Ampel-Koalition vor dem Aus? SPD kontert Lindners Grundsatzpapier und zieht „rote Linien“
Die Forderungen des Bundesministers für Finanzen sorgen weiter für Furore. Nun grenzen sich die Sozialdemokraten in einem mehrseitigen Bericht von Lindner ab.
Berlin – Das am Freitag (1. November) durch Indiskretion publik gewordene Grundsatzpapier von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sorgt weiter für heftige Diskussionen in den Reihen der Ampel-Koaliton. Auf seinen 18 Seiten enthält Lindners Grundsatzpapier zahlreiche Vorschläge und Forderungen, wie die krisengeschüttelte deutsche Wirtschaft trotz Konjunkturprognosen für 2025, die ein erneutes Stagnieren nahelegen, wieder vorangebracht werden könnte.
Das FDP-Präsidium stellte sich am Montag geschlossen hinter die Forderungen ihres Bundesvorsitzenden, doch von einer anderen Seite innerhalb der Ampel-Koalition wurden vehemente Einwände gegen Forderungen Vorhaben laut. Nachdem sich SPD-Vertreter des Kreises AG Wirtschaft über eine Reaktion zu Lindners Forderungen berieten, veröffentlichten sie eine mehrseitige Analyse zur viel diskutierten Thematik.
SPD betont, Lindners Grundsatzpapier widerspreche langjährigen sozialdemokratischen Positionen
In seinem Grundsatzpapier fordert Lindner eine „Wirtschaftswende mit einer teilweise grundlegenden Revision politischer Leitentscheidungen“ aus drei vorangegangen Jahren Ampel-Koalition. Ein besonderer Dorn im Auge sind ihm dabei klimapolitische Vereinbarungen: Zuschüsse für erneuerbare Energien will Lindner streichen, auch das Datum für den Kohleausstieg will er aufgeben. Auch den Klima- und Transformationsfonds will Lindner aussetzen, an anderer Stelle aber für Steuererleichterungen für Unternehmen sorgen.

Beim Ampel-Koalitionspartner, der SPD, stießen die Forderungen aus Lindners Grundsatzpapier unterdessen auf vehemente Ablehnung. In einer mehrseitigen Analyse, die zunächst der Bild-Zeitung vorlag, kritisierten die Sozialdemokraten der AG Wirtschaft Lindners Katalog mit Vorhaben scharf – und betonten, mit der Haltung der SPD sei er auf einigen Ebenen nicht im Einklang.
Die SPD-Vertereter betonten, Lindners Grundsatzpapier „widerspricht auch der langjährigen SPD-Position eines Wirtschaftswachstums nicht um des Wachstums willens, sondern als Grundlage für sozialen Fortschritt“, wie die Bild-Zeitung ausgehend von der SPD-Analyse berichtet. In ihrem Bericht zieht die SPD-AG-Wirtschaft neben der Bewertung von Lindners Forderungen auch einige „rote Linien“, die anzeigen, dass die Sozialdemokraten dem Bundesfinanzminister in einigen Aspekten vehement widersprechen.
SPD zieht „rote Linien“ zu Forderungen aus Lindners Grundsatzpapier – sie fürchten „Kollateralschäden“
„Rote Linien“ für die Sozialdemokraten sind laut dem der Bild-Zeitung vorliegenden Bericht insbesondere Änderungen beim Bürgergeld, bei der Rente sowie bei staatlichen Förderungen aus dem Klimafonds KFT. In ihrem Bericht kommt die AG-Wirtschaft der SPD aber auch zu dem Schluss, dass „Mehrarbeit sowie Kürzungen im Bereich der sozialen Sicherheit“ für die SPD weitere „rote Linien“ sein sollten. Die SPD-Vertreter kritisieren im Besonderen auch, dass Lindners Grundsatzpapier eigentlich bislang anerkannte Grundsätze, wie etwa das Zusammendenken von Wirtschaft, Ökologie und Sozialem im Rahmen der Transformation aufkündige.
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Zwar sei es möglich, dass Lindners Vorhaben im Sinne einer wirtschaftspolitischen Wende zu einem kurzfristigen Wirtschaftswachstum führen, dennoch stünden ihnen „mittel- und langfristig enorme ökonomische Unsicherheiten gegenüber“. Hierzu zählt den Vertretern des Arbeitskreises Wirtschaft zufolge etwa die nach wie vor schwierige Diskussion um den Bundeshaushalt 2025, aber auch die Frage, wie bedeutende Industriezweige erhalten werden sollen. Außerdem befürchten die SPD-Vertreter, Lindners Vorhaben birgt ein Potenzial für „Kollateralschäden“, vor allem in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik sowie in umweltpolitischen Anliegen.
Zunächst hatte der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil am Sonntag gegenüber der Augsburger Allgemeinen als Reaktion auf Lindners Grundsatzpapier signalisiert, gesprächsbereit zu sein. „Vorschläge sind immer willkommen“, sagte Klingbeil demnach. Er fügte hinzu: „Wenn sie dazu beitragen können, unsere Wirtschaft zu stärken und Arbeitsplätze zu sichern, reden wir darüber.“ Doch auch da betonte der SPD-Chef bereits, Lindners Forderungen widersprächen einigen sozialdemokratischen Grundsätzen: „Zum Beispiel Reichen mehr zu geben, die Arbeitnehmer länger arbeiten zu lassen und sie später in Rente zu schicken“, sagte er. So werde es niemanden überraschen, dass die SPD dies „für den falschen Weg“ halte.
SPD-Politiker Rosemann kritisiert Lindner: „Wir brauchen jetzt keine Papiere, sondern gemeinsames Handeln“
Doch auch von anderer Seite der SPD-Riege wurden Unverständnis oder gar herbe Einwände gegen Lindners Pläne für einen wirtschaftlichen Umschwung laut. „Wir brauchen jetzt keine Papiere, sondern gemeinsames Handeln, um der Industrie schnell zu helfen und Sicherheit zu geben. Vor allem brauchen wir keine Opposition in der Regierung“, sagte der arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Martin Rosemann, dem Tagesspiegel.
Der SPD-Abgeordnete Nils Schmid bezeichnete Lindners Papier dagegen als „inhaltlich sehr allgemein“. Und wenn es konkret werde, sei es nicht vereinbar mit dem Koalitionsvertrag. „Nur neoliberale Phrasendrescherei“, resümierte Schmid. Dagegen bleibe die FDP Antworten drängende Fragen schuldig, etwa wie Industriearbeitsplätze bewahrt und der Industriestrompreis gesenkt werden könne. SPD-Haushaltspolitiker Andreas Schwarz riet Lindner, „einen öffentlichen, unabgestimmten Überbietungswettbewerb größtenteils nicht finanzierter Wohltaten“ zu vermeiden. (fh)