Deutschland blamiert sich beim Brenner-Nordzulauf: Europas wichtigstes Verkehrsprojekt hängt in Bayern fest
Europas größtes Infrastrukturprojekt geht voran, doch an einer Stelle hakt es. In Deutschland hat man mit dem Bau des Brenner-Nordzulaufs lange noch nicht begonnen.
München/Innsbruck – Der Ärger der europäischen Nachbarn über Deutschland dürfte in den nächsten Jahren bei einer Sache nochmal steigen: Denn beim aktuell größten und wichtigsten Infrastrukturprojekt Europas stellt sich Deutschland (noch immer) als Bremsklotz heraus. Während Österreich und Italien beim Bau des Brennerbasistunnels vorankommen und schon ab 2032 offiziell eröffnen wollen, ist in Deutschland noch nicht einmal die Planung des Brenner-Nordzulaufs abgeschlossen. Die Deutsche Bahn hat im Mai verkündet, dass eine Inbetriebnahme „Anfang der 2040er Jahre“ angestrebt wird – acht Jahre nach der Eröffnung des Haupttunnels.
Bundestag entscheidet frühestens 2025 über Brenner-Nordzulauf – mit 21 Jahren Verspätung
Bis Ende des Jahres sollen die Pläne der Deutschen Bahn für den Trassenverlauf zum Brennerbasistunnel an das Verkehrsministerium und den Bundestag übergeben werden. Im Frühjahr 2025 ist ein Beschluss im Bundestag dann eventuell möglich. Damit würde Deutschland über 20 Jahre nachdem Italien und Österreich den Bau des Riesentunnels durch die Alpen beschlossen haben, in die Pötte kommen.
2004 wurde der Basistunnel durch Rom und Wien beschlossen, 1994 haben Italien, Österreich und Deutschland den ersten Vertrag zum Vorhaben unterzeichnet. Von Zeitdruck kann hier also eigentlich keine Rede sein, dennoch existieren bis heute für die bayerischen Part des Tunnels nur Pläne.
Brenner-Tunnel spielt für ganz Europa eine zentrale Rolle im Verkehr
Der 55 Kilometer lange österreichisch-italienische Riesentunnel soll eines Tages sowohl den bisherigen Bummelbahnverkehr von Deutschland nach Italien beschleunigen als auch Abhilfe für die örtliche Bevölkerung schaffen. Insbesondere die geplagten Anwohner der Brennerautobahn in Nord- und Südtirol leiden seit Jahrzehnten unter Abgasen, Lärm, chronischen Staus und Schleichverkehr.
Es schimpfen und leiden aber auch Heerscharen von Lkw-Fahrern und deutschen Italien-Urlaubern. Die Bedeutung des Brenners reicht weit über die Alpen hinaus: Über den Pass läuft Güter- und Personenverkehr vom Mittelmeer in etliche Länder (und umgekehrt). Darunter zählen neben Österreich und Deutschland etwa Tschechien, Polen und die Niederlande. 1998 passierten 1,2 Millionen Lastwagen den Pass. 2023 zählte die österreichische Autobahngesellschaft Asfinag an der Mautstelle Schönberg doppelt so viele: 2,4 Millionen Lkw. Insgesamt drängten sich knapp 14,4 Millionen Fahrzeuge auf der Brennerautobahn.
Brennerbasistunnel berührt Deutschland nicht – aber Deutsche Bahn muss den Nordzulauf bauen
Der Basistunnel berührt deutsches Territorium nicht, doch um dereinst die volle Kapazität nutzen zu können, muss der „Zulauf“ ausgebaut werden. Die bisherige Strecke verläuft auf 160 Jahre alter Trasse aus königlich bayerischen Zeiten von Rosenheim durch das Inntal bis an die Tiroler Grenze. Die DB plant eine 54 Kilometer lange neue Trasse abseits der Ortschaften. Gut 30 Kilometer sollen als Tunnel gebaut werden.
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Auch in Italien gibt es einen Zulauf, der Brenner-Südzulauf. Dieser soll größtenteils bis zur Inbetriebnahme des Basistunnels im Jahr 2032 fertig sein. Eine Informationsfahrt der CSU-Politikerin Daniela Ludwig Anfang August hatte dies ergeben.
Um den Nordzulauf gibt es seit Jahrzehnten in Deutschland viel Streit. Doch anstatt sich um Lösungen zu kümmern und mit der Planung voranzukommen, haben sich etliche Verkehrsminister der vergangenen 20 Jahre nicht wirklich geschert, oder sie haben aktiv ausgebremst. So hat der CSU-Verkehrsminister Alexander Dobrindt 2018 nach Protesten eine neue Prüfung in Auftrag gegeben, ob der Nordzulauf überhaupt vonnöten sei. Die Prüfung ergab dann, dass in den 2030er das Verkehrsaufkommen zu groß sein würde, um ohne Neubau klarzukommen. Bis das Ergebnis der Prüfung vorlag, kam die Planung wieder zum Erliegen.
Ampel streitet ums Geld: Kosten für den Brenner-Nordzulauf sind noch unbekannt
Jetzt soll es aber wirklich weitergehen. Ein Blick nach Berlin in diesen Tagen lässt jedoch wenig Hoffnung zu. Denn um die Finanzierung des Nordzulaufs kümmert sich der deutsche Staat: Was genau der Bau der neuen Trasse kosten soll, ist aber noch unsicher. Eine erste Schätzung will die Bahn erst mit der Abschlussplanung Ende des Jahres abgeben.
Dabei streitet sich die Ampel-Koalition aktuell so hart wie nie um Finanzierungsfragen. Je nachdem, was die Bahn dann für eine Summe nennt, ist alles andere als sicher, ob die aktuelle Bundesregierung dem zustimmen kann und wird. Damit droht das Projekt nochmal verzögert zu werden. Im September 2025 sind dann Bundestagswahlen, danach braucht es nochmal einige Wochen bis zu einer Regierungsbildung. Ob der Brenner-Nordzulauf dann als Erstes auf den Tisch kommt, ist ungewiss.
Deutsche Bahn investiert Milliarden in die Sanierung – mit vielen Jahren Verspätung
Es ist ja auch nicht so, als ob die Deutsche Bahn nicht schon andere Großprojekte hat. Das deutsche Schienennetz ist aktuell in einem so maroden Zustand, dass Fahrpläne einem aktuellen Bericht der Süddeutschen Zeitung zufolge eher „geschätzt“ würden. Die Sanierung und Modernisierung der bestehenden Netze kostet 2024 bereits 16 Milliarden Euro, 2025 sind 15 Milliarden Euro vorgesehen. Darin eingeschlossen sind noch keine Neubauprojekte wie der Brenner-Zulauf.
Damit kann die Brenner-Thematik mittlerweile gut als Sinnbild für die gesamte deutsche Verkehrspolitik der vergangenen 20 Jahre dienen. Dringend nötige Entscheidungen zu großen Vorhaben werden einfach ins Unendliche nach hinten geschoben, damit verteuern sie sich auch. So war es nicht nur bei der Schiene (man denke an Stuttgart 21). Auch in der Autobranche hat man diesen Trend beobachten können, was Autobauer nun in Bedrängnis bringt. Denn die E-Mobilität hat – darüber, kann man sich aus heutiger Sicht einig sein – Deutschland ziemlich lange verschlafen. Die Konkurrenz aus China und den USA droht die Autoindustrie nun zu erdrücken.
In Fall des Brennerbasistunnels hat die deutsche Langsamkeit aber nicht nur Folgen für unser Land, sondern für ganz Europa. Ohne Zulauf droht ein Nadelöhr in Bayern, das sich auf den Verkehr europaweit auswirken wird. Das größte Verkehrsprojekt in Europa droht eine Blamage für Deutschland zu werden. (mit dpa)