„Wenn ich nur einen drankriege, ist das schon was“: Senior überlistet Schockanrufer
Immer wieder ergaunern Schockanrufer viel Geld. Doch bei Günther Ferg (85) haben die Gauner keine Chance. Er hat wieder für eine Festnahme gesorgt – und das nicht das erste Mal.
Eichenau - „Papa, Papa ich habe jemanden totgefahren“, sagt eine verzweifelte Frau am Telefon. „Papa“ Günther Ferg am anderen Ende der Leitung ist schockiert. Der 85-jährige Eichenauer telefoniert kurz mit der jungen Frau. Dann ist ein Mann am Apparat. Er sagt, er sei von der Polizei. „Sie müssen 185 000 Euro Kaution zahlen, sonst muss ihre Tochter ins Gefängnis.“ Günther Ferg ist noch mehr schockiert. „So viel Geld habe ich nicht“, sagt er jammernd. Dann fängt der Senior, Vater einer Tochter und eines Sohnes, an zu weinen.
Nebenbei die Polizei informiert
Der ein oder andere merkt beim Lesen dieser Zeilen sofort: Bei dieser dramatischen Szene handelt es sich um einen Schockanruf, wie schon oft berichtet und von der Polizei gewarnt wurde. Nur etwas ist anders: Das „Opfer“ Günther Ferg spielt nur den geschockten Senior. Der Eichenauer hat so schon zwei Schockanrufer überführt – und einen weiteren Versuch vereitelt.
Beim jüngsten Fall Anfang Oktober konnte die Polizei einen Mann festnehmen, direkt vor Fergs Haus in einer Wohnsiedlung in Eichenau. Und das nach rund sechs Stunden Telefonterror.
„Wie viel Geld haben Sie denn zu Hause?“, fragt der angebliche Polizist am Festnetz-Telefon. Währenddessen hat der 85-Jährige schon mit seinem Handy die 110 gewählt. „Hören Sie mit“, flüstert er ins Smartphone und legt es beiseite. „Zählen Sie das Bargeld vor“, lautet die Anforderung aus dem Festnetz-Hörer. Ferg nimmt einen 100-Euro-Schein aus seinem Geldbeutel und lässt ihn immer wieder durch die Hand gleiten, während er zählt, wie ihm geheißen.
Den Senior packt der Ehrgeiz
So wie er es bereits bei den anderen beiden Schockanrufen gemacht hat. Einmal wurde er sogar vom Förderkreis „Bürger und Polizei“ ausgezeichnet. „Die Anerkennung habe ich gespendet“, erzählt Günther Ferg. „Tu Gutes und sprich darüber“, zitiert der Eichenauer eine Redewendung. Auch aus diesem Grund erzählt er gerne über seine Erfahrungen mit den Schockanrufern.
Bis 18 000 Euro zählt Ferg am Telefon Schein für Schein ab – natürlich geschwindelt. Den Senior hat der Ehrgeiz gepackt. „Und wenn ich nur einen dran kriege, dann ist das schon etwas“, berichtet der fidele 85-Jährige später gegenüber unserer Zeitung.
Dem Betrüger am Telefon ist das nicht genug Bargeld. Immer wieder muss der falsche Polizist angeblich in Konferenzen, Ferg soll aber ja am Telefon bleiben, heißt es. Auch werden die Telefonate mehrmals beendet. So kann Ferg kurz mit der Polizei am Handy sprechen.
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Weitere Forderungen am Telefon
Dann erneut ein Anruf. Die Summe reicht nicht aus. „Haben Sie noch andere Wertgegenstände zuhause? Gold, Schmuck oder einen Tresor?“, fragt der Unbekannte. Er habe nur ein paar afrikanische Münzen aus Gold, schwindelt der Eichenauer. Um das Spiel weiterzutreiben, holt er eine Geldkassette aus dem Schrank und klappert mit ihr. Auch die Münzen soll er abzählen und den Wert nennen. Ferg dreht und wendet hörbar ein paar Münzen in der Geldkassette um.
Seine Ehefrau Renate, die das Schauspiel ihres Mannes schon kennt, verkneift sich im Hintergrund das Lachen. Die vorgetäuschten Goldmünzen reichen auch nicht aus, sagt der Anrufer. Günther Ferg legt noch eins drauf: „Renate, komm tu‘ die Goldkette runter“, sagt er. „Aber die Eheringe, die geben wir nicht her“, fügt der Senior gespielt entsetzt hinzu.
Hund Bazi weggesperrt
Seine Frau verlässt den Raum, da sie das schauspielerische Talent des 85-Jährigen derart amüsiert. Und sie sperrt Hund Bazi in das Schlafzimmer, für den Fall, dass bald die echte Polizei über den Garten einsteigt. Denn so hatte es sich auch beim zweiten Schockanruf abgespielt. Da war der sechsjährige, wuschelige Malteser über die Polizisten, die plötzlich im Raum standen, verständlicherweise so überrascht, dass der Schockanrufer am Telefon wegen des Hundegebells im Hintergrund auflegte. Und sich nicht mehr meldete, erzählt Ferg.
Jetzt, beim dritten Schockanruf, läuft es wie am Schnürchen. Irgendwann hat der Eichenauer wohl genug Geld und Gold zusammen, denn der Anrufer sagt, dass bald jemand vorbeikommen würde und die Kaution abholen. Günther Ferg packt eine Wasserflasche in eine Tüte und geht an die Straße vor zum vereinbarten Treffpunkt. Ein Polizist wartet in seiner Wohnung, ein weiterer beobachtet aus dem Fenster im 1. Stock bei den Nachbarn die Szenerie. Weitere Zivilstreifen warten in den Seitenstraßen.
Das Warten auf den Täter
Eine halbe Stunde lang wartet Ferg mit Schirm und Tüte im Regen. Nachbarn wollen dem alten Mann helfen – er schickt sie weiter, aus Sorge, dass es auf den letzten Metern nicht klappt. Dann kommt ein junger Mann auf Ferg zu. „Sind Sie Herr Braun?“, fragt der 85-Jährige. Der Mann bejaht und nimmt die Tüte an sich. Der Eichenauer gibt ihm die Hand und bedankt sich lange und herzlich, so will er Zeit schinden. „Er hat eine ganz nasse Hand gehabt, das werde ich nicht vergessen“, sagt Ferg später. Dann rennt der Abholer los.
Die Polizei kann später einen Ukrainer mit Wohnsitz in Stuttgart festnehmen. Für Günther Ferg ist der „Einsatz“ gegen 21 Uhr, nach dem abschließenden Gespräch mit der Polizei zu Ende. Auf seinem Protokoll, das er nebenbei führt „damit ich nicht vergesse, wie viel Geld ich abgezählt habe“, stehen am Ende 25 Anrufe in sechs Stunden. „Das wühlt einen schon auf“, sagt der 85-Jährige. Ob er Bedenken hat, falls nochmal jemand anruft? „Nein, jetzt bin ich ja schon geübt“, sagt Ferg und lacht.