ereignisse in der österreichischen Hauptstadt: ÖVP-Generalsekretär Stocker verkündete, die ÖVP werde Gewessler wegen Amtsmissbrauchs anzuzeigen. Nehammer kündigte ein Statement für den späten Nachmittag an. Ein ÖVP-Minister sagte vorsorglich Abendtermine ab. Der ORF setzte eine Sondersendung für den Abend an. Die Frage: „Bringt das Renaturierungsgesetz die Koalition zum Platzen?“
Die ÖVP argumentierte bereits seit Wochen, dass eine Zustimmung Gewesslers zum Gesetz aus zwei Gründen verfassungswidrig sei: Einerseits sei der Geschäftsbereich des ÖVP-Landwirtschaftsministers von der Entscheidung betroffen und andererseits gab es im Vorfeld eine einheitliche Stellungnahme aller neun Bundesländer, inklusive Wien und Kärnten, gegen das Gesetz. Sind die Bundesländer gegen einen EU-Beschluss, dieser Art, so dürfen Österreichs Bundesminister qua Verfassung nicht zustimmen.
Durfte Grüne Umweltministerin Renaturierungsgesetz zustimmen?
Die Grünen sind gegenteiliger Meinung, da die Wiener Landesregierung aus dem Gleichschritt der Länder ausscherte und der ÖVP-Landwirtschaftsminister sich auch regelmäßig über die Wünsche der Umweltministerin hinwegsetze, wie Gewessler bereits Ende Mai im ORF erklärte. Der Innsbrucker Verfassungsrechtler Peter Büßjäger bezeichnete die Rechtslage gegenüber der Tageszeitung Standard als „höchst komplex“. Grundsätzlich räumte er der ÖVP in Österreich jedoch gute Chancen vor Gericht ein. Sein Kollege und Europarechtler Walter Obwexer bezeichnete eine Nichtigkeitsklage vor dem EuGH gegenüber der Austria Presse Agentur (APA) als „juristisches Neuland“, die wohl in einem Grundsatzurteil enden würde. Die Anklage wegen Amtsmissbrauchs wäre wohl wenig aussichtsreich, sagte Büßjäger.
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