Abschüsse sind Alltag: Ukrainische Drohne killt Putins Granatwerfer nach 31 Kilometern Flug
Innovativ auf der Kurz-, Mittel- und Langstrecke: Eine ukrainische Drohne setzt erneuten Nadelstich gegen Russlands Übermacht. Und Joe Biden bremst.
Bohorodyzke – „Ihre wichtigen Waffensysteme umgeben sie mit Flugabwehr und Störsendern“, sagt Nasar. Die Neue Zürcher Zeitung hat dem 33-jährigen Ukrainer über die Schulter geschaut, war „zu Besuch bei jenen, die den Tod von oben bringen“, wie NZZ-Autor Jonas Roth geschrieben hat. Abschüsse gehörten insofern zum Alltag, bedauert Nasar gegenüber der NZZ. Aktuell scheint der Ukraine aber ein Coup gegen Wladimir Putin gelungen zu sein. Nach Darstellung des Magazins Defense Express soll eine Kamikaze-Drohne einen BM-21-Raketenwerfer (Grad) Russlands nahe der Ortschaft Bohorodyzke im Raum Luhansk vernichtet haben. Nach einem Distanzflug von 31 Kilometern.
„Die ukrainische Kamikaze-Drohne des Nebesna Mara-UAV-Teams der 43. Separaten Mechanisierten Brigade legte 31 Kilometer zurück, überwand erfolgreich die elektronische Kampfabwehr des Feindes und traf das Grad-System, das erheblich beschädigt wurde“, schreibt das Magazin. Ukrainische Quellen wollen darin „die fortschrittlichen Fähigkeiten der ukrainischen Drohnentechnologie“ wieder unter Beweis gestellt haben, gibt Defense Express wieder.
„Genialer Trick“: Ukrainische Drohne lässt sich von einem Verstärker weiter katapultieren
Im März bereits hatte die Bild die Fernflugfähigkeiten der ukrainischen Drohnen als „genialen Trick“ gepriesen: Auf Video-Aufnahmen vom Winter will die Bild erkannt haben, wie eine Kamikaze-Drohne nach Erreichen der Maximalreichweite von zehn Kilometern begleitet wurde von einer Transportdrohne, die ihrerseits in der Luft eine weitere Drohne ausgeklinkt hat. Die soll einen Repeater getragen haben, einen Signalverstärker, der die Reichweite der Kamikaze-Drohne dann vervielfacht hatte. Diese Methode, Drohnen einzusetzen, also eine „Funkbrücke“ aufrechtzuerhalten, würde mehrere Drohnenpiloten binden und verschiedene Frequenzen belasten, schreibt beispielsweise das Magazin Militarnyi. Dadurch sei die Gefahr für die Gegner jedoch multipliziert.
„Die Entwicklung von Waffen und Gegenwaffen ist ein ewiges Hin und Her“. „In einigen Monaten werden unsere Drohnen wieder ganz anders funktionieren.“
Die Drohne erhielte dadurch eine ähnliche Reichweite wie normale Artilleriemunition. Das hat den Krieg grundlegend revolutioniert. Sein Bataillon verschieße 50 bis 70 Drohnen pro Nacht, berichtet Juri Fedorenko der NZZ. Er ist der Kommandeur des Achilles-Bataillons der 92. Sturmbrigade, die mit den First-Person-View-Drohnen (FPV) kämpft – die Männer sitzen dabei in Unterständen weitab vom eigentlichen Kampfgeschehen und verfolgen die unbemannten Fluggeräte auf dem Bildschirm von handelsüblichen Tablets. „Dank der FPV-Drohnen können wir Vorstöße stoppen, bevor sie überhaupt begonnen haben. Gepanzerte Fahrzeuge haben ihre Wirksamkeit eingebüßt“, sagt Fedorenko.
Entpersonalisierter Krieg: Ukrainische und russische Soldaten bekommen sich nicht zu Gesicht
Der Krieg ist damit auch entpersonalisiert. Die Männer, die gegeneinander in die Schlacht ziehen, bekommen sich nie zu Gesicht: „Wir töten keine Menschen, sondern den Feind, der unser Land besetzt hält und unsere Leute und uns tötet. Die Russen sind auch nicht zimperlich. Die sind verrückt. Es ist nicht leicht, gegen sie zu kämpfen“, sagt ein Soldat mit dem Kampfnamen „Calvados“ der Tagesschau. In der Theorie funktioniere der Drohnenkrieg erfolgreich, will die NZZ erfahren haben. Doch die Bedingungen hätten sich für die Ukraine verschärft, sagt Nasar: „Unsere Drohnen überleben weniger lange als noch vor einem Jahr.“ „Eine ihrer Drohnen sei nur drei Wochen im Einsatz gewesen, eine andere immerhin drei Monate“, schreibt die NZZ.
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Bislang galten Wladimir Putins Truppen im Ukraine-Krieg als wenig flexibel und schlecht geführt, weil ihnen die digitale Kommunikation gefehlt hatte. Neuere Studien zeichnen jedoch ein anderes Bild. Demnach hat die russische Armee dazugelernt. Den ukrainischen Streitkräften sei anfangs „in einer noch nie da gewesenen Weise“ gelungen, Daten aus zivilen und militärischen Quellen zu aktuellen Lagebildern zu verdichten, um sie anschließend gegen die Invasoren aus Russland einzusetzen, sagt Oberst Tim Zahn im Bundeswehr-Podcast Nachgefragt.
„Drohnentag“ im Baltikum: Gegen Putin hilft keine standardisierte Lösung
„Aufgrund der Datenmenge konnten erhebliche Zeitgewinne, die im militärischen Kontext immer eine wichtige Rolle spielen, erzielt werden“, so der Leiter des Zentrums für Cyber-Sicherheit der Bundeswehr. Deshalb gerieten anfangs ganze Konvois ins Stocken; deshalb schoss die russische Artillerie so wenig präzise. Deshalb hatte die Ukraine in der Gegenoffensive Oberwasser bekommen. Das aktuelle Problem: All das haben sich die Russen jetzt allerdings von ihren Gegnern abgeschaut. „Gegen Drohnen hilft nie die eine Lösung, und wahrscheinlich wird die auch nie gefunden werden“, sagt der britische Drohnen-Experte Steve Wright gegenüber Newsweek. Ihm zufolge würde in der Zukunft fortgesetzt werden, was auch jetzt schon geschieht: improvisieren. Auf beiden Seiten.
Aktuell meldet der Tagesspiegel, dass beispielsweise in Litauen auch an einer Mittelstreckendrohne gearbeitet wird. „Granta Autonomy“ heißt das Unternehmen, das sich gerade auf einem „Drohnentag“ des litauischen Landesschutzministeriums präsentiert hatte. Die Drohne soll tatsächlich ohne Repeater eine Strecke von 30 Kilometern zurücklegen können und über Energie für zwei Stunden Flugzeit verfügen. Das System könne auf ein bestimmtes Ziel programmiert werden und finde das dann automatisch, zitiert der Tagesspiegel Gedimas Guoba; gegen russische Störsender sei die Drohne immun, erläutert der Gründer und Geschäftsführer von „Granta Autonomy“.
„Drohnenwall“ gegen Russland: Innovative Lösungen gegen Russlands Aggression gesucht
Auch das Rüstungs-Start-up „RSI Europe“ aus Vilnius soll eine Mittelstreckendrohne marktfähig produziert haben. Die normale Reichweite gibt das Unternehmen mit 25 Kilometern an, mit Repeater versprechen die Ingenieure das Doppelte an Reichweite. Die baltischen Staaten scheinen neben den Kriegsparteien zurzeit die innovativsten Drohnen-Nationen zu sein – die drei Staaten wollen zusammen mit drei anderen Nato-Partner die Ostflanke des Verteidigungsbündnisses gegen Drohnen abschotten.
„Das ist etwas völlig Neues – eine Drohnengrenze von Norwegen nach Polen, deren Zweck es wäre, unsere Grenze mithilfe von Drohnen und anderen Technologien zu schützen“, sagte Agnė Bilotaitė gegenüber der Nachrichtenagentur Baltic News Service, wie Newsweek die litauische Innenministerin zitiert. Nach verschiedenen Medienberichten, ist der Zweck des Projekts noch vage: entweder als Schutzwall gegen Drohnen oder als Schutzwall mit Drohnen – oder beides; da noch keine Einzelheiten bekannt sind, wird wahrscheinlich alles ins Kalkül gezogen werden.
Langstreckendrohnen im Ziel: US-Präsident bremst die Ukraine aus
Auch mit ihren Langstrecken-Drohnen war die Ukraine erfolgreich gegen die russische kritische Infrastruktur: Zuletzt hatten immer wieder Ölraffinerien gebrannt aufgrund von Angriffen mit Drohnen, die um die 1.000 Kilometer weit fliegen können. Laut der Financial Times hatte die US-Regierung die Verteidiger aber zurückgepfiffen. Eine Quelle habe der FT zugetragen, das Weiße Haus sei „zunehmend frustriert über die dreisten Drohnenangriffe der Ukrainer auf Ölraffinerien, Terminals, Depots und Lagereinrichtungen in ganz Westrussland“, weil das die Ölproduktionskapazität des Landes beeinträchtige. Nach dem Bericht sei die Regierung von US-Präsident Joe Biden zudem besorgt, die permanenten Angriffe auf Energieanlagen weit im russischen Kernland könnten Russland dazu bewegen, ihrerseits die Energie-Infrastruktur des Westens zu beschädigen.
Unabhängig von der Reichweite der Drohnen sind diese Geräte technisch simpel, sagte Ulrike Franke bereits nach dem ersten Kriegsjahr dem Spiegel. Die Wissenschaftlerin vom Thinktank European Council on Foreign Relations fügt an, die ukrainischen Geräte hätten gegenüber Konkurrenzmodellen „einen Vorteil, weil die Erfahrungen der Soldaten unmittelbar zur Verbesserung der Kriegstechnik beitragen“, wie sie analysiert. Die Entwicklung galoppiert voran: „Die Drohnen, die wir vor einem Jahr hatten, könnten heute gar nicht mehr fliegen. Die russischen Störsender sind so weit fortgeschritten, dass auch wir zur Modernisierung gezwungen sind“, sagt Kommandeur Juri Fedorenko der NZZ.
Der Krieg wird möglicherweise mit dem Lötkolben oder einer App entschieden, wie „Danilo“ vermutet – laut der NZZ der für die Modernisierung der Drohnen von Fedorenkos Bataillon zuständige Soldat: „Die Entwicklung von Waffen und Gegenwaffen ist ein ewiges Hin und Her“, sagt er. „In einigen Monaten werden unsere Drohnen wieder ganz anders funktionieren.“