Neue Regierung, altes Wegschauen - Unter den Sofortplänen verstecken CDU und SPD ein gewaltiges ungelöstes Problem
Während sich Politiker aller Parteien direkt nach der Bundestagswahl zur Zukunft Deutschlands äußern, verlieren sie meist kein Wort zu einem der wichtigsten Zukunftsthemen: der Rente.
Klar, mit Vladimir Putin und Donald Trump rütteln Undemokraten an Deutschlands Sicherheit. Die Wirtschaft kriselt. Doch um sich diesen Problemen zu stellen, braucht die Bundesrepublik Geld und zufriedene Bürger. Die Rente gefährdet beides. Trotzdem zeichnet sich auch unter der kommenden Regierung keine grundlegende Reform ab, wie Experten sie fordern. Nur das nächste "Weiter so!".
Das unlösbare Dilemma der Rentenpolitik
Das deutsche Rentensystem steht vor einer doppelten Herausforderung:
- Immer mehr Rentner, immer weniger Beitragszahler: Die geburtenstarken Jahrgänge der 1950er- und 1960er-Jahre gehen in Rente. Bis 2035 kommen rund zehn Millionen Ruheständler hinzu – ihnen stehen immer weniger junge Arbeitnehmer gegenüber.
- Kostenexplosion ohne Gegenfinanzierung: Bleibt alles beim Alten, könnten die Rentenbeiträge bis 2045 um schlimmstenfalls knapp die Hälfte steigen. Den Beitragszahlern, also den Angestellten in Deutschland, bliebe dann weniger Netto vom Brutto. Die Unternehmen müssten höhere Lohnnebenkosten zahlen, was Arbeit in Deutschland weiter verteuert.
- Immer höhere Zuschüsse: Der Bund schießt der Rentenkasse Geld zu, um Zeiten auszugleichen, in denen Menschen zwar Ansprüche erwerben, aber keine Beiträge zahlen: Zwölf Monate Kindererziehungszeit entsprechen beispielsweise einem Entgeltpunkt. Diese Beträge wachsen stetig, haben sich seit 1995 fast verdreifacht und machen inzwischen den mit weitem Abstand größten Punkt im Bundeshaushalt aus. Sie dürften weiter steigen. Dadurch schmälern sie die Fähigkeit Deutschlands, Geld in Wirtschaft, Infrastruktur und Sicherheit zu investieren. Diese Bereiche brauchen aber Milliarden,
Verhindern kann die Regierung diese Teuerung nur mit einem großen Wurf: Renteneintrittsalter anheben, Rentenniveau senken oder der Rente noch mehr Steuergelder zuschießen. Für letztere Option müssten aber wohl die Steuern steigen. Sie träfe die Menschen also ebenfalls im Geldbeutel.
SPD und Union: Rentenpolitik mit Minimalanpassungen
Trotz der immensen Herausforderungen wollen Union und SPD das Rentenniveau beibehalten. Rentner stellen eine der größten Wählergruppen Deutschlands. Keine Partei will es sich mit ihnen verscherzen.
CDU/CSU: Wachstum soll die Lösung bringen
„Mit der Union wird es keine Rentenkürzungen geben“, betont Friedrich Merz. Er setzt auf wirtschaftliches Wachstum: Mehr Beschäftigte bedeuten mehr Beitragszahler – und damit stabile Renten.
Experten bezweifeln dieses Argument. Wirtschaftswachstum steigere zwar Löhne und Beiträge, dadurch aber auch die Ansprüche. Beides gleiche sich auch, meint Marcel Thum, Leiter der Ifo-Niederlassung Dresden.
SPD: Rentenniveau sichern, aber wie?
Die SPD hält an ihrem Versprechen fest: „Das Rentenniveau bleibt dauerhaft bei mindestens 48 Prozent“, sagte der scheidende Kanzler Olaf Scholz im Wahlkampf. Gleichzeitig lehnt seine Partei eine Erhöhung des Rentenalters ab. Dass dafür die Beiträge steigen müssen, gesteht sie offen ein.
Die Kosten der alternden Gesellschaft lastet damit wohl auch die nächste Bundesregierung vollständig den Arbeitnehmern auf. Alle Maßnahmen, die die Beitragsanstiege kurzfristig bremsen könnten, etwa ein mit der Lebenserwartung steigendes Eintrittsalter, schließen beide Parteien aus. Nur die FDP wollte diese Maßnahme umsetzen. Sie scheiterte aber an der Fünf-Prozent-Hürde.
Andere Parteien wollen das Problem sogar verschlimmern
Union und SPD stehen mit ihrem "Weiter so!" zur Rente nicht allein. Die Grünen fordern, von Kleinigkeiten abgesehen, das gleiche: Eintrittsalter bleibt, Rente mit 63 bleibt, Rentenniveau bleibt.
Völlig Unfinanzierbares fordern AfD, Linke und BSW: Alle drei Parteien wollen das Rentenniveau deutlich anheben. Woher das Geld dafür kommen soll, wenn die Rente schon jetzt zu teuer ist, erklärt keine Partei ansatzweise überzeugend.
Die Politik diskutiert daher vor allem Maßnahmen, die laut Experten nichts verändern: Auch Beamte und Politiker in die Kasse einzahlen lassen; Rentenbeiträge auf Kapitaleinkünfte erheben, höhere Löhne. Kurzfristig alles Tropfen auf den heißen Stein. Langfristig erwerben die Einzahlenden auch Ansprüche, betont etwa das Ifo-Institut in seiner treffend benannten Analyse "Zeitbombe Rentenversicherung – doch durchgreifende Reformen sind nicht in Sicht".
Nach der Wahl droht der Realitätsschock
Warum sich die neue Regierung bei der Rente auf Minimalanpassungen beschränken dürfte, zeigt ein Blick in Nachbarländer, in denen die Rentensysteme besser funktionieren. Die dortigen Eckpunkte - mehr Betriebsrenten, mehr private Vorsorge - ähneln oft den Punkten, die SPD und CDU/CSU Parteien jetzt angehen. Bis sie wirken, dauert es allerdings Jahrzehnte. Frühere Bundesregierungen hätten sie schon vor der Jahrtausendwende angehen müssen.
Für Angestellte und Rentner bleibt die Hoffnung, dass die neue Bundesregierung diese Punkte wenigstens jetzt angeht. In der Zwischenzeit sollten sie sich auf höhe Beiträge einstellen. Die von Experten vorhergesagten Steigerungen, die Angestellte jedes Jahr bald so viel kosten wie einen kleinen Urlaub, werden mit der neuen Bundesregierung wahrscheinlicher.