Egal, ob Krimi, Show oder Daily Soap – an der Werbeoffensive der Shop Apotheke im deutschen Fernsehen kommt aktuell kaum ein Zuschauer vorbei. Eine Kampagne, die spürbare Folgen haben dürfte für die Apotheken vor Ort.
Mit Günther Jauch konnte sich der niederländische Konzern Redcare Pharmacy einen der beliebtesten deutschen TV-Stars als Werbegesicht sichern. Eine teure Großoffensive auf das E-Rezept, die die deutsche Apothekenlandschaft verändern dürfte. In welcher Form, darüber sprachen wir mit Apothekerin Birgitta Seemüller, die im Landkreis vier Filialen in Schliersee, Hausham und Holzkirchen (2) betreibt.
Frau Seemüller, was würden Sie Günther Jauch sagen, wenn er jetzt bei Ihnen in der Apotheke steht?
Ich würde ihn fragen, ob er sich bewusst ist, welchen Schaden er mit seiner Werbung anrichtet. Wir haben ein Gesundheitssystem, um das uns die Welt beneidet, und wir machen es systematisch kaputt.
Wieso? Die Medikamente bekommen die Patienten ja weiterhin.
Eine Apotheke vor Ort ist mehr, als nur Arzneipackungen über den Ladentisch zu schieben. Wir sind Versorger und Ansprechpartner. Wir beraten die Leute, stellen Arzneien selbst her, und wir liefern auch Medikamente ins Haus. Zudem kann man bei uns ebenfalls per App E-Rezepte einreichen. Was soll das also?
Ihre Meinung?
Letztlich geht es um Anteile an einem riesigen Markt und darum, das Gesundheitssystem für Investoren freizuschaufeln. Für die Patienten und Kunden geht es aber um die Frage: Wollen wir unser System, das sich bewährt hat, aufgeben oder behalten? Denn eines ist klar: Auf diese Weise fließt sehr viel Geld aus dem deutschen Gesundheitssystem ab ins Ausland.
Geld, das der deutschen Apotheken-Infrastruktur fehlt? Hierzulande wird ja seit Jahren ein Apothekensterben beklagt.
Richtig. Seit Jahren müssen immer wieder Apotheken schließen, weil sich der Betrieb nicht mehr rechnet. Die Frage ist: Lebe ich eine Apotheke oder bin ich nur eine Abgabestelle? Als Apotheker beschäftigen wir uns mit den Patienten, wir hinterfragen die Arzneimittelabgabe. Das alles kann nicht anonym passieren. Gesundheit braucht Ansprache. Wir sind zudem Arbeitgeber. Und unser Service geht ja noch weiter.
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Inwiefern?
Wir haben ein sehr großes Wissen, das es tagtäglich kostenlos bei der Beratung in der Apotheke gibt. Und das ohne Termin. Wo gibt es das denn sonst noch? Diese Kosten habe ich natürlich nicht, wenn ich nur aus der Lagerhalle heraus verschicke.
Was passiert, wenn bestellte Arzneimittel nicht lieferbar sind? Es gibt ja immer wieder Engpässe.
Gute Frage. Wir Apotheker kümmern uns jedenfalls um Alternativen und versuchen, den Patienten trotzdem gut zu versorgen. Wir versuchen zu importieren, telefonieren mit Ärzten. Aber warum gibt es diese Engpässe? Weil wir Produktionen ans Ausland abgegeben und verlegt haben. Aber zurück zum Apothekensterben: Das Problem, das wir haben, ist, dass es seit Jahren keine Honoraranpassung mehr gibt. Irgendwann geht die Wirtschaftlichkeit verloren, denn wir wollen und müssen unsere Mitarbeiter auch ordentlich bezahlen. Aber dieses Geld muss man einnehmen. Stattdessen hat man uns weiter geschwächt.
Wie meinen Sie das?
Der Zwangsabschlag, den Apotheken an das Gesundheitssystem bezahlen, damit die Kosten ohne zeitliche Verzögerung von den Krankenkassen erstattet werden, wurde 2022 von 1,77 auf zwei Euro pro rezeptpflichtiges Arzneimittel erhöht. Und das ist nur ein Beispiel – die Liste ist lang. Ganz ehrlich: Als Karl Lauterbach Gesundheitsminister wurde, war er unser Hoffnungsträger, weil er Mediziner ist. Heute muss man sagen: Alles, was er anfasst, wird schlechter.
Die Werbung der Online-Versandanbieter suggeriert, dass sie schnell und bequem liefern. Können Sie da mithalten?
Auf jeden Fall. Niemand ist schneller als die Apotheken vor Ort. Wir liefern schon lange ins Haus, und die Bestellung per App ist bei uns auch möglich. Die Krankenkassen arbeiten an einer solchen App für Apotheken, ebenso die Landesapothekerverbände. Was man aber sehen muss: Dieses Angebot verursacht hohe Kosten. Und die Frage ist: Hat man genug Kunden, die das verlangen? Denn es ist eher ein Thema für die junge Generation. Andererseits geht es darum, dass wir Apotheker den Anschluss nicht verpassen. Die Kundenbindung ist sicher ein Argument, aber nicht die Lösung. Denn DocMorris kann als internationaler Anbieter Rabatte gewähren, die ich gar nicht geben darf. Und der Konzern wäre sicher schon pleite, wenn nicht immer wieder frisches Geld von Investoren zufließen würde. Wie gesagt: Es geht um einen riesigen Markt. Und für junge Einsteiger ist es ein Risiko, eine Apotheke zu übernehmen. Das erklärt, warum die eine oder andere Apotheke im Landkreis zuletzt keinen Nachfolger gefunden hat. (ddy)
Der lukrative Kampf ums E-Rezept
Wegen der massiven Kampagnen zum Einlösen und Ausliefern von E-Rezepten ist Redcare Pharmacy tief in die roten Zahlen gerutscht. Das meldet das Branchenportal Apotheke adhoc. Nach neun Monaten im Jahr 2024 steht unter dem Strich ein Fehlbetrag von 20,1 Millionen Euro. Und die Verluste dürften weiter steigen, mutmaßt das Portal, denn Redcare wolle weiter massiv in Marketing investieren. Doch dieses Investment – jeder vierte Euro wird laut Apotheke adhoc in die Werbung investiert – scheint sich zu lohnen, wie CEO Olaf Heinrich zitiert wird: „Wir verzeichnen einen großen Zuspruch für das elektronische Rezept in Deutschland.“ Laut Firmenangaben liege das Redcare-Wachstum gegenüber 2023 bei 34 Prozent – bei einem Umsatz von 1,7 Milliarden Euro.
Gegründet wurde Redcare, wie das Unternehmen seit Mitte 2023 heißt, 2001 als Online-Shop einer stationären Apotheke in Köln. Als 2004 der Versandhandel mit nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten (OTC) gesetzlich erlaubt wurde, war shop-apotheke.com laut Wikipedia einer der ersten Online-Händler in Deutschland, der OTC-Produkte verkaufte und pharmazeutische Beratung anbot. Im Jahr 2010 verlegte das Unternehmen seine Logistik- und Vertriebsaktivitäten in die Niederlande. Der Vorteil: So lässt sich die in Deutschland herrschende Preisbindung auf rezeptfreie Medikamente umgehen. Mit dem Start des österreichischen Webshops shop-apotheke.at begann Shop Apotheke 2012 seine internationale Expansion. Drei Jahre später folgten Belgien und Frankreich.
Derzeit kursiert das Gerücht, die niederländische Redcare Pharmacy könnte sich früher oder später den schweizerischen Konkurrenten DocMorris einverleiben – ein Schwergewicht. Denn Europas seit 2012 größte Online-Apotheke ist ebenfalls auf der Jagd nach deutschen E-Rezept-Kunden, verkaufte dafür laut Apotheke adhoc seine Aktivitäten in der Schweiz und benannte sich von Zur Rose AG in DocMorris AG um. Aus gutem Grund, wie CEO Walter Hess zitiert wird: „Das Schweizer Geschäft bestand zu drei Viertel aus Großhandel mit Belieferung von Ärzten. Nur ein Viertel bezog sich direkt auf Patienten. Der mit dem Deutschland-Geschäft vergleichbare Teil war sehr gering.“