"Gamechanger" in unseren Bergen: "Weißer Wasserstoff" für die Energiewende

1987, Mali: Mit jedem Meter, den sich das Bohrgerät tiefer in die Erde grub, wuchs die Hoffnung auf Wasser. 108 Meter - und doch nur trockene Erde. Brunnenbauer Mamadou Ngulo Konaré wollte das Loch schon aufgeben. Doch dann bemerkte sein Team etwas Ungewöhnliches: Aus der Tiefe wehte ein „Wind“.

Das "verfluchte Bohrloch"

Neugierig beugte sich einer der Arbeiter über das Bohrloch, die Zigarette noch im Mund.Der Wind blies ihm ins Gesicht - und explodierte. Flammen schossen aus dem Loch. Blau am Tag, golden in der Nacht. Das Dorf fürchtete das „verfluchte Bohrloch“.

40 Jahre später verbirgt sich hinter dem „verfluchten Bohrloch“ der wissenschaftliche Beweis, dass tief in der Erdkruste ein wertvoller Energieschatz schlummert. Denn statt Wasser fanden die Brunnenbauer in Mali natürlichen Wasserstoff, den weißen Wasserstoff.

Riesen-Fund im albanischen Bergwerk

Im Jahr 2025 wird überall eifrig nach weißem Wasserstoff gesucht. Denn der Energiehunger der Welt ist groß – vor allem nach klimaneutraler Energie. Erst vor einem Jahr wurde in einem albanischen Bergwerk zufällig ein großes Wasserstoff-Reservoir entdeckt. Doch in einer aktuellen Studie haben Forscher um Frank Zwaan vom Helmholtz-Institut herausgefunden, dass auch in Gebirgsketten wie den europäischen Alpen und Pyrenäen große Wasserstoffvorkommen schlummern könnten.

Mit Computermodellen simulierten die Forscher die Bewegungen der tektonischen Platten und lokalisierten die Regionen, in denen unter den richtigen Bedingungen große Mengen an natürlichem Wasserstoff entstehen könnten.

Wie entsteht natürlicher Wasserstoff?  Zwaan und seine Kollegen haben geologische Prozesse unter die Lupe genommen: das Auseinanderdriften und die Kollision von Kontinentalplatten. In beiden Fällen kommt Gestein aus dem Erdmantel mit Wasser in Kontakt, was zu einer chemischen Reaktion führt, bei der Gesteine aus der Gruppe der Serpentinite und Wasserstoff entstehen. Dieser Prozess wird Serpentinisierung genannt.

Durch das Auseinanderdriften der Erdplatten wird die Erdkruste dünner und Gesteine aus dem Erdmantel steigen auf. Dort, wo das Mantelgestein auf Meerwasser trifft, kommt es zur Serpentinisierung. Aber auch wenn sich die Drift umkehrt und sich eine Platte unter eine andere schiebt, wird Mantelgestein nach oben gedrückt. Dort kann es mit dem Grundwasser reagieren. Wenn dann noch ein poröses Gestein wie Sandstein von einer abdichtenden Schicht wie Ton überlagert wird, kann ein Reservoir für Wasserstoffgas entstehen.

Das Ergebnis: Die Pyrenäen, die europäischen Alpen und Teile des Himalayas sind potenzielle Hotspots für den weißen Wasserstoff. Die Simulationen zeigten, dass die jährliche Wasserstoff-Produktionskapazität in Gebirgen bis zu 20-mal höher sein kann als am Meeresboden, heißt es in der Fachzeitschrift „Science Advances“.

„Gamechanger“ im Mantelgestein

„Wir wussten, dass die Natur Wasserstoff produziert, aber es wurde nie wirklich als Option für die Energiegewinnung untersucht“, erklärt Geologe Zwaan gegenüber dem US-Nachrichtensender CNN. Doch allein die riesigen Mengen an Mantelgestein, die in diesen Gebieten für die Serpentinisierung zur Verfügung stehen, deuten darauf hin, dass natürlicher Wasserstoff ein „Gamechanger“ sein könnte, so Zwaan.

Einen Wasserstoff-„Gamechanger“ braucht Deutschland allemal. Um die Klimaziele zu erreichen, setzt die Bundesrepublik auf klimaneutrale Energie wie erneuerbare Energien oder auch Wasserstoff. Im Fokus steht bislang vor allem grüner Wasserstoff, der zwar auch in Deutschland mit Ökostrom in Elektrolyseuren erzeugt, aber überwiegend aus dem Ausland importiert werden soll.

Verlockende Aussicht

Doch bisher ist Wasserstoff knapp und teuer, der Hochlauf der Wasserstoffindustrie und der Aufbau der Infrastruktur hat gerade erst begonnen. Experten empfehlen daher, Wasserstoff vor allem in Industrien und Sektoren einzusetzen, die nicht einfach elektrifiziert werden können. 

Vor allem die Stahl-, Chemie-, Kalk- und Zementindustrie sowie Frachtschiff- und Flugverkehr sind auf Wasserstoff angewiesen, um jemals klimaneutral wirtschaften zu können. Auch Gaskraftwerke sollen im Rahmen der Kraftwerksstrategie zukünftig mit Wasserstoff betrieben werden, um die Versorgungssicherheit in Zeiten der Energiewende zu gewährleisten, wenn Solar- und Windstrom nicht zur Verfügung stehen.

Statt des grünen produzierten Wasserstoffs könnte auch weißer Wasserstoff verwendet werden, da dieser beim Verbrennen lediglich Wasser produziert, was ihn insbesondere für energieintensive Industrien wie die Luftfahrt und Stahlproduktion attraktiv macht – eine verlockende klimaneutrale Aussicht. 

„Wir könnten die Geburt einer Industrie erleben“

Zwar laufen bereits erste Explorationsprojekte in Ländern wie Frankreich, den USA und auf dem Balkan. Entscheidend ist aber zunächst, dass die Forschung herausfindet, wo sich natürlicher Wasserstoff in großen Reservoirs ansammelt, die für eine Förderung erschlossen werden können. Denn damit sich die Förderung lohnt, muss das angezapfte Reservoir auch genügend natürlichen Wasserstoff enthalten. Anschließend müssten effiziente und wirtschaftliche Fördermethoden entwickelt und eine geeignete Infrastruktur für Speicherung und Transport aufgebaut werden. 

Bis zur kommerziellen Nutzung dürften noch Jahrzehnte vergehen, so Zwaan. „Wir sollten nicht erwarten, dass es sofort die perfekte Lösung gibt.“ Dennoch gibt er sich zuversichtlich: „Auch Erdöl war zunächst eine Randerscheinung, bis die Technologie für den großtechnischen Einsatz reif war. Weißer Wasserstoff könnte einen ähnlichen Weg gehen. Wir könnten die Geburt einer Industrie des natürlichen Wasserstoffs miterleben.“