Flugzeugbauer aus Bayern erwägt Abschied vom Traditionsstandort: „Brauchen Deutschland und Europa nicht“

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Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sieht sich auf dem Digital-Gipfel den Prototypen des ersten flugfähigen „Flugtaxis“ - des Herstellers Lilium an © Daniel Karmann/dpa

Der Flugzeugbauer Lilium könnte sich von Deutschland verabschieden. Aus der deutschen Politik kommen kaum positive Signale für den Aufbau einer Luftfahrtindustrie auf batterieelektrischer Basis.

Oberpfaffenhofen – Es sollte ein Signal für den erfolgreichen Start einer neuen Industrie sein. Doch als Lilium einen Großauftrag über 50 Flugzeuge der arabischen Fluggesellschaft Saudia bekanntgab, war zwar Saudi-Arabien hochrangig vertreten, Gäste aus der bayerischen Politik aber nicht zu sehen. Kein Ministerpräsident, kein Minister, kein Staatssekretär nahm die beschwerliche 20-Kilometer-Fahrt auf sich. Lediglich auf Beamtenebene waren offizielle Stellen vertreten.

Deutliches Desinteresse der deutschen Politik: Lilium erwägt den Abschied aus Bayern

Deutlicher kann man Desinteresse kaum kundtun. Die Sorgenfalten bei Mitarbeitern in Oberpfaffenhofen sind kaum mehr zu übersehen. Denn auch ein weiteres erhofftes Signal lässt auf sich warten. Bei Lilium rechnete man noch vor der Sommerpause mit dem Zuschlag für einen 100-Millionen-Euro-Kredit der staatlichen KfW-Bank. Auch dieses Signal blieb bisher aus. Das aber wäre überlebenswichtig für das Unternehmen, das weit höhere Summen für den Hochlauf der Produktion benötigt.

Doch ausländische Investoren, die bisher bereits mit weit über eine Milliarde Euro bei Lilium eingestiegen sind, machen weitere Mittel davon abhängig, dass auch der deutsche Staat sich engagiert. Aus anderen Ländern kommen andere Signale: So hat sich der chinesische Batteriehersteller beim weit kleineren Lilium-Konkurrenten Autoflight beteiligt.

Ein Abflug aus Deutschland zeichnet sich ab. „Wir brauchen Deutschland und Europa nicht“, war aus dem Management zu hören. Gleichzeitig arbeitet der chinesische Flugzeugbauer Comac an einem batterieelektrischen Flugzeug für 19 Passagiere. In diese Richtung plant längst auch Lilium. „In zehn Jahren wollen wir einen Flieger bauen, der 40 bis 50 Passagiere über 1000 Kilometer befördern kann“, verriet am Rande einer Buchvorstellung in Oberpfaffenhofen Lilium-Gründer und Vordenker Daniel Wiegand, gegenüber unserer Zeitung. „Und in spätestens 20 Jahren sehen wir einen Flieger, der 80 bis 100 Passagiere über 2000 Kilometer fliegen kann.“

Das Elektro-Flugtaxi des Herstellers Lilium beim morgendlichen Flug über Inseln.
Das Elektro-Flugtaxi des Herstellers Lilium beim morgendlichen Flug über Inseln. © Handout/dpa

Denn bei den Batterien zeichnet sich eine ähnlich konstante Verbesserung ab wie früher in der Mikroelektronik. Große Teile des europäischen Luftverkehrs könnten so schon vor 2050 klimaneutral werden. Das ist auch bitter nötig. Denn inzwischen steht fest: Selbst Sprit, der nicht aus fossilen Quellen stammt, ist im Luftverkehr keine Lösung. Denn nicht das CO₂ an sich, sondern die große Höhe, in der die Abgase ausgestoßen werden, verursacht den größeren Teil der Klimawirkungen. Nur batterieelektrisches Fliegen zeichnet sich als Ausweg ab.

USA und Frankreich zeigen Interesse am Flugzeugbauer Lilium

Auch ein amerikanisches Luftfahrtunternehmen hat bereits großes Interesse gezeigt und wurde dem Vernehmen nach von Lilium-Chef Klaus Roewe freundlich in Oberpfaffenhofen empfangen. Details werden aber streng geheim gehalten. Offenbar wurde Stillschweigen vereinbart. Und in Frankreich wetteifern bereits zwei Standorte um ein Lilium-Werk, die High-Tech-Regionen um Bordeaux und Toulouse – unterstützt vom Staat. Nicht nur Emmanuel Macron, sondern auch jeder mögliche linke oder rechte Konkurrent des Präsidenten würde für Lilium tief in die nicht gerade prall gefüllten Kassen des französischen Staates greifen.

Es könnte der zögerlichen bayerischen Politik eine böse Überraschung drohen. Denn Standort-Drohungen hat Lilium nicht nötig. Man verkündet womöglich irgendwann die Entscheidung – und verlässt einfach den Traditionsstandort, auf dessen jüngere Entwicklung Bayern stolz sein könnte.

Arrogante Haltung: Deutsche Professoren spotteten einst auch über Elon Musk und SpaceX

Vielleicht sind auch frühere abwertende Einschätzungen von Luftfahrt-Professoren gegen die Technologie, auf die Lilium setzt, eine Ursache für die Zurückhaltung des Freistaats. Allerdings haben sich in diesem Sektor Wissenschaftler bei der Einschätzung von Zukunftstechnologien nicht immer mit Ruhm bekleckert. Als Elon Musk für SpaceX wiederverwertbare Trägerraketen entwickeln ließ, spotteten deutsche Professoren, dass dies wirtschaftlich gar nicht möglich sei. Inzwischen sind diese Raketen die erfolgreichsten der Welt.

Und einer der damals Beteiligten hat gegenüber unserer Zeitung eingeräumt, dass diese arrogante Haltung auf einem fundamentalen Denkfehler bezüglich der benötigten Treibstoffmengen beruhte. Spätes Erwachen kann manchmal schmerzhaft sein.

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